Das Auktionsjahr 2018 brachte eine Überfülle kostbarer Miniaturen auf den Markt
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18.01.2019
Bedeutende Miniaturenjahre gibt es in der Auktionswelt nur alle drei bis vier Jahrzehnte. Nachdem Christie’s in London 1935 die legendäre Sammlung von John Pierpont Morgan versteigert hatte, musste die Sammlerschaft über vierzig Jahre warten, bis ein vergleichbares Angebot auf den Markt kam. 1986 befeuerte Sotheby’s mit gleich drei single owner sales den Markt: In zwei Tranchen kam die Sir Charles Clore / David-Weill Collection unter den Hammer, dazwischen sorgten Stücke aus dem Besitz des Zürcher Lederwarenfabrikanten Ernst Holzscheiter (1878 – 1962) für Aufsehen. Erst 32 weitere Jahre später geschah Ähnliches: Zwei höchst bedeutende Auktionen machten 2018 zum epochalen Jahr für Porträtminiaturen.
Es begann am 4. Juli, als Christie’s Meisterwerke der Holzscheiter-Sammlung offerierte. Schon 1977, 1980 und 1986 war ein Großteil des einst über 700 Nummern starken Bestands bei Sotheby’s versteigert worden. Die 88 herrlichen, nun angebotenen Stücke hatte die Familie des Sammlers behalten, somit erfüllten sie optimal das Erfolgskriterium der Marktfrische. Die Bieter dankten es mit Sensationspreisen. Ferdinando Quaglias Elfenbeinminiatur des Dramaturgen Ignazio Degotti (Titelbild dieser Ausgabe) ging für 170 000 Pfund ohne Aufgeld in Privatbesitz – Jahresweltrekord für eine Miniatur. Weitere Meisterwerke von Königin Marie-Antoinettes Hofmaler François Dumont und Allroundgenie Jean-Étienne Liotard sorgten mit Hammerpreisen von je 75 000 Pfund für Überraschungen. Auch frühe englische Miniaturen der elisabethanischen Zeit erfreuten sich mit Zuschlägen von 38 000 bis 50 000 Pfund größter Beliebtheit.
Diese Erfolge konnten aber nicht verschleiern, dass nicht wenige hervorragende Miniaturen sich nur zur unteren Taxe oder gar nicht verkauften, etwa François Dumonts Bildnis der Schauspielerin Mademoiselle Maillard aus der Pierpont Morgan Sammlung (Taxe 10 000 Pfund), das erst im Nachverkauf für 8 000 Pfund plus Aufgeld in die sehr aktive Franzi Collection ging. Das selbe Phänomen einer recht mäßigen Auktion trotz einiger pressewirksamer Ausreißer musste Sotheby’s in London am 6. Dezember hinnehmen, als der erste Teil der insgesamt rund 1800 Miniaturen umfassenden Pohl-Ströher-Sammlung angeboten wurde.
Die aus Sachsen stammende, aber eingeschweizerte Dr. Erika Pohl-Ströher (1919 – 2016), eine Enkelin des Wella-Gründers Franz Ströher, verfügte über geradezu unbegrenzte finanzielle Mittel und baute zwischen 1975 und ihrem Tod 2016 die quantitativ und qualitativ bedeutendste Miniaturensammlung aller Zeiten auf. Wenn sie ein Stück wollte, zahlte sie jeden Preis. Der Markt für Miniaturen boomte dank ihr vierzig Jahre lang. Heute sind selbst exzellente Stücke meist im vierstelligen Euro-Bereich, nicht selten sogar darunter angesiedelt. Ein ideales Gebiet für antizyklisches Sammeln.
Sotheby’s war sich durchaus bewusst, dass Erika Pohl-Ströhers Einkaufspreise für die Taxen irrelevant sein würden. Eines der wertvollsten Werke der Sammlung war Heinrich Friedrich Fügers anmutiges Doppelbildnis der Bause-Schwestern, um 1771 in Leipzig gemalt. Erika Pohl-Ströher hatte im Mai 1979 bei Sotheby’s in Zürich für eine Mini-Sensation gesorgt, als sie bei einer Taxe von 20 000 Franken ganze 90 0000 Franken plus Aufgeld für das kunsthistorisch bedeutende Stück bezahlte. Ein englischer Privatsammler erhielt jetzt am 6. Dezember Fügers Miniatur für 17 000 Pfund netto. Ein ähnliches „Verlustgeschäft“ ergab ein außerordentlich attraktives Frauenbildnis des Genfers Malers Pierre-Louis Bouvier.
Im November 1992 wurde Erika Pohl-Ströher bei Christie’s in Genf durch einen schwedischen Privatsammler von taxierten 20 000 auf sagenhafte 52 000 Schweizer Franken (damals fast 24 000 Pfund) hochgetrieben; jetzt, 26 Jahre später, musste die Franzi Collection bei einer 4000-Pfund-Taxe nur noch 3800 Pfund für den Zuschlag investieren.
Einer der wenigen deutschen Miniaturen der Auktion erging es nicht anders: Kronprinzessin Friederike Luise von Preußen, Gemahlin des zukünftigen Königs Friedrich Wilhelm II., vom Hofminiaturisten Anton Friedrich König um 1769 gemalt, wurde bei der Holzscheiter-Versteigerung von 1986 für 19 000 Pfund zugeschlagen. Jetzt war der hyperaktive Telefonbieter „L0044“ bereits mit 7500 Pfund erfolgreich. Interessanterweise hatte Bassenge in Berlin nur eine Woche zuvor, am 29. November, in seiner 130 Lose starken Porträtminiaturen-Auktion das Pendant – den künftigen König Friedrich Wilhelm II. von Preußen darstellend und vom selben Künstler gemalt – für 11 000 Euro zugeschlagen.
Von den 154 Losen der Pohl-Ströher-Sammlung gingen 25 zurück, darunter herrliche französische Werke von Jean-Baptiste Jacques Augustin, Louis-Lié Périn-Salbreux, Jean-Baptiste Soyer, Marie-Gabrielle Capet und Gérardus van Spaendonck. Jean-Baptiste Weylers 1780 datiertes und signiertes Bildnis des Comte d’Angivillier schmückte im November 1986 stolz die Katalogtitelseite der legendären Clore/David-Weill-Auktion und verdoppelte mit einem Hammerpreis von 15 000 Pfund die Taxe. 32 Jahre später wollte es zum selben Schätzpreis von 6000 Pfund niemand mehr.
Doch auch bei britischen Miniaturen der einst so gefragten George-III-Zeit gab es Rückgänge. Dass der schweinsäugige General Patrick Duff, 1791 von John Smart in Indien gemalt, mit 12 000 bis 18 000 Pfund zu ehrgeizig eingeschätzt war, verwundert nicht unbedingt. Doch ereilte das vom selben Smart 1784 datierte Bildnis des verführerisch blickenden Colonel James Hamilton das gleiche Schicksal. Erika Pohl-Ströher hatte das Stück 2011 für einen Hammerpreis von durchaus angemessenen 21 000 Pfund erhalten. Jetzt im Dezember, sieben Jahre später, fand der schöne Colonel selbst bei einem nur halb so hohen Schätzpreis gar keinen Liebhaber mehr.
Bei einem Großteil der Miniaturen handelt es sich um Kleingemälde, die mit Wasserfarbe und Gouache auf Elfenbein gemalt sind. Aufgrund der „Cites“-Bestimmungen für Elfenbein enthaltende Kunstwerke im grenzüberschreitenden Verkehr – in die USA ist der Import so gut wie gar nicht mehr möglich – fühlten sich die beiden Auktionatoren der Pohl-Ströher-Versteigerung genötigt, bei jedem Los mit Elfenbein auf die besonderen Bedingungen bezüglich der bedrohten Tierarten hinzuweisen, wohl auf Verlangen der juristischen Abteilung des Hauses. Dass dies die Stimmung im Saal nicht gerade hob, kann man sich vorstellen.
Die vom Elfenbeinbann nicht betroffenen Emailminiaturen profitierten vielleicht von dieser Situation: 1986 kostete das damals Jean Petitot zugeschriebene und feinst auf Gold gemalte Emailbildnis der Anna von Österreich, der Mutter König Ludwigs XIV., noch 8400 Pfund. Nun wurde es, versehen mit einer neuen Zuschreibung an Henri Toutin, für 65 000 Pfund zugeschlagen.
Auch mit ihren russischen Porträtminiaturen bewies Erika Pohl-Ströher Sammlerinstinkt. Nur 25 ihrer insgesamt etwa 60 russischen Miniaturen rief Sotheby’s am 27. November bei der Auktion russischen Kunstgewerbes auf. Deren Gesamtergebnis betrug ohne Aufgeld 870 800 Pfund, eine enorme Summe im Verhältnis zu den 1,38 Millionen Pfund für die 154 Pohl-Ströher-Lose im Dezember. Im Russian Sale wurde auch das zweithöchste Miniaturen-Ergebnis von 2018 erzielt: Augustin Ritts beeindruckendes Bildnis des Fürsten Kurakin, 1798 in St. Petersburg gemalt, kostete 1986 noch 19 000 Pfund netto. Nun Ende November war es, geschätzt auf 35 000 bis 45 000 Pfund, dem Käufer kapitale 160 000 Pfund wert.