Das Dorotheum setzt bei der Tribal Art auf den schwierigen mittleren Preisbereich
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14.06.2018
Der Tribal-Art-Markt zeigt eine recht deutliche Dreiteilung: Am unteren Ende stehen Werke für drei- bis vierstellige Euro-Beträge. Sie sind von guter Qualität und befanden sich oft seit Jahren in Kollektionen von mittlerweile alt gewordenen Sammlern – es fehlt ihnen aber ein klein wenig an Besonderheit. Ein Auktionshaus, das sich mit seinem Angebot hauptsächlich dort platziert, muss demnach viele Stücke anbieten, um einen zufriedenstellenden Umsatz zu generieren – andererseits kann es auf eine erfahrene und treue Käufergemeinde zählen. Am oberen Ende der Skala befinden sich sogenannte Provenienz-Objekte, die von den großen Auktionshäusern, die auf finanzkräftige Investoren und Sammler moderner Kunst zielen, zelebriert werden und häufig (weit) über 100 000 Euro bringen.
Zwischen den Welten
Schwer tun sich dagegen Objekte zwischen diesen Welten – die oft außergewöhnlich gut sind, jedoch keine berühmte Provenienz aufweisen und keinen der angesagten Trends bedienen. Angesiedelt im fünfstelligen Bereich, sind sie für die meisten Aficionados zu teuer – und für Prestige-Sammler zu günstig. Joris Visser, der Tribal-Art-Experte des Wiener Dorotheums, geht ganz bewusst in diesen schwierigen mittleren Bereich – dahin, wo’s weh tut: Nahezu 30 Prozent der insgesamt 82 Lots in der Auktion „African and Oceanic Art“ am 21. Juni haben fünfsstellige Taxen – bei anderen wichtigen Versteigerern für traditionelle außereuropäische Kunst wie Zemanek-Münster und Lempertz liegt dieser Anteil stets deutlich unter 5 Prozent. Damit sich die Auktion also lohnt, muss das Dorotheum die mittelteuren Objekte gut verkaufen. Dass es Visser gelingen könnte, mit dieser mutigen Strategie seinem inoffiziellen Ziel – „to establish the Dorotheum as the new place to come“ – näherzukommen, liegt am Angebot, das er zusammengetragen hat. Denn eines ist es auf keinen Fall: langweilig. Viele Objekte haben das gewisse Etwas. Dazu gehören mehr als ein Dutzend Arbeiten mit der Provenienz Carlo Monzino. Der 1996 verstorbene Monzino war in den Sechziger- und Siebzigerjahren einer der wichtigsten und betuchtesten Sammler von Tribal-Art.
Eine vielseitige Sammlung
Die Werke, die aus der Privatsammlung seines Lebensgefährten stammen, belegen das großartige Auge und die Vielseitigkeit dieses Kenners. Er sammelte nicht nur die vor allem in der franko-belgischen Szene beliebten feingeschnitzten Objekte, sondern schätzte die afrikanische Kunst ebenso für ihre Rohheit und Expressivität. Zeugnis davon legt insbesondere eine ausdrucksstarke weibliche Skulptur der Boki aus Nigeria ab (Lot 25, Rufpreis 8000 Euro), die eigentlich für ihre Kopfaufsätze bekannt sind. Sie ist in Susan Vogels Buch über die Sammlung Monzino dokumentiert. Ein ähnliches, allerdings nicht publiziertes Objekt mit gleicher Provenienz wurde vor zwei Jahren bei Hammer in Basel versteigert. Gäbe es den Begriff Art brut nicht bereits, so müsste man ihn für das blau bemalte Fragment einer Leibmaske der Yoruba (Lot 24, Rufpreis 12 000 Euro) erfinden. Be- geisternd ist der Gesichtsausdruck des männlichen Teils eines kopulierenden Königspaars auf einer Epa-Maske der Yoruba (Lot 39, Rufpreis 10 000 Euro), virtuos-schräg eine große, weiß gefärbte Idimu-Maske der Lega (Lot 46, Rufpreis 25 000 Euro). Das Toplos der Versteigerung ist eine mit 150 000 Euro bewertete Uli-Figur (Lot 77) aus Neuirland, die 1909 während der Deutschen Marine-Expedition aufgegriffen und 1925 publiziert wurde. Wie ein Lockangebot wirkt eine in den Siebzigerjahren von Mario Meneghini in situ erworbene, 63 Zentimeter große Maske der Toma aus Liberia (Lot 17), die mit 6000 Euro an den Start geht: Ein vergleichbares Objekt dieses Feldsammlers wurde vor einem Jahr bei Christie’s in New York für 280 000 Dollar weitergereicht.
Von Köpfen und Masken
Die Dorotheum-Auktion bietet jedoch auch außerhalb der Monzino-Sammlung Spannendes. Dazu gehört ein Terrakotta-Kopf (Lot 7) aus Ife in Nigeria, der ahnen lässt, warum der berühmte deutsche Forschungsreisende Leo Frobenius diese Kunstwerke aus dem 12. bis 15. Jahrhundert als Überbleibsel des sagenhaften Atlantis – das er im Land vermutete – ansah: Die Arbeit zeichnet sich durch einen virtuos umgesetzten, idealisierten Realismus aus, den man Künstlern des „Schwarzen Kontinents“ damals nicht zugetraut hätte. Offen ist allerdings, ob der Kopf aufgrund des Kulturgutschutzgesetzes nach Deutschland eingeführt werden darf. Mit 80000 Euro ist er auch nicht gerade günstig taxiert. Wer den klassischen Kanon bevorzugt, sollte sich einen Luba-Shankadi- Prestigehocker anschauen (Lot 33, Rufpreis 18000 Euro), der bereits 1925 in situ fotografiert wurde. Für kleineres Geld gibt es eine zu Beginn des letzten Jahrhunderts gesammelte Maske der Fang (Lot 43, Rufpreis 4000 Euro). Sie lässt nachvollziehen, welchen Einfluss die afrikanische Kunst auf expressionistische Maler wie Karl Schmidt- Rottluff hatte. Fragil und archaisch zugleich erscheint eine nahezu verwitterte Paarfigur aus Madagaskar (Lot 61, Rufpreis 32 000 Euro). Äußerst kraftvoll schließlich ist ein Aufhängehaken (Lot 71) vom Sepik-Gebiet (Papua-Neuguinea), der schon ab 6000 Euro beboten werden kann. Eines steht jetzt schon fest: Die Top-Player des europäischen Tribal- Art-Markts in Paris, Brüssel und Würzburg werden am 21. Juni sehr gespannt nach Wien schauen.
Kunst und Auktion Heft Nr. 10 / 2018