Daniel Richter

„Wann ist das beschissene Bild das richtig gute?“

Der deutsche Maler Daniel Richter ist ein Star der internationalen Kunstszene. Jetzt möchte er Österreicher werden – vielleicht. Ein Gespräch über Malerei, moderne Medizin und seine Ziele im Leben

Von Sebastian C. Strenger
21.10.2020
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 15

Erst flog der 1962 in Eutin geborene und in Lütjenburg aufgewachsene Maler Daniel Richter von der Schule, dann lebte er lange Jahre als Punk in der Hausbesetzer-Szene Hamburgs. Anfang der Neunzigerjahre bewarb sich Richter dann an der Hamburger Hochschule für bildende Künste, wo er auf Empfehlung seines späteren Professors Werner Büttner auch genommen wurde. Später wurde er Assistent von Albert Oehlen. Mit der Jahrtausendwende avancierte Richter dann zum Star der internationalen Maler-Szene – heute liegen seine Großformate im sechsstelligen Bereich. Bei der Versteigerung der Olbricht Collection bei Van Ham Ende September erzielte ein Werk von 2001 den Zuschlag von 340.000 Euro. Eine 2004 erlangte Professur an der UdK Berlin schmiss der Künstler bereits 2005 wieder hin, um einem Ruf an die Akademie der bildenden Künste Wien zu folgen, wo er seit 2006 unterrichtet. Dort lernte er die Wiener Künstlerin Hanna Putz (* 1987) kennen – einst ein internationales Model, heute Fotografin und Studentin der Politikwissenschaft und Philosophie. Gemeinsam betreiben sie den Wiener Kunstbuchverlag „Pampam Publishing“ und leben mit zwei Papageien in Berlin-Schöneberg – dem historischem Boheme-Viertel der Hauptstadt. Vor Kurzem haben die beiden geheiratet. Nun möchte Richter Österreicher werden – Anlass für ein Gespräch über Sinn und Unsinn im Leben und in der Kunst.

Wie fing das mit der Kunst überhaupt an?

Ich hatte eine ganz kurze Phase – nachdem ich wegen meiner Probleme mit Autoritäten von der Schule geflogen bin –, in der ich im Zuge der üblichen juvenilen Punk-Selbstermächtigungs-Wahnsinnigkeit ein Jahr lang ziemlich intensiv gemalt habe. Ich kannte Hamburg, die Hamburger Szene – das war 1979/80.

Was waren das für Bilder?

Wie malt man mit 18 Jahren, beseelt vom Geist der Rebellion und des Widerspruchs? Wahrscheinlich etwas Zusammengestümpertes aus Marcel Duchamp, Albert Oehlen, Max Beckmann und Werner Büttner, bei dem ich dann auch zehn Jahre später studiert habe. Welche Helden der Kindheit gab es noch? Nee – das war’s wohl auch schon!

Welcher Maler hat dich am meisten beeinflusst?

Büttner, Oehlen, aber auch Martin Kippenberger. Denn diese Künstler hatten so eine Selbstreflexion: Wohl wissend, dass Malerei die Welt nicht ändern wird, taten sie so, als ob sie es doch könnte. Dieser großmäulige, revolutionäre Anspruch hat mich interessiert, da es nicht um Schönheit sondern um Wahrheit ging.

Also wie bei den „Neuen Wilden“ in den Achtzigern?

Ich glaube, die Neuen Wilden waren eher in Berlin und Köln zu finden und haben das Ganze weniger grundsätzlich begriffen, vielmehr subjektivistisch, leicht anti-rationalistisch. Rationalität, Skepsis, Argumentation / Taktik: Dieser künstlerische Kern ist ja zumindest eine Zeit lang bei Oehlen, Kippenberger und Büttner sehr präsent. Es geht hier eben nicht um das Ausdrücken verklebter Gefühle oder eine Rebellion gegen die Konzeptkunst: Es geht um den Gedanken des Konzepts – angewendet auf die Malerei. Nur eben nicht in einer so puristischen, sondern in einer bewusst schmutzigen Form. Also: Wann ist das richtig beschissene Bild das richtig gute Bild? Oder eben auch nicht …

Der politische Diskurs ist das eine, aber der Ansatz hat auch etwas Therapeutisches.

Ich glaube, der Ansatz hat nichts Therapeutisches. In erster Linie ist es ein guter Ansatz, um quasi eine One-Man-Partei aufzumachen und von da aus mit dem Finger auf andere zu zeigen. Was zu bewegen! (Großes Lachen). Am liebsten das Geld aus dem Portemonnaie des Bürgers in die eigene Tasche.

Aber man kann doch vielleicht entscheiden, wo so ein Bild endet. Entweder im Louvre oder bei Tante Emma…

Der Umweg führt ja hoffentlich über Tante Emma in den Louvre!

