Der Kunstmarkt für Antiken ist reich an Skandalen. Der Rückblick auf die vergangenen zwölf Monate zeigt: Höchste Qualität im Kleinstformat bringt Rekordpreise, dekorative Marmorskulpturen sind eine sichere Bank
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14.07.2020
Ein alljährlicher Rückblick auf den Handel mit antiker Kunst scheint ohne die Erwähnung eines Skandals leider nicht vollständig zu sein. Im Oktober 2018 war es ein assyrisches Relief, das der Irak zurückforderte, ein Jahr zuvor ein anatolisches Kylia-Idol, auf das die Türkei Anspruch erhob, und 2019 sorgte kein Geringerer als Tutanchamun für die entsprechenden Negativ-Schlagzeilen.
In allen drei Fällen ging es um außerordentliche Kunstwerke, die bei Christie’s versteigert wurden. Dieses Mal war der Kopf des Gottes Amun in der Gestalt des Pharaos Tutanchamun (18. Dynastie, 1333 – 1323 v. Chr.) der Stein des Anstoßes. Mit einer Erwartung von 4 Millionen Pfund war die Skulptur aus braunem Quarzit das Spitzenlos der Londoner Auktion „The Exceptional Sale“ am 4. Juli 2019. Ägypten hatte die Legitimität des Verkaufs angefochten – mit der Begründung, dass das Werk vermutlich in den 1970er-Jahren aus dem Karnak-Tempelkomplex in Luxor geplündert worden war. Christie’s hingegen beteuerte, die Provenienz umfangreich geprüft zu haben und zeigte sich erstaunt: Die Büste aus der privaten Resandro-Sammlung sei seit vielen Jahren bekannt gewesen und öffentlich ausgestellt worden, Ägypten habe sich bisher aber nie in dieser Form geäußert. Laut Christie’s hatte die Sammlung Resandro den Kopf 1985 von dem Münchner Galeristen Heinz Herzer gekauft. Davor sei das Stück im Besitz eines österreichischen Kunsthändlers gewesen, der es angeblich 1973 oder 1974 von Prinz Wilhelm von Thurn und Taxis erstanden habe. Dieser Teil der Geschichte wird jedoch angezweifelt.
Christie’s sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt und auch Vincent Geerling, Vorsitzender der International Association of Dealers in Ancient Art (IADAA), sieht das Vorgehen Ägyptens beispielhaft dafür, dass immer wieder versucht werde, Objekte, die auf den Markt kommen, zurückzuerlangen, ohne Beweise für einen illegitimen Verkauf vorzulegen. Stattdessen werde von den Händlern und Auktionshäusern verlangt, das Gegenteil zu beweisen.
Unbeeindruckt von den Forderungen Ägyptens schlug Christie’s den Kopf einem anonymen Bieter für 4 Millionen Pfund zu. Ägypten wiederum kündigte an, Interpol und private Anwälte einzuschalten. Wie auch immer die Sache ausgeht, Leidtragender ist auf jeden Fall das einzigartige Kunstwerk, dessen hohe Qualität in der Diskussion keine Rolle mehr spielte.
Der positive Höhepunkt des vergangenen Jahres spielte sich ebenfalls bei Christie’s ab, als am 29. April 2019 in New York im Single-Owner-Sale „Masterpieces in Miniature“ 40 exquisite Gemmen und Kameen versteigert wurden. Sie stammten aus dem Besitz des römischen Sammlers und Händlers Giorgio Sangiorgi (1887–1965) und konnten eine weit zurückreichende Provenienz vorweisen. Einige befanden sich einst in der gewaltigen Sammlung (780 Stück) von George Spencer, dem 4. Duke of Marlborough, die 1899 von Christie’s verkauft wurde. Alle 40 Lose wurden zugeschlagen und ließen ihre Taxen teils weit hinter sich. Insgesamt wurden über 10 Millionen Dollar umgesetzt, wovon über 7 Millionen auf das Getty Museum entfielen, das sich 17 der geschnittenen Steine sicherte.
Den höchsten Zuschlag erzielte mit 1,75 Millionen Dollar der sogenannte „Marlborough Antinous“, ein schwarzer Chalzedon aus der römischen Kaiserzeit mit dem Porträt des Antinoos (Taxe 300.000 Dollar). Ein Amethyst mit dem Porträt des griechischen Redners Demosthenes, signiert von Dioskourides, einem Gemmen-Schneider, der für Augustus arbeitete, brachte 1,3 Millionen Dollar (Taxe 200.000 Dollar). Zusammen mit 15 weiteren Meisterwerken im Kleinstformat waren sie bis zum 1. März 2020 im Getty Center in Los Angeles ausgestellt, danach in der Getty Villa in Malibu.
Auch abseits dieser herausragenden Sammlung war zu beobachten, dass es oft die kleinen Kunstwerke waren, die sensationelle Preise erzielten. So wurde ein griechischer Löwenkopfanhänger aus Gold (5. / 4. Jh. v. Chr.) ebenfalls bei Christie’s in New York Ende April 2019 von 70.000 auf 350.000 Dollar gehoben, ein ägyptisches Horus-Behdeti-Amulett aus blauem Chalzedon von 50.000 auf über 600.000 Dollar. Ein griechischer Goldring mit der Porträtbüste einer Ptolemäischen Königin (3. Jh. v. Chr.) stieg bei Bonhams in London Ende November 2019 von 6.000 auf 65.000 Pfund. In derselben Auktion überraschte ein kleines Fragment einer römischen Wandmalerei des 1. Jahrhunderts. Das mit einem Gorgonenhaupt in einem rautenförmigen Medaillon bemalte Bruchstück war auf lediglich 1200 Pfund geschätzt, brachte letztendlich jedoch 48.000 Pfund.
Bei den Marmorskulpturen beeinflusst die Größe den Preis durchaus. Weitere entscheidende Faktoren sind natürlich Qualität, Provenienz und Seltenheit. Die Ende Oktober in New York und Anfang Dezember 2019 in London von Christie’s durchgeführte Versteigerung „Faces of the Past: Ancient Sculpture from the Collection of Dr.Anton Pestalozzi“ führte die enorme Preisspanne vor Augen: Einen Nero-Kopf gab es bereits für 15.000 Pfund, während für einen Kopf von Julius Caesar 450.000 Pfund fällig waren.
Der Archäologe Ernst Langlotz stellte 1952 in einem Artikel für die Weltkunst (Ausgabe 11/1952) über eine überlebensgroße Porträtbüste des Kaisers Albinus (192 – 193) fest, dass die meisten plastischen Bildnisse römischer Kaiser aufgrund der großen Menge, die im gesamten Reich verteilt wurde, qualitativ geringwertig waren. Außerdem seien viele dieser Bildnisse bis zum Ende des 19. Jahrhunderts „in mehr oder minder gewissenloser Weise von Restauratoren gereinigt und egalisiert worden, um den ästhetischen Bedürfnissen der Zeitgenossen zu genügen.“ Mit großer Begeisterung publizierte er daher die aus einer Privatsammlung stammende Büste herausragender Qualität. Der Kunstmarkt sah das knapp 70 Jahre später nicht anders. Denn die 1952 noch Albinus zugeschriebene Marmorskulptur kam am 29. April 2019 bei Christie’s in New York als Porträtbüste des Kaisers Didius Julianus zum Aufruf. Der regierte im Jahr 193 gerade mal 66 Tage, bis er von einem Soldaten ermordet wurde. Nur zwei weitere Büsten von ihm sind bekannt (Palazzo Braschi in Rom und im Vatikan). Ein anonymer Bieter musste bis 4 Millionen Dollar gehen, um das auf 1,2 Millionen Dollar geschätzte Meisterwerk zu bekommen.
Einen stattlichen Gewinn erzielte der britische Investment-Manager Christian Levett mit einer 2,08 Meter großen Marmorskulptur Hadrians, die er 2008 bei Christie’s in New York für 750 000 Dollar ersteigert hatte. Rund zehn Jahre schmückte der sogenannte „Cobham Hall Hadrian“ das von Levett 2009 gegründete „Mougins Museum of Classical Art“ im Süden Frankreichs. Am 29. Oktober 2019 wurde der römische Kaiser als „one of the finest ancient statues from the Grand Tour era of collecting” erneut bei Christie’s in New York aufgerufen und bei 5 Millionen Dollar zugeschlagen.
Eine Besonderheit waren auch die beiden römischen Marmorskulpturen keltischer Jagdhunde, die am 3. Juli 2019 bei Bonhams in London zum Aufruf kamen. Die Provenienz der jeweils rund 70 Zentimeter großen Hunde ließ sich bis zu ihrer Auffindung 1795 / 96 in den Ruinen der Villa des Antoninus Pius zurückverfolgen. So war es nicht sehr überraschend, dass die publizierten und durch die Namen mehrerer prominenter Vorbesitzer geadelten Skulpturen ihren Schätzpreis von 200.000 Pfund mehr als verdreifachten. Sotheby’s erzielte mit einem marktfrischen römischen Relief, das sich seit dem 19. Jahrhundert in der gleichen Privatsammlung (Schickler-Pourtalés) befunden hatte, ebenfalls ein ausgezeichnetes Ergebnis. Die runde Marmorscheibe aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. zeigt auf der einen Seite einen jungen Satyrn, auf der anderen eine tanzende Mänade. Ihr Preis stieg in der Londoner Auktion Anfang Juli 2019 mühelos von 150.000 auf fast 1 Million Pfund.
Auf deutschen Auktionen tauchen nur selten Antiken in dieser Preisklasse auf. Doch die Offerte der spezialisierten Häuser Gorny & Mosch, Gerhard Hirsch Nachfolger und Hermann Historica bewies erneut, dass es auch für deutlich weniger Geld bemerkenswerte Stücke auf dem Markt gibt. Der im letzten Jahr nach Grasbrunn bei München gezogene Waffenexperte Hermann Historica hatte beispielsweise zahlreiche Helme – vom assyrischen Spitzhelm des 8. / 7. Jahrhunderts v. Chr. bis zum römischen Infanteriehelm – im Angebot. Die Zuschlagpreise bewegten sich zwischen 10.000 und 17.000 Euro.
Bei Gorny & Mosch (München) fielen einige Objekte aus Bronze ins Auge. Im Dezember 2019 zwei Gefäße, eine griechische Hydria des späten 5. Jahrhunderts v. Chr., die von 7500 auf 14.000 Euro kletterte, und eine römische Kanne mit figürlichem Griff aus dem 2. / 3. Jahrhundert, die von 5000 auf 36.000 Euro gehoben wurde. Und im Juni 2019 zwei jeweils rund 20 Zentimeter große Plastiken aus der römischen Kaiserzeit: Der Hohlguss einer Isis-Fortuna stieg von 12.000 auf 16.000 Euro, der Vollguss eines Hermes von 15.000 auf 55.000 Euro. Ein Preis, der die herausragende Qualität der Figur widerspiegelt, deren Augen in Silber, Lippen und Brustwarzen in Kupfer eingelegt sind.
Gerhard Hirsch (München) war mit deutlich über 100 Losen pro Versteigerung vor allem beim antiken Schmuck sehr gut aufgestellt. Für den größten Umsatz sorgten in der Auktion am 11. Februar 2020 aber die ägyptischen Artefakte: Ein Kalksteinrelief mit rot-brauner Bemalung (Altes Reich, 5. Dynastie, 2504 – 2347 v. Chr.) brachte 36.000 Euro, der 125 Kilogramm schwere obere Teil der Statue eines Stabträgers aus grauem Stein (Neues Reich, frühe 19. Dynastie, 13. Jh. v. Chr.) realisierte 50.000 Euro.
Was die Höhe der Zuschläge angeht, hatte in Deutschland jedoch ein anderes, nicht auf die Kunst der Antike spezialisiertes Haus die Nase vorn. Während es den Münchner Kollegen nicht gelang, spektakuläre Marmorskulpturen zu akquirieren, hatte Hampel in den Auktionen im Juni, September und Dezember 2019 jeweils römische Werke im Programm, die fünf- bis sechsstellige Zuschlagpreise erzielten. Die Bandbreite reichte von einem Marmorkopf antoninischer Zeit (Zuschlag 150.000 Euro) über ein großes Relief mit der Darstellung eines Pferdeführers (Zuschlag 84.000 Euro) bis hin zu der lebensgroßen Figur des Kriegsgottes Mars aus der Sammlung des chilenischen Malers Claudio Bravo (1936 – 2011), die inklusive Aufgeld sogar die Millionengrenze überschritt.
JAN KOHLHAAS studierte in Tübingen und Pisa Klassische Archäologie, Ur- und Frühgeschichte und Alte Geschichte. Er war an zahlreichen Ausgrabun- gen im In- und Ausland beteiligt, insbesondere in der etruskischen Höhensiedlung Castellina del Marangone nördlich von Rom. Nach dem Studium war er acht Jahre für das Auktionshaus Zeller in Lindau tätig, bis er beschloss, erneut die Seiten zu wechseln. Heute ist er Redakteur bei KUNST UND AUKTIONEN.