Johann Heinrich Roos gilt als einer der bedeutendsten barocken Tiermaler. Doch seine Preise auf dem Kunstmarkt sinken – ein Phänomen, das kaum zu erklären ist
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13.09.2020
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 13
Als „Raffael aller Viehmaler“ feierte der Historiker Heinrich Sebastian Hüsgen überschwänglich den zuletzt in Frankfurt tätigen Porträt-, Tier- und Landschaftsmaler Johann Heinrich Roos. Ähnlich bewundernd kommentierte auch Huesgens Zeitgenosse Goethe den eindringlichen Realismus seiner Tierdarstellungen. Obwohl der Künstler seine Modelle in seinen idealen, mild durchsonnten Landschafts-Settings meist in friedvoller Beschaulichkeit präsentierte, wurde ihm angeblich sogar richtig bang beim Anblick seiner Bilder, wenn auch seine geäußerte Furcht, darüber selbst zum Tier zu werden, wohl nicht ganz ernst zu nehmen ist.
Wie viele deutsche Barockkünstler sank der bis zum Anbruch der Romantik gefeierte Roos (Otterberg oder Reipoltskirchen 1631 – 1685 Frankfurt / Main) im Urteil des 19. Jahrhunderts allerdings umso tiefer. Noch 1891 fühlte sich Wilhelm von Bode zu einem allgemeinen Rundumschlag gegen die deutsche Barockmalerei verpflichtet, wobei er kaum eines der gängigen Vorurteile seiner Zeit ausließ. Und da er schon einmal dabei war, zerriss er gleich auch Roos’ Leistung in der Luft: Seine Bilder seien „überfüllt und unkünstlerisch in der Komposition, gewöhnlich in den Formen, hart und unerfreulich in Ton und Farbe“, wetterte er, doch die Voreingenommenheit seines Tunnelblicks wirkte nicht mehr lange nach: In der Darmstädter „Jahrhundertausstellung deutscher Kunst 1650 – 1800“ von 1914 fand man zu einer neuen Sicht auf das Werk des lange Geschmähten, und inzwischen gilt er noch vor seinem Sohn Philipp Peter, dem unter dem Namen Rosa di Tivoli in Rom mit seinen dramatisch angelegten Tierstücken sogar eine europaweite Karriere gelang, als einer der wichtigsten deutschen Repräsentanten barocker Tiermalerei.
Tatsächlich begann der in Amsterdam bei Guilliam Dujardin, Cornelis de Bie und Barent Graat ausgebildete Künstler seine Karriere als Porträtmaler: Sein erstes gesichertes Gemälde ist ein 1654 entstandenes Bildnis Prinz Karls, des damals erst dreijährigen Sohns des pfälzischen Kurfürsten. Auch spätere Aufträge des kurfürstlichen Hofs bezogen sich in der Regel auf Porträt-Arbeiten. Erst mit seiner Übersiedlung nach Frankfurt / Main 1657 erschloss sich ihm ein überwiegend bürgerlicher Kundenkreis, dessen Selbstdarstellung die von seinen höfischen Auftraggebern erwarteten Repräsentationsformeln obsolet machte.
Vor allem waren es aber wohl seine von den Niederländern inspirierten Tierdarstellungen, die ihn über Deutschland hinaus bekannt machten und dem Vitensammler Joachim von Sandrart zufolge nach England, Frankreich und Italien exportiert wurden. Der dortigen Mode entsprechend, konzentrierte sich Roos überwiegend auf Szenen mit Weidevieh wie Rindern, Schafen und Ziegen in arkadisch ausgeleuchteten Pastorallandschaften. Seine Expertise als Bildnismaler nutzte er für seine menschlichen Figuren allerdings nur eingeschränkt, denn diese blieben weitgehend auf ihre Funktion als Staffage beschränkt und nahmen im Kontext der Komposition kaum je eine prominente Rolle ein. Integrierte er ein anekdotisches Element, inszenierte er überwiegend die Tiere als eigentliche Handlungsträger, begnügte sich jedoch meist mit der Ausgestaltung des der jeweiligen Tierart zugeschriebenen Symbolgehalts.
Noch Auktionsverzeichnisse des 18. Jahrhunderts weisen Johann Heinrich Roos als einen der höchstgehandelten Maler seiner Epoche aus, doch auf dem heutigen Markt ist von seiner oft beschworenen „Wiederentdeckung“ wenig zu spüren. Mit durchschnittlich rund einem halben Dutzend Ölgemälden pro Jahr war die Offerte der letzten zehn Jahre gegenüber der vorigen Dekade zwar deutlich ausgedünnt, doch trotzdem ließen die Käufer ungerührt mehr als 60 Prozent der Ware zurückgehen. Demgegenüber konnte vor 2010 immerhin noch gut die Hälfte der Lose vermittelt werden. Auch die aktuellen Preise spiegeln den Rückgang der Nachfrage. Lag es an der nachlassenden Qualität des Angebots oder der mangelnden Bereitschaft mancher Anbieter, in eine zufriedenstellende Recherche zu investieren? Der Anteil der Billigzuschläge bis 2000 Euro stieg jedenfalls kaum erklärlich auf nahezu das Fünffache und liegt derzeit bei knapp 30 Prozent. Nur noch ein Drittel der Lose erzielte mehr als 5000 Euro, zuvor waren es mehr als die Hälfte. Der Anteil fünfstelliger Lose blieb mit rund 30 Prozent zwar etwa konstant, ist in absoluten Zahlen jedoch ebenfalls rückläufig. Ergebnisse über 30 000 Euro blieben ganz aus.
