Eine Doppelschau im Berliner Skulpturenforum Hermann Noack bringt Werke von Andreas Mühe und Emmanuel Bornstein zusammen. Im Zentrum stehen Mühes Büsten seiner Eltern
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22.05.2020
Dieses eine Foto auf der Balustrade passt nicht ins Bild. Andreas Mühe, berühmt für seine sonst bis ins Detail aufgeräumten und inszenierten Motive, zeigt hier pures Chaos. Ein verwüstetes Zimmer, den Inhalt aus Schubladen auf dem Boden zerstreut. Ein Tatortdokument: Es handelt sich um das Haus der Familie in Grimma, das kürzlich von Einbrechern heimgesucht wurde. „Keine Ahnung, was die gesucht haben“, meint Mühe, während er in seiner Ausstellung im Berliner Skulpturenforum Hermann Noack steht. Vielleicht Devotionalien aus den verzweigten Haushalten, die Mühes Vater, der Ausnahmeschauspieler Ulrich Mühe, im Lauf seines Lebens unterhielt. Bei Noack würden sie nun fündig: In der Halle stehen Porzellanköpfe der Schauspielerinnen Jenny Gröllmann und Susanne Lothar, mit denen Ulrich Mühe in zweiter und dritter Ehe liiert war. Auch er selbst begegnet einem als Büste: schneeweiß, leicht unterlebensgroß und so eingefroren in ihrem Ausdruck, als sei der Schauspieler schon hundert Jahre tot. Und nicht erst 2007 verstorben.
Büsten sind ein Mittel zur Distanzierung, das macht einem diese Versammlung identischer Gesichter schlagartig bewusst. Die Frage, wie schräg es ist, wenn Andreas Mühe seinen Vater wie ein fernes Idol inszeniert, verschwindet nahezu hinter dieser Erkenntnis. Wer sie dennoch stellt, merkt schnell, wie gut Mühes Provokation zum Künstler passt, der mit fotografischen Serien wie „Obersalzberg“ oder „A.M.“ schon ganz andere Reizthemen deklinierte. „Vladimir und Estragon“, die Ausstellung, die er bei Noack zusammen mit dem Maler Emmanuel Bornstein realisiert, entwickelt sein fotografisches Werk ein Stück weiter: Vom Politischen fokussiert es mehr und mehr auf das Private, bleibt aber bei der Frage, wie sich historische Komponenten im Schicksal von Individuen spiegeln.
Es ist eine große Ausstellung geworden. Sie verdankt sich Avitall Gerstetter, die nach dem Vorbild Rahel Varnhagens und anderer jüdisch-deutscher Zirkel vor 1933 seit fünfzehn Jahren den Salon Avitall als Plattform für unterschiedliche Formen jüdischen Lebens betreibt – mit Podien, Konzerten und Projekten im Skulpturenforum Noack, wo Avitall regelmäßig gastiert. „Vladimir und Estragon“ entspringt aber auch dem Wunsch beider Künstler, gemeinsam auszustellen. Flankiert wird die Doppelschau von neuen Fotografien Mühes und solchen, die vergangenes Jahr schon in der Ausstellung „Mischpoche“ im Hamburger Bahnhof hingen. Auch hier ging es Mühe um seine weitläufige Familie, Verstorbene integrierte er mithilfe lebensechter Silikonpuppen in die Gruppenporträts. Was für ein Aufwand, um die Lebenden und die Toten zu versammeln! Es gäbe digitale Möglichkeiten der Montage, aber so arbeitet Andreas Mühe nicht. Bis am Ende ein Foto steht, wühlt er sich buchstäblich durch das Material. Die Geschichten, von denen er erzählt, sollen unter die Haut gehen – auch ihm selbst.
Mühe und Bornstein, die ihre Ateliers in einem alten Fabrikgelände im Berliner Norden haben, sind Nachbarn und Freunde geworden. Beide verfolgen ähnliche Themen, wenn auch mit anderen Mitteln. Emmanuel Bornstein, 1986 im französischen Toulouse geboren, studierte Malerei unter anderem an der hiesigen Universität der Künste. Wie Mühe stammt er aus einer Familie, deren Biografie eng mit dem Theater verknüpft ist. Bei beiden wirkt die deutsche Vergangenheit bis heute nach: Mühe, Jahrgang 1979, nennt seinen Geburtsort bis heute mit Absicht Karl-Marx-Stadt, obwohl er längst wieder Chemnitz heißt. Auch wenn er selbst ein Kind war, als die Mauer fiel, gehört die DDR zur familiären Vergangenheit. Bornsteins Großmutter war in Auschwitz, der Holocaust beschäftigt ihn in einem Zyklus wie „Another Heavenly Day“. Eine Vielzahl kleiner, über mehrere Wände im Skulpturenforum verstreute Porträts.
Dass einem manche davon bekannt vorkommen, liegt an Bornsteins Vorlagen. Er verwendet Bildnisse prominenter Männer von Bertolt Brecht bis Klaus Barbie. Auf den quadratischen Leinwänden wirken sie allerdings seltsam deformiert: Die Pinselstriche des Künstlers machen Falten, rote Ohren und hektisch Flecken oder radieren die Gesichter gleich aus. Zurück bleiben fette, farbige Schichten, unter denen sich die jeweilige Person verbirgt. Oder bricht Bornstein doch etwas auf? Ist das Krustige auf seinen Leinwänden die gesprengte Oberfläche, unter der er nach Ambivalenzen der von ihm geschätzten oder gefürchteten Charakteren sucht? „Wenn man ein Porträt malt, ist die eine Hälfte davon die Person, die man zu porträtieren versucht, und die andere Hälfte davon bist du selbst“, sagt Bornstein über seine Kunst. Mehr braucht es nicht, um Parallelen im Werk der Freunde zu entdecken.
Bleibt noch „Vaterfigur“. Drei Gemälde einer Serie von Bornstein tragen diesen Titel, ihre Figuren wirken allerdings ähnlich anonym wie die Porträts. Sie erinnern an übergroße Schnappschüsse aus dem Urlaub, die einer versehentlich überbelichtet hat. Oder an von Kindern gemachte Reißbilder, auf denen sich Farbflächen zu groben Motiven ineinander schieben. Die Männer auf diesen Bildern sind weit weg, eigentlich kaum (noch) auszumachen, im Verschwinden begriffen. Vielleicht waren sie das aber auch immer schon, und beide – Mühe wie Bornstein – mühen sich ab, hinter dem Idol den Menschen, den Vater zu erkennen.
„Vladimir und Estragon“, Skulpturenforum Hermann Noack, Berlin
Mo-Do 9–16 Uhr, Fr 9–15 Uhr
bis 12. Juli