Der Markt für die Kunst des 19. Jahrhunderts ist in Bewegung: Ein spektakulärer Single-Owner-Sale befeuerte im vergangenen Jahr die Orientalisten, das Interesse an Außenseitermotiven wächst
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02.07.2020
Jetzt ist es also passiert: Im vergangenen Jahr rutschten die Auktionsumsätze mit Kunst des 19. Jahrhunderts erstmals seit vielen Jahren unter 10 Prozent des gesamten Umsatzvolumens. Das zumindest ermittelte „Artprice“ im aktuellen Jahresbericht für 2019 und erklärt die schwindenden Zahlen einmal mehr mit dem Ausbleiben musealer Qualitäten. Mit dem verlässlichen Umsatzbringer Claude Monet konnte man es zum Glück wieder mal richten, zumal dieser sich zu Lebzeiten offensichtlich auf die Herstellung hochdotierter Museumsqualitäten spezialisiert hatte: 27 seiner Gemälde wurden allein 2019 versteigert, rund 20 fuhren siebenstellige Beträge ein, davon erhielten fünf sogar Höchstgebote in zweistelliger Millionenhöhe. Besonders erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass wir den neuen Rekordpreis von 97 Millionen Dollar, der Sotheby’s New York auf der Prestige-Auktion im Mai vergangenen Jahres mit Monets Abendstimmung „Meules“ gelang, angesichts der Datierung auf das Jahr 1890 besten Gewissens dem 19. Jahrhundert zuschlagen dürfen.
Dessen vormoderne Vertreter haben im Vergleich eher für verhaltenen Jubel gesorgt. Dabei gab es auch hier Aufregendes zu berichten – etwa die frischen Künstlerrekorde, die das Sotheby’s-Team in London am 22. Oktober mit bedeutenden Werken aus der „Najd Collection“ des saudischen Milliardärs und Orientalisten-Sammlers Nasser el Rashid aufstellen konnte. Erstmals nach Jahrzehnten gelangten bei diesem spektakulären „Evening Sale“ ausgesuchte Spitzenwerke von Größen des Genres wie Jean-Leon Gérome, Gustav Bauernfeind, Ludwig Deutsch und Rudolf Ernst wieder auf den Markt. Entsprechend enthusiastisch war die Resonanz, und die ermittelten Spitzenwerte könnten der Zugkraft ihrer Signaturen – Provenienzbonus hin oder her – durchaus langfristig Fahrt geben, auch wenn sich das Niveau der Offerte seither wieder auf Normalmaß eingependelt hat. Dafür spricht zumindest, dass auch Mitbewerber wie Christie’s und Bonhams ihre Akquise intensivierten, um ihre Kunden ebenfalls mit einem überzeugenden Warenangebot zu umwerben. Zum Teil mit beeindruckenden Resultaten, denn wie immer belebt Konkurrenz das Geschäft.
Für Gustav Bauernfeinds topografisch meist sehr zuverlässige Ansichten aus dem Nahen Osten waren zuletzt in der Auktionssaison 2007/08 Zwei-Millionen-Werte notiert worden. Seither war die Auswahl schmal und auch von schwankender Qualität, doch im April letzten Jahres präsentierte Christie’s London mit einem Blick auf den „Vorhof der Omaijaden-Moschee in Damaskus“ ein Hauptwerk von 1890, das neben der besonderen Begabung des Deutschen für Architektur-Motive – Bauernfeind war ausgebildeter Architekt – auch mit der verkaufsfördernden Exotik seiner Staffagefiguren punkten konnte. 3 Millionen Pfund bot der Käufer dafür, doch diese vorläufige Spitzennotierung wurde bereits sechs Monate später übertroffen, als Sotheby’s den noch reicher, noch lebendiger staffierten „Markt in Jaffa“ aus der Najd-Sammlung von 2,5 auf 3,1 Millionen Pfund hochziehen konnte. In diesem Fall liegen auch Vergleichsdaten zur Wertentwicklung des Bildes vor, denn 1985 hatte das New Yorker Team es bereits für 320 000 Dollar abgegeben.
Auch für den zu Lebzeiten vor allem wegen seiner schwülen Harems-Szenen geschätzten Salonmaler Jean-Leon Gérome war die Millionengrenze seit 2011 nicht mehr erreicht worden. Im letzten Jahr klappte es gleich viermal, obwohl die ambitionierten Taxen nur in einem Fall durchgesetzt werden konnten. In Anbetracht der illustren Herkunft hatte Sotheby’s eine typische Szene mit „Harem im Kiosk“ sowie das Motiv „Reiter durchqueren die Wüste“ jeweils mit überschwänglichen 3 Millionen Pfund bewertet. Auch wenn kein Interessent die Erwartungen annähernd erfüllen mochte, so reichte ein finales Gebot von 2,6 Millionen für die „Reiter“ immerhin für den aktuellen Bestwert, während der Käufer des „Harem“ bereits mit enttäuschenden 2,2 Millionen davonkam. Wenige Tage später gelang es Christie’s New York, für das Genre-Porträt „Markos Botsaris“, des sichtlich ermatteten Helden des griechischen Befreiungskrieges, mit einem Höchstgebot von 2,8 Millionen Dollar wenigstens die untere Taxe durchzusetzen.
