Der französische Händler Laurent-Alexis Guelfucci will Berlin in seiner neuen Galerie die exquisite Möbelkunst des Art déco nahebringen
Von
14.06.2020
Minimalistischer geht es kaum, und doch steckt in den Details dieser Etagere der ganze Überfluss der französischen Möbelgeschichte. Zwei Regalablagen, getragen von vier dünnen Beinen, die grazil ausschwingen: Daraus hat Jacques-Émile Ruhlmann um 1920 ein Kunstwerk gezaubert, an dem man sich nicht sattsehen kann. Das edle Makassarholz trägt seinen Teil dazu bei, noch mehr die Qualität der handwerklichen Verarbeitung. Jede Stelle, selbst die Unterseite der Tablare ist bis zum letzten Millimeter erlesen furniert, poliert oder abgeschrägt. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Die Seiten der oberen Platte sind wie eine antike Säule kanneliert. Der Preis von 90 000 Euro ist angemessen für dieses Spitzenstück der Möbelkunst. Auch wenn Ruhlmann heute moderater bewertet wird als vor fünfzehn Jahren, erzielte seine berühmte, auf Skibrettern ruhende Chaiselongue bei Sotheby’s New York mit Aufgeld 2,4 Millionen Dollar.
Die Raffinesse in der Linienführung, beste Materialien in höchster Perfektion der Verarbeitung, erfindungsreiche Formen, die über die Konvention immer genau das Stück hinausgehen, um ein Möbel zum Luxusobjekt, zum kostbaren Artefakt zu machen: Dafür stehen Boulle und Dubois, Delorme und Riesenburgh, Weisweiler und Riesener, die Pariser Ebenisten, die von der Zeit Ludwigs XIV. bis zum Empire Napoleons den Gipfel der Wohnkultur markierten. Ruhlmann, der unbestrittene König des Art déco, hat Frankreichs Möbeltradition einen letzten Höhepunkt aufgesetzt, schon zu Lebzeiten setzte man ihn mit den großen Kunsttischlern des 18. und frühen 19. Jahrhunderts gleich.
Laurent-Alexis Guelfucci kann endlos von diesen Möbeln schwärmen, während er die sichtbaren und versteckten Details eines Lesetischs vorführt. „Ruhlmann war meine erste Liebe“, erzählt der Händler. Er stammt aus einer wohlhabenden Familie auf Korsika und wuchs inmitten der traditionellen französischen Einrichtungskultur auf. Der Großvater war Maler, Kunst spielte immer eine wichtige Rolle. „Als ich Jacques-Émile Ruhlmann als 17-Jähriger entdeckte, war mir gleich klar, dass er die Möbelkunst des 18. Jahrhunderts in der Moderne fortführte. Sie ist luxuriös, klassisch und immer extravagant. Und man kann wunderbar und sehr unkompliziert mit ihr leben.“
Art-déco-Möbel auf dem Niveau von Ruhlmann, Jean-Michel Frank, Gaston Rousseau oder Alfred Porteneuve sind ein durch und durch Pariser Thema. Solche Luxusmöbel – klassisch und zugleich voller ästhetischer Exzentrik – entstanden in den 1920ern und 1930ern nur im damaligen Weltzentrum des Geschmacks, wo auch eine reiche, kunstbeflissene Elite für die nötige Nachfrage sorgte. Und noch heute spielt sich der Handel mit diesen modernen Antiquitäten vor allem in der französischen Hauptstadt ab. Berlin jedenfalls bringt man mit solchen Möbelartefakten nicht in Verbindung. Umso spektakulärer ist es, wenn ein international führender Händler aus Frankreich jetzt in Charlottenburg seine Schauräume eröffnet.
Guelfucci kam 1994 zum ersten Mal nach Berlin. „Ich entdeckte das Partyleben hier.“ Das war einer der Gründe, weshalb ihn die Stadt nicht mehr loslassen sollte. Nach dem Abitur hatte er in Paris Kunstgeschichte und Philosophie studiert und begonnen, seiner Passion für das Art déco auch professionell nachzugehen. Und vor allem eine Sammlung aufzubauen. „Um 1993 herrschte gerade eine Krise am Kunstmarkt. Da war es einfach, an gute Stücke zu kommen.“ So wuchs er in die Branche hinein, kaufte und verkaufte und baute sich einen Namen auf unter Händlern und Sammlern, aber auch bei den Interior-Designern, die bis heute wichtige Abnehmer von Art-déco-Möbeln sind.
Im Jahr 1998 eröffnete Guelfucci ein Ladengeschäft in der Nachbarschaft des Louvre. Neben den Möbeln gehören seither Gemälde, Skulpturen, Keramiken und andere Kunstobjekte der Moderne sowie auch einige ausgewählte zeitgenössische Künstler zu seinem Angebot. Dann zog Guelfucci 2001 nach Berlin – „aus Liebe“, wie er dezent andeutet. Die Galerie und sein Haupthandelsplatz blieben Paris, so pendelte er ständig hin und her. „Es war eine goldene Zeit in Berlin“, erzählt er voller Begeisterung. „Die Menschen kamen hierher, um Freiheiten zu erleben, die es woanders nicht gab.“ Geschäftlich lief es auch gut, denn Ruhlmann und sein Umfeld erzielten in diesen Jahren Höchstpreise.
Die Krise von 2008 habe den Art-déco-Boom beendet, erzählt Guelfucci. Die neuen, jetzt dominierenden Sammler bevorzugen Midcentury-Design und treiben die Möbel von Charlotte Perriand und Jean Prouvé in immer höhere Sphären. „Die Menschen wieder für das Art déco begeistern“ lautet Guelfuccis Mission für die Galerie am Ku’damm, unweit der Schaubühne. In eleganter Raumgestaltung zeigt er zehn Möbel von Ruhlmann, aber auch die anderen Designer der Präsentation demonstrieren, dass die Pariser Extraklasse des Art déco eher klassisch als modernistisch ist und dennoch mit ihren klaren Volumen und Linien bestens in jedes moderne Ambiente passt.
Guelfucci weiß, dass er in Berlin auch günstigere Stücke anbieten muss. So sind für 10 000 Euro zwei herrlich fließende Thirties-Sessel der Londoner Bowman Brothers zu haben. Und für niedrige vierstellige Summen kann man sich von den exaltierten Fifties-Vasen der elsässischen Keramikmanufaktur Elchinger begeistern lassen. Solch eine Galerie gab es noch nie in Berlin. Diese kräftige Prise Pariser Geschmacks kann die Stadt gut gebrauchen.
Guelfucci Gallery
Kurfürstendamm 100, Berlin
Öffnungszeiten: Mo. bis Fr. 14 bis 18 Uhr, Sa. 14-17 Uhr