Kunstwissen

Nola Darling: Brooklyn, eine Liebesgeschichte

Spike Lee hat seinen Film „She’s Gotta Have It“ von 1986 als Netflix-Serie neu aufgelegt: Wie sieht das Leben der Künstlerin Nola Darling im Brooklyn der Gegenwart aus?

Von Laura Storfner
28.11.2017

Remakes gehen meistens schief. Spike Lees Neuauflage seines Klassikers „She’s Gotta Have It“ von 1986 ist eine Ausnahme. Er hat die Geschichte der jungen Künstlerin Nola Darling als Netflix-Serie ins Brooklyn der Gegenwart verlegt. Aber nicht die albernen, allzu bemüht wirkenden Hashtag-Titel der einzelnen Episoden machen die Serie zeitgemäß, sondern die Bilder, die Lee für Nolas Leben im Post-Obama-Amerika findet.  

Nola Darling und ihr Fort Greene

Man sieht Nola beim Malen in ihrem Brownstone, dessen Miete sie sich eigentlich gar nicht leisten kann. Man begleitet sie auf Dates, Vernissagen, zur Therapie und an den Küchentisch ihrer Eltern, die Brooklyn schon ihr Zuhause nannten, als sich noch kein Weißer auf die andere Seite des East Rivers traute. Man sieht ihr zu, wie sie Highschool-Schülern im Kunstunterricht von Romare Bearden erzählt, der mit seinen Collagen das Bild von Harlem prägte. Vor allem aber folgt man Nola durch ihr Viertel, wo sie zwischen Touristen, Gentrifizierungsgegnern, scheinheiligen Black Lives Matter-Aktivisten und Catcallern ihren eigenen Weg sucht. Auch wenn sie und ihre Freundinnen sich auf den ersten Blick nicht allzu stark von Lena Dunhams „Girls“ unterscheiden, liegen zwischen Nola Darlings Fort Greene und Hannah Horvaths Greenpoint Welten.

Mit der gleichen Obsession, mit der Nola über Schwarzweißfilme spricht, hat Lee den Soundtrack zur Serie zusammengestellt. Filmmusik bedeutete für ihn immer mehr als nur Hintergrundmusik. So blendet er nach fast jeder Szene das Albumcover des Stücks ein, das man gerade hören konnte: Ein nostalgisches Shoutout an Sade, The Isley Brothers, Prince, und Lees eigenen Vater, den Jazzmusiker Bill Lee, der 1986 den Originalsoundtrack zu „She’s Gotta Have It“ schrieb. 

Rilke statt Hip-Hop-Lines

Natürlich erzählt Lee nach wie vor von Nolas Liebesgeschichten: vom selbstverliebten Ex-Model Greer Childs, vom fürsorglichen, noch-nicht-ganz-geschiedenen Banker Jamie Overstreet und vom Sneakerhead Mars Blackmon, der im Gegensatz zu seinen Nebenbuhlern noch immer bei seiner Schwester in den Projects wohnt. Gemeinsam verkörpern alle drei den scheinbar perfekten Mann: schön, kultiviert, witzig. Wenn Lee seine Figuren darüber diskutieren lässt, ob sie ihre Wurzeln und Kultur verleugnen, wenn sie darauf hinarbeiten, Teil der weißen Upperclass zu werden und Rilke statt Hip-Hop-Lines rezitieren, erinnert er an die innere Zerrissenheit, die der Essayist Ta-Nehisi Coates in seinem Buch „We Were Eight Years in Power“ auf den Punkt bringt.

Nola Darling und ihre „Manic Pixie Dream Boys“

Auch wenn „She’s Gotta Have It“ die Figur des sogenannten Manic Pixie Dream Girl mit den männlichen Nebenfiguren nicht vollkommen umkehrt, so scheinen Nolas Lover in ihrer satirischen Eindimensionalität doch nur zu existieren, um ihr dabei zu helfen, sich selbst zu finden. Allein Opal tritt da vielschichtiger auf. Die alleinerziehende Mutter, mit der Nola mehr teilt als nur ihr Bett, ist auch die einzige, die ihre Sprunghaftigkeit nicht akzeptieren kann und Nola von sich aus den Laufpass gibt. Dass Lee damals wie heute kein „realistisches Drama“ schreiben wollte, zeigt sich nicht zuletzt an Nola selbst: Auch sie ist als Karikatur angelegt.

Nachdem Nola nachts auf dem Heimweg beinahe vergewaltigt wird, geht sie mit ihrer Kunst auf die Straße: Ihre Poster mit dem Slogan „My Name Isn’t… Baby Girl“ erinnern an „Stop Telling Women to Smile“ von Tatyana Fazlalizadeh, die für Lees Serie auch neue Werke geschaffen hat. Die Arbeiten erscheinen nicht nur vor dem Hintergrund aktueller Debatten so stark, wie Street-Art lange nicht mehr gewirkt hat. Wie kritisch Lee dabei auch mit seinem eigenen Werk umgeht, wird klar, wenn Nola alte Graffiti zu „She’s Gotta Have It“ überklebt.

Journalisten warfen Lee vor, dass er sich herausnehme, als Mann vom Leben einer jungen Frau zu erzählen, die um sexuelle Unabhängigkeit kämpft und sich von niemandem, schon gar nicht von Männern, definieren lassen will. In Zeiten, in denen Serien von und über Frauen wie Issa Raes „Insecure“ oder Fatimah Asghars und Sam Baileys „Brown Girls“ noch immer nicht die gebührende Anerkennung bekommen, scheint der Vorwurf berechtigt. Die Frage, ob es einem Mann wie Lee nun überhaupt gelingen kann, sich ausreichend in seine weibliche Hauptfigur – die sich selbst als „sex-positive, polyamorous pansexual“ bezeichnet – hineinzuversetzen, ohne sie auf eine Projektionsfläche für männliches Begehren zu reduzieren, wirkt als Kritikpunkt aber zu oberflächlich. Natürlich ist das möglich. Und nicht nur, weil Lee als Medienprofi vorbeugt, indem er bei seinem Remake mit Frauen zusammenarbeitet.

Die Stimmen der Frauen

Zwar führte Lee bei jeder Episode der Serie Regie, produziert wurde sie jedoch gemeinsam mit seiner Ehefrau Tonya Lewis Lee. Den Großteil der Episoden schrieben Frauen wie die Pulitzer-Preisträgerin Lynn Nottage oder Joie Lee, Spike Lees Schwester. Es ist diese Vielstimmigkeit, von der die Serie lebt, schließlich wird Nolas Geschichte nicht nur aus ihrer eigenen Perspektive erzählt: In „She’s Gotta Have It“ kommen Freunde, Kollegen, entfernte Bekannte, Nachbarn, Frauen und Männer zu Wort.

 

Die wahre Liebeserklärung widmet Lee aber nicht seiner Protagonistin, sondern Brooklyn – dem Viertel, in und mit dem er selbst groß wurde. Dafür reicht ihm das Intro: In 30 Sekunden sampelt Lee Schwarz-Weiß-Fotos von damals und Schnappschüsse von heute. Nola Darlings Geschichte mag sich auch nach mehr als 30 Jahren kaum geändert haben, Brooklyn dafür umso mehr.

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