Nach mehr als zehnjähriger Sanierung strahlt der Königsbau der Münchner Residenz im neuen Glanz. Neben den klassizistischen Prunksälen ist jetzt auch ein neues Museum für Porzellan, Silber und Miniaturen zu erleben
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22.10.2018
Wie ein mächtiger Riegel begrenzt der Königsbau den Max-Joseph-Platz, benannt nach dem letzten Kurfürsten und ersten König von Bayern, an den auch das Bronzedenkmal auf der Mitte der Freifläche vor Residenz und Nationaltheater erinnert. Am Neujahrstag 1806 erhielt Max IV. Joseph – fortan Maximilian I. Joseph – von Napoleons Gnaden die Königswürde. Die Wittelsbacher herrschten seit dem 12. Jahrhundert in Bayern, und viele Generationen der Herzöge und Kurfürsten hinterließen ihre Spuren in der weitläufigen, verwinkelten Stadtresidenz.
Die großartigsten Teile mit dem Antiquarium, der „Reichen Kapelle“ und dem Kaisertrakt verdanken wir Maximilian I., der von 1597 bis 1651 das Land regierte. Doch erst Ludwig I., Max Josephs Sohn und seit 1825 auf dem Thron, sorgte mit dem mächtigen Königsbau sowie dem gewaltigen Festsaalbau auf der gegenüberliegen Seite zum Hofgarten dafür, dass die vielteilige Anlage an allen Flanken einen würdigen Abschluss erhielt. Damit wuchs die Münchner Residenz zur größten urbanen Schlossanlage Deutschlands. Im April 1944 wurde die Residenz bei einem Bombenangriff schwer getroffen und brannte vollständig aus. Der Wiederau au dauerte Jahrzehnte. Bis heute sind Wunden und Spuren der Zerstörung zu sehen, und mit der Zeit wurde vieles abermals restaurierungsbedürftig. Etwa der Königsbau, der in diesem Sommer nach mehr als zehnjähriger Sanierung wiedereröffnet wurde.
König Ludwig I., der als Sammler und Bauherr die antike Kunst in München heimisch machte, ließ den Trakt von 1826 bis 1835 von seinem Hofarchitekten Leo von Klenze errichten. Die Schauseite zum Max-Joseph-Platz ist im Aufriss wie in der Quaderrustizierung unübersehbar am Palazzo Pitti orientiert. Galt dieses Florentiner Renaissance-Vorbild doch als Inbegriff herrschaftlicher Architektur, und Ludwig sah sich mit seiner Kunstförderung in der Nachfolge der Medici.
Der direkte Zugang zu den neu eröffneten Königsbau-Räumen ist ein wenig verwirrend. Man folge dem blauen Pfeil: Durch die prunkvolle, goldschimmernde Ahnengalerie, ein einfaches Stiegenhaus, ein Zwischengeschoss und Klenzes elegant sich nach oben schwingende „Königin-Mutter-Treppe“ gelangt man in die erste Etage. Hier sind die klassizistischen Appartements des Königspaares rekonstruiert. Leo von Klenze, Ludwigs Hofarchitekt, entwarf die komplette Raumkonzeption inklusive der Möbel bis hin zur vergoldeten Waschgarnitur im Ankleidezimmer und zum Papierkorb im Arbeitszimmer des Königs. Die Wandmalereien von Philipp von Foltz und Gottfried August Bürger feiern in Ludwigs Räumen das antike Griechenland. Hatte doch 1832, mitten in der Ausstattungsphase, Ludwigs zweiter Sohn Otto den griechischen Thron bestiegen.
In den Räumen der Königin Therese dominiert die Dichtkunst; Stuckreliefs gehen auf Bertel Thorvaldsen zurück. Klenze gestaltete die 13-räumige Enfilade aus einem Guss, gipfelnd im Thronsaal des Königs samt goldenem Mobiliar. Statt Wandmalereien dominieren hier Schwanthalers weiße Bildreliefs mit griechischen Beschriftungen auf goldgrundigen Wänden, die Motive sind Pindars Siegesgesängen entlehnt.
Doch der eigentliche Clou sind die neuen Schauräume für die bedeutenden Silber-, Porzellan- und Miniaturen-Sammlungen der Residenz. Dafür hat man die Nebenkabinette hinter den Prunksälen, einst für Dienerschaft, Küchen und Garderoben genutzt, umgebaut und die verschiedenen Stockwerke mit neu eingefügten Treppen verbunden. In Vitrinen und auf eingedeckten Festtafeln wird hier die höfische Tafelkultur des 18. und 19. Jahrhunderts vor Augen geführt. Für Max I. Joseph gelangte Jean-Baptiste-Claude Odiots Vermeilservice von 1809/10 aus Paris an den Wittelsbacher Hof. Ein Prachtservice von KPM mit imposanten Tafelaufsätzen und Vasen mit Berliner Ansichten traf dank der Vermählung des Kronprinzen Maximilian II. mit der preußischen Prinzessin Marie ein. Und natürlich prunkte man mit den heimischen Geschirren aus der Nymphenburger Manufaktur.
Allein die über mehrere Räume verteilte kurfürstlich-königliche Silberkammer enthält rund 4000 Objekte. Prototypen der herrschaftlichen Tafel von der Horsd’œuvre-Schale über den Eierbecher bis zum vielteiligen Mundzeug und zu praktischen Speisewärmern (nötig wegen der langen Wege von den Küchen an die Tafel) werden in Einzelvitrinen vorgestellt und in ihrer Funktion erklärt. Ob beim Münchner Goldschmied Anton Weishaupt, bei Odiot und Martin-Guillaume Biennais in Paris oder den Drentwetts in Augsburg – der Münchner Hof bestellte bei den besten Goldschmieden Europas. In einem chronologisch nach Herrschern geordneten Schauraum wird die Stilentwicklung zum Spiegel der bayerischen Geschichte.
Die Porzellanabteilung breitet die ganze Vielfalt und Pracht des neuen Lieblingswerkstoffs des Rokoko aus. Umfangreiche weiße oder bunt staffierte Figuren-Ensembles verdrängten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die vergängliche Tafelzier der Zuckerbäcker. Neben kostbaren Meissen-Schöpfungen wie den seltenen Kändler-Vögeln und Erzeugnissen aus Paris, Sèvres oder Straßburg nehmen die von den Wittelsbachern in Au rag gegebenen Service der eigenen Manufakturen Nymphenburg und Frankenthal breiten Raum ein. Denn mit dem Umzug Karl Theodors von der Kurpfalz in seine neue Residenzstadt München, 1777, wurde auch sein favorisiertes Frankenthaler Porzellan hier heimisch. Eine Kuriosität ist die „Porzellan-Pinakothek“ mit berühmten Gemälden aus ganz Europa, etwa von Dürer oder Raffael, die virtuos im verkleinerten Format auf Porzellanplatten nachgemalt wurden.
Über eine schmale Treppe gelangt man in die Miniaturensammlung. Die wunderbaren Pergament-Miniaturbilder sind nach Themen geordnet und besucherfreundlich in Tischvitrinen ausgestellt. Da hat Johann Matthias Kager den Erzengel von Rubens ins Kleinformt gebannt und Johann König Elsheimers „Jagd nach dem Glück“ oder Veroneses „Hochzeit zu Kanaa“. Ein eigener Raum ist den teils kostbar gerahmten Porträtminiaturen auf Elfenbein gewidmet, die einst als Freundschafts- und Liebesgaben in Umlauf waren.
Berühmt sind die fünf „Nibelungensäle“ im Erdgeschoss. Ludwig I. erteilte Julius Schnorr von Carolsfeld 1828 den Auftrag für den großen Freskenzyklus nach dem mittelalterlichen Nibelungenlied. Doch zog sich die Ausführung mit einer achtjährigen Unterbrechung bis 1867 hin. Mittlerweile galt die idealisierende Kunst der Nazarener, zu deren Hauptvertretern Schnorr von Carolsfeld zählte, als überholt.
Längst aber werden die Nibelungenbilder wieder als einer der imponierendsten Freskenzyklen geschätzt, die sich in Bayern aus dem 19. Jahrhundert erhalten haben. Nun sind die Säle, die bereits Ludwig I. einer ausgewählten Öffentlichkeit zugänglich machte, nach umfänglichen Restaurierungs- und Rekonstruktionsarbeiten samt der erlesenen Natursteineinlagen der Böden, Türrahmen und Fensterlaibungen wieder zu durchschreiten. Verlassen kann man sie sogar über das einstige Vestibül. Eine eigene Publikation gibt Auskunft über die Entstehungsgeschichte, Restaurierung sowie einstige und aktuelle Konservierungsmaßnahmen der Nibelungensäle. Übrigens haben die Kosten der Sanierung die veranschlagten 3,5 Millionen Euro nur um 300 000 Euro überstiegen. Und 2019 wird das nächste Projekt im Königsbau vollendet sein: Die „Gelbe Treppe“, der prachtvolle Aufgang zu Ludwigs Appartements, war ebenfalls kriegszerstört und in den Siebzigerjahren stark vereinfacht wiederaufgebaut worden. Jetzt wird das klassizistische Raumkunstwerk so rekonstruiert, wie Klenze es geschaffen hat.