Daniel Richter, Das Recht, 2001
Daniel Richters Ölgemälde “Das Recht” von 2001 (256 x 370 cm) wurde am 26. September bei Van Ham in Köln bei 340.000 Euro zugeschlagen. © Van Ham, Köln

Seit 2006 hast Du eine Professur in Wien. Wie passen Österreich und Du zusammen?

Ich bin ein österreichisches Thema. Österreich ist nicht nur das süßere Deutschland, sondern auch das schärfere und bösartigere Deutschland. Das kleinere zwar – und deswegen nicht so gefährlich –, aber auch das attraktivere. Außerdem: Wenn du im Ausland sagst: „I’m from Austria“ – dann fragen einen die Leute immer gleich nach Kängurus. Aber wenn du sagst, du bist Deutscher, kommt natürlich sofort der Name des Mannes, dessen Namen ich nicht nennen will. Und der ist ja Original-Österreicher! Aber er ist eben in der Welt als Deutscher bekannt. Und mir geht es eben persönlich darum, das Umgekehrte zu rezipieren. An mir!

Daher jüngst Deine Heirat mit der Wienerin Hanna Putz?

Wie Hanna selbst auch schon mutmaßte: Ich habe sie unter anderem geheiratet, um zu austrianisieren.

Wie war das Kennenlernen? Man lässt sich ja auf eine Persönlichkeit ein. Spielen da äußere Kriterien eine Rolle – etwa das Alter?

Schon – beispielsweise in Witzen von Buchhändlern wie: „Sollen die Bücher Ihrer Tochter auch auf Ihre Rechnung…“

Also: Wenn Du 80 Jahre alt bist, dann ist sie gerade 55. Teilt man da noch die gleichen Bedürfnisse?

Wenn das Bedürfnis Kommunikation, Verständnis und Austausch ist, auch die Sorge um Menschen, die einen umgeben, dann – glaube ich – ändert sich nichts. Was sich aber ändern wird: Ich werde natürlich verbitterter, rechthaberischer, egomanischer, sentimentaler, weinerlicher und aggressiver werden (beiderseits großes Gelächter).

Mmh …

Ich mache jetzt Witze. Für Prognosen bin ich nicht zu haben. Das halte ich für Zeitverschwendung. Hinterher hat’s noch jeder besser gewusst.

Was kann man dieser Hellseherei mit ihren Wahrsagern denn entgegensetzen?

Moderne Medizin. Die Möglichkeiten für Reiche, endlos zu leben und allen auf den Sack zu gehen (mit endloser Besserwisserei, speziell von weißen Männern), werden – in Anbetracht von Top-Ärzten, die an der Optimierung von Menschen arbeiten, die ihr Leben mit Drogen, Völlerei und Nichtstun verplempern – pro Jahr überproportional steigen. Ungefähr so: Ausschweifung, Kokain, Halligalli, dummes Leben und dann BANG – direkt ins Wellnes-Center, wo man wieder eingenordet wird. Dann kriegt man wieder neues Blut, neuen Sauerstoff, lecker Essen, vegan, Yoga, das ultimative Fitness-Training – und was weiß ich! Das kann endlos so weitergehen!

Was ist denn (D)ein Ziel im Leben? Erst neulich las mir Franz Erhard Walther einen Tagebucheintrag aus der Zeit vor, in der er sich mit Gerhard Richter ein Atelier in Düsseldorf teilte. Richter ging immer pünktlich mit der Aktentasche nach Hause. Und als Walther zu ihm meinte: „So wirst Du keinen Erfolg haben“, meinte Richter: „Ich werde der Erste von uns sein, der Porsche fährt!“ Gibt es auch bei Dir Dinge, die für Dich einen großen Nimbus besitzen?

Ich gehöre eindeutig zu den Ambitionslosesten und werde sicherlich der Letzte sein, der Porsche fährt. Ich habe keine Kunstsammlung – selbst Dinge, die mir etwas bedeuten, sind mir materiell egal. Ich höre gerne Musik.

Du hast mit „Buback“ seit 2005 ein eigenes Plattenlabel …

Ja, weil ich es interessant finde, produktiver Teil einer besseren Gesellschaft zu sein.

Aber was wäre denn das ehrgeizigste Ziel, das Du gerne mit dem Label umsetzen würdest?

Die Machtergreifung! (Beiderseits großes Gelächter).

Mit Jonathan Meese, oder wie?

Nein, im Ernst. Tatsächlich ist es mein Ziel zu lieben und geliebt zu werden – das finde ich ganz gut; auch sozial verantwortlich zu handeln (klingt ein bisschen langweilig) und das Böse auf allen Seiten zu bekämpfen, sodass Dummheit, Niedertracht, Mittelmaß und die Tendenz des Menschen, sich zur Mitte zu bewegen, nicht die Oberhand gewinnen. Ich bin für scharfe Kapitalismuskritik und Sozialismus mit menschlichem Antlitz.

Aber da wird es doch vielleicht schwierig, wenn man dem Mittelmaß überall ausgesetzt ist…

Ich weiß, aber das kratzt mich nicht. Die Frage ist doch, was Mittelmaß ist – ein mittelguter Lebensstil oder ein mittelmäßiger Denker? Ich jedenfalls lehne revolutionäre Ansprüche ab. Ich würde gerne sehen, dass die Welt vor meinem Ende besser geworden ist, nicht schlechter. Einfach so – für mein Kind und all die Menschen, die ich liebe. Für den Hobby-Hegelianer in mir, für den Weltgeist, für den Weltfrieden, die kulturelle Produktion und auch für die Lesben und Schwulen im Südsudan. Aber dazu werde ich mit meiner Malerei nicht beitragen – das muss man ganz ehrlich sagen!

Was wäre denn das Beste, das Deine Bilder leisten könnten?

(Pause und Lachen). Waffen sammeln für die Abschaffung des Schlechten. Heikle Angelegenheit – ich weiß es wirklich nicht.

Wie groß ist denn Deine jährliche Produktion?

So zwischen sieben und 30 Werken. Es gab Jahre, in denen es gar keine gab – das war etwa 2011 / 12 und hing mit persönlichen Entwicklungen zusammen. Weniger mit dem Finanzcrash durch Lehman Brothers, vielmehr mit Zweifeln an der eigenen Arbeit und Langeweile. Normal, kennt jeder: Langeweile. Das ist wie mit den Zahnschmerzen – die sind auch per se langweilig, aber für den, der sie hat, unerträglich. Da hatte ich also lange Zahnschmerzen!

Und danach hast Du Dich dann neu erfunden in Deiner Malerei?

Ich glaube, das ist zu hoch gegriffen. Ich würde sagen, ich habe einfach das Tätigkeitsfeld erweitert. Es war vielleicht eine größere Zäsur als andere Zäsuren zuvor. Alles in allem war es aber – glaube ich – eine Genese, die man nachvollziehen kann. Wenn sich das nicht nachvollziehen ließe, dann stünde man vor dem, was man an Francis Picabia in schlechten Phasen auch gut sehen kann – nämlich: Dass seine Werke einfach nur Scherze sind. Oder dass jemand eben auch ein Chamäleon sein kann.

Du hast gerade das Plattencover zu „10 Jahre Abfuck“ von „Zugezogen Maskulin“ gestaltet. Deine Werke waren zuletzt in der Londoner Whitechapel Gallery zu sehen („Radical Realism“), davor bei Ropac in Salzburg („Good-bye Daddy“) und in Lütjenburg („Hallo Mama“). München kommt im Februar, später im Jahr noch eine Ausstellung bei Ropac in Paris …

Mir macht das Spaß. Und ich sehe immer noch sehr viele Möglichkeiten, weitere Bilder zu malen und in verschiedene Richtungen zu gehen. Das ist angenehm. Das ist, als hätte sich ein Handwerker eigene, unbekannte Werkzeuge gebaut und diese Werkzeuge zu beherrschen gelernt – und nun kann er damit schlechte neue Schränke bauen.

Heißt das, mit Deiner Frau wird sich die kommende Produktion nach Wien verlagern?

Wenn ich meine Psyche richtig begreife, fühle ich mich überall da, wo ich wohne, unwohl. Das heißt, es ist einfach schlauer, in Berlin zu bleiben – in diesem Berlin, das immer gerne New York gewesen wäre, aber nicht mal Hannover schafft –, und mir Wien durch einen Umzug nicht zu vermiesen.

Heißt das, Du gehst eine Verbindung mit großer Unverbindlichkeit ein?

Wenn man so wollte, ja!

Also ähnlich wie bei Deinen Papageien im Atelier?

Ich hänge sehr an ihnen. Und doch gehen sie mir höllisch auf die Nerven. Denn Papageien reagieren auf Musik – und wenn sie ihnen nicht gefällt, dann machen sie wahnsinnigen Krach. Seitdem ich die beiden Papageien in meinem Atelier habe, höre ich wesentlich weniger Musik. Und das führt zu einer leichten Verblödung, da Musik auch Gedanken hervorbringt. Jetzt denke ich aber den ganzen Tag: „Ich bringe diese Papageien um!“ Und dann finde ich sie aber auch immer wieder sehr sympathisch, possierlich und albern, aber auch ganz herzerweichend. Ich werde sie verkaufen müssen; oder verschenken; oder freilassen. Ich weiß es noch nicht.

Wie alt werden diese Vögel denn durchschnittlich?

Meine Grünzügelpapageien sind jetzt drei Jahre und werden 40!

Aber dann…

… werden sie mich überleben! Außer man macht das, was man macht, wenn man älter wird und sich ans Leben