Einleuchtender als für den von fortschrittlicheren Kollegen gelegentlich als „Pompier“ („Blender“) belächelten Traditionalisten Gérome kommunizierte man offenbar den höheren Marktwert des Österreichers Ludwig Deutsch, der kaum weniger vom Akademismus der Pariser Salonmalerei geprägt war als sein 30 Jahre älterer Kollege. Gerade seine teuersten Werke wurden durchgängig weit über Taxwert vermittelt. Seine Darstellungen vor allem aus dem Milieu islamischer Geistlichkeit hatten bereits mehrfach Millionenbeträge eingespielt, und nur wenige Wochen vor der Versteigerung von sieben seiner Gemälde aus der „Najd Collection“ hatte Bonhams, London, zwei Genre-Porträts für jeweils eine knappe Million Pfund vermittelt. Sotheby’s setzte Deutschs Hauptwerk „Das Opfer“ daraufhin gleich um eine halbe Million höher an, konnte den Zuschlag jedoch schließlich erst bei der neuen Bestmarke von 3,6 Millionen Pfund erteilen; zwei weitere Werke des Österreichers übersprangen am gleichen Abend ebenfalls die Million.
Im fernen Warschau vermeldete Desa Unicom gegen Jahresende auch für den Piloty-Schüler Josef von Brandt einen neuen Höchstpreis. Zwei seiner Gemälde, darunter ein weiteres orientalisches Motiv aus der Zeit des Türkensturms auf Wien, das nicht ohne Häme eine geschlagene türkische Einheit beim alles andere als glorreichen „Umzug mit der Beute“ zeigt, fanden für jeweils 2 Millionen Złoty (ca. 466.000 Euro) einen Käufer.
Ein weiterer Schüler der Münchner Akademie war der griechische Historienmaler Theodoros Patros Vryzakis, der sich in seiner Heimat vor allem als Chronist des griechischen Befreiungskrieges gegen das osmanische Reich profilierte. Obwohl er Zeit seines Lebens auch in München aktiv blieb, ist er in Deutschland heute wenig bekannt und wurde ironischerweise bislang fast ausschließlich in London gehandelt, zum Teil zu sechsstelligen Preisen. Da in seiner deutschen Wahlheimat aber noch kein Auktionsergebnis vorlag, gab man sich Anfang Dezember bei Neumeister, München, bescheiden und setzte das Porträt einer „Jungen Griechin“ mit unaufgeregten 20.000 Euro an; die Bieter hoben das attraktive Bildnis indessen kurz entschlossen auf marktgerechte 175.000 Euro.
Weitaus größere Zurückhaltung hatten sich die Münchner zuvor im Oktober bei der Einschätzung eines Landschaftsmotivs des Leibl-Gefährten Johann Sperl auferlegt: Der voraussichtliche Wert der Ansicht „Der Jenbach bei Bad Feilnbach mit Blick auf die Wendelsteingruppe“ war im Katalog lediglich mit verschmitzten 5000 Euro angegeben. Die vermeintliche Aussicht auf ein Schnäppchen, sicher aber wohl auch die stets willkommene topografische Zuordenbarkeit weckten indessen ungeahnte Begehrlichkeiten bei den Bietern, die die Stimmungslandschaft ohne Zögern auf 66.000 Euro hochtrieben – den höchsten Wert für ein Werk Sperls seit Jahren!
Das Münchner Auktionshaus hat mit kontinuierlich guten Ergebnissen in letzter Zeit auch entscheidend zur Revitalisierung des Markts für den über Jahre kaum mehr beachteten Münchner Kindermaler Hermann Kaulbach beigetragen. Vor allem in den USA war der Sohn Wilhelm von Kaulbachs in den Jahren um die Jahrtausendwende mit seinem Kinder-Genre gefragter als in seiner Heimat Deutschland. Das bislang höchste Resultat realisierte Freeman Fine Arts, Philadelphia, im Mai allerdings nicht mit einer der Kinder-Anekdoten, sondern mit der frühen Bibelhistorie „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ im getragenen Erzählmodus seines Lehrers Karl Theodor von Piloty. Ursprünglich waren dafür nur 8000 Dollar veranschlagt worden, sodass der Zuschlag bei erst 60.000 vermutlich auch für die Anbieter überraschend kam.
Überhaupt zeigen Käufer zunehmend auch Interesse an sonst eher beiläufig wahrgenommenen Außenseitermotiven. Während bei dem Veduten-Maler Michael Neher Preise über 50.000 Euro bisher ausschließlich für Ansichten deutscher Städte mit mittelalterlichen Kathedralen oder Profanbauten bezahlt wurden, gelangte im Mai bei Lempertz, Köln, mit dem Blick in „Eine Straße in Tivoli“ erstmals auch ein Motiv aus Nehers Italien-Aufenthalt in diese Preisgruppe – für das Kölner Auktionshaus kam das Ergebnis aber wohl wenig überraschend, denn man hatte es bereits in der Taxe antizipiert. Auch Galerie Kornfeld, Bern, realisierte mit 3 Millionen Franken für das seltene „Stillleben mit Tee und Schmelzbrötchen (Teegedeck)“ von Albert Anker das Dreifache der Schätzung und den höchsten Hammerpreis seit dem Zuschlag über 3,6 Millionen Franken für Ankers konventionelle Genre-Komposition „Das Winzerfest“ 2015 bei Koller, Zürich; im Gegensatz dazu musste das Haus in der gleichen Auktion die anmutige Kinderdarstellung „Mädchen mit Katze spielend (Le petit ami)“ bereits für 800.000 Franken – und damit 20 Prozent unter Taxe – abgeben.