Zwar werden Roos’ Gemälde immer noch international gehandelt, doch die schwindenden Umsätze drosselten das Interesse außerhalb Deutschlands spürbar, sodass nationale Häuser statt wie zuvor nur 30 Prozent mittlerweile fast die Hälfte der Offerte bestreiten. Zum Teil verantwortlich für den sinkenden Kurs ist wohl auch das gebremste Engagement von Marktführern wie Christie’s und vor allem Sotheby’s, wo in den Jahren um die Jahrtausendwende immerhin einige Werte über 50 000 Euro notiert wurden. Damit verloren London und New York als Umschlagplätze an Bedeutung. Auf der Suche nach einer Alternative setzten Einlieferer seit 2014 verstärkt auf Paris, wo immer noch ein dankbarer Markt für Altmeister besteht, doch überdurchschnittliche Zahlen wurden kaum vermeldet.
Der Top-Zuschlag des vergangenen Jahrzehnts liegt bereits neun Jahre zurück: Im November 2011 konnte bei Sotheby’s, London, eine 1658 datierte „Landschaft mit Hirten und ihrer Herde bei der Rast“ überraschend von geschätzten 7000 auf 16 000 Pfund (nach damaligem Kurs rund 23 000 Euro) hochgezogen werden – der erste Wert über 20 000 Euro seit 2007! Allzu hochgestimmte Erwartungen wurden hingegen oft enttäuscht. So schrieb das Wiener Dorotheum im Oktober 2013 mit dem Hammerpreis 20 100 Euro für eine „Hirtenfamilie mit ihrer Herde vor einer Gebirgskulisse“ von 1675 zwar einen weiteren Bestwert, blieb damit jedoch deutlich hinter der Taxe (25 000 Euro) zurück.
Mit einer Offerte von 17 Ölgemälden war 2014 das wohl aktivste Auktionsjahr für Roos überhaupt. Die Resonanz auf die unerwartet breite Auswahl war indessen durchwachsen: Anfang Mai konnte Bonhams, New York, den Schätzpreis von 15 000 Dollar für das Gemälde „Reisende mit ihrem Vieh bei der Rast in klassischen Ruinen“ immerhin um 2000 Dollar verbessern, während zehn Tage darauf Lempertz, Köln, für eine „Südliche Landschaft mit Schäfern und Herde“ nicht mehr als die angedachten 5000 Euro realisierte. Gegen Ende des Monats präsentierte Bassenge, Berlin, mit dem 1681 gemalten „Porträt des Johann Balthasar Ritter d. J., Reformprediger in Frankfurt“ eines der selten gehandelten Bildnisse des Malers, das sich prompt von 3500 auf 11 000 Euro verbessern konnte.
Im gleichen Jahr gelang Hampel, München, für die Juni-Auktion die Akquisition des Außenseiter-Motivs „Jagdstillleben in Landschaft“ aus dem Jahr 1674. Angesichts der Qualität und Seltenheit des Themas schien die Erwartung von 30 000 Euro zunächst nicht einmal überzogen, doch die Bieter urteilten strenger und ließen bereits bei 22 000 Euro die Hände sinken. Anfang des Jahres hatte Sotheby’s, London, das Doppelbildnis eines Ehepaars in modisch antikisierendem Setting noch recht beherzt als „Selbstbildnis des Künstlers mit seiner Frau in arkadischer Landschaft“ präsentiert, dafür jedoch nicht mehr als 5500 Pfund realisiert. Bereits im April 2015 tauchte es bei Stahl, Hamburg, wieder auf, doch offenbar mochte man dort nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass sich Roos in dem vierschrötigen Rotbart mit den strammen Waden wirklich selbst dargestellt hatte, und bot das Bild nun lieber als anonymes „Schäferpaar“ an. Die Contenance der Hanseaten zahlte sich aus, denn diesmal fand sich ein Käufer, der bis 18 000 Euro ging, um den Zuschlag zu erhalten.
Das vorerst letzte fünfstellige Ergebnis gelang Christie’s, London, 2017 für eine „Pastorallandschaft mit schlafendem Hirten, Rindern, Ziegen und Schafen“, die sich immerhin von 7000 auf 13 000 Pfund verbesserte. Danach waren die Bieter nicht einmal mehr zu bewegen, über die Schwelle von 5000 Euro hinauszugehen, und so blieb auch die Komposition „Hirte und seine Herde in italienischer Landschaft“ trotz dekorativen Großformats im Februar 2018 bei Artcurial, Paris, bei 3200 Euro stehen. Die Offerte des letzten Jahres war offenbar noch weniger verlockend: Sechs von sieben Losen mussten zurückgenommen werden, und nur ein Gemälde konnte gegen ein Gnadengebot von weniger als 1000 Euro an den Mann gebracht werden.
Hermann Jedding, Johann Heinrich Roos: Werke einer Pfälzer Tiermalerfamilie in den Galerien Europas, Mainz 1998