Kunstwissen

Robert Seidels Donaureise, Teil 2

Vom Schwarzwald zum Schwarzen Meer: Der Maler Robert Seidel, Gewinner des diesjährigen BP Travel Award der National Portrait Gallery in London, reist die Donau entlang. Am Ende stehen zehn Porträts aus zehn verschiedenen Ländern. Ein Reisetagebuch, Teil 2

Von Simone Sondermann
19.09.2018

12. September

Das Europaparlament stimmt zum ersten Mal in seiner Geschichte für ein Rechtsstaatsverfahren gegen eines seiner Mitglieder. Ungarn.
Der Süden Ungarns wirkt freundlich. Wir frühstücken gemütlich in Mohacs lebendiger Innenstadt und starten gegen 9.30 Uhr mit den Rädern. An der ungarisch-kroatischen Grenze werden wir intensiv gefilzt, nach ca. 20 Minuten dürfen wir weiter. Wir fahren auf einem Dammweg durch den Naturpark Kopacki rit. Unberührte Auenlandschaft, mehrmals queren Wildschweine unseren Weg. Nach 80 Kilometern erreichen wir völlig erschöpft Osijek.
Seit einer Woche wird es jeden Tag etwas wärmer, um die Mittagszeit ist es brütend heiß, und wir nutzen die Mittagshitze für ausführliche Pausen.
Den Rest der Strecke fahren wir auf Schnellstraßen und schlammigen Feldwegen. Wir erreichen das Appartement Maraton in Vukovar nach 140 im Dunkeln. Ich bin völlig platt und verlange nach einem Ruhetag.
Wir rekapitulieren die dokumentierten Ereignisse der Jugoslawienkriege in den 90er-Jahren. Vukovar war zentraler Schauplatz des Krieges, in der Schlacht um Vukovar wurde die Stadt fast völlig zerstört. Wir sehen viele Ruinen, den berühmten Wasserturm, ein Wahrzeichen des Wiederstandes und etliche Einschusslöcher in den Fassaden der Häuser. Wir laufen auf der Promenade, direkt an der Donau, blicken auf die andere Seite, schätzen die Breite des Flusses, alles ruhig.

13. September
Pause

14. September

Wir starten früh, radeln bis Novi Sad, nehmen dort den Zug nach Belgrad und übernachten zentral im Hotel Queen Astoria.
Kurz nachdem ich die Zusage für den Travel Award aus London erhielt, rief ich Julius Hofmann an, Freund, geschätzter Malerkollege und Radfahrer. Ich fragte ihn, ob er Lust und Zeit hätte, mich auf einem Abschnitt der Reise zu begleiten. Zu meiner Überraschung und Freude wollte er direkt mit ans Schwarze Meer.
Durch unserer Arbeit befinden wir uns in ähnlichen Situation, die Gespräche mit Julius über die Arbeit sind immer interessant und aufschlussreich. Wir reden über alles mögliche, und speziell auf dieser Reise viel über Portraits und Malerei im Allgemeinen. Was macht ein gutes Porträt aus? Wie könnte man jemanden ansprechen? Soll ich, soll ich nicht? Komposition, Struktur, Bildsprache.
Grundsätzlich gehe ich sehr intuitiv vor, wenn mich eine Person und/oder eine Szene interessiert, sich dringend anfühlt, geh ich hin und versuche ins Gespräch zu kommen. Dabei funktioniert die Reise, wie eine Art Ordner, indem alles abgelegt werden darf und erst später sortiert wird. Am Ende sollen die Porträts in ihrer Anzahl den bereisten Ländern entsprechen.

15. September

Wir radeln bis Kovin, ca. 60 km hinter Belgrad. Schwere Beine. Die Schotterpisten und der Verkehr. Mehr ist heute nicht drin.
„Nicht so schnell“, ruft Lyubisa in, ein Rentner, der lange Zeit in Deutschland gelebt und gearbeitet hat und jetzt seinen Ruhestand mit einem kleinen Hündchen in einem Vorort von Belgrad genießt. Er erzählt von seiner verstorbenen Frau und seinen Kindern in Frankfurt.
Hinter der Ölraffenerie von Starcevo treffen wir Merina, eine junge, aufgeweckte Serbin, die uns fragt, warum wir keine Fahne von Deutschland dabei haben. Sie bietet uns einen Kaffee an und wir reden über Serbien, Deutschland und den Balkan. Ehrlich, kurzweilig, und immer wieder interessant und teilweise überraschend wie Deutschland von Außen wahr genommen wird.
Unser Hotel liegt auf einem Hügel, abgeschirmt von einem kleinen Wäldchen, von außen Ostblock-Charme, von innen jungfräulicher Möbelhaus chic. Große Abendgesellschaft, Anzüge, Cocktailkleider, stolze Eltern, Liveband, 18. Geburtstag der einzigen Tochter. Wir checken ein in kurzen Hosen, staubig und verschwitzt.

16. September

Von Kovin bis Stara Palanka, mit Fähre übersetzen nach Ram und weiter bis zum Aparment Jazz nach Golubac, kurz vorm eisernen Tor.
Der Wind als ständiger Begleiter, raschelndes Espenlaub funkelt, goldgelbe Maisfelder, stahlblauer Himmel. Die Donau fühlt sich hier an wie der Gardasee, nur ohne Touristen … verschwenderische, wilde Schönheit. Der östliche Zipfel Serbiens, kurz vor dem Eisernen Tor.
Am frühen Abend auf der Promenade im „Goldenen Fisch“, Vor-, Haupt- und zweimal Nachspeise und so viel Martini-Cocktail, bis die Oliven alle sind, wir reden und lachen viel, sind die letzten Gäste, noch einen Sliwowitz. Ein Team streunender Hunde bringt uns nach Hause.

17. September

Die Küchlein und Teigtaschen der Konditorei schmecken so gut … aus unseren losen Affäre mit Serbien, scheint eine belastbare Liebesbeziehung zu werden.
Wir knöpfen uns den Nationalpark Djerdap vor. Julius entscheidet sich für eine anspruchsvolle Bergpassage, ich folge weiter der normalen Straße und muß durch etliche Tunnel. Vor mir Bauarbeiten, hinter mir donnernde Lastwagen, kühle, blaue Schatten der Wind bläst mir ins Gesicht … ich höre das grüne Album von Natalie Ofenböck, von oben hat man eine wunderbare Sicht, ich werde ganz ruhig und klar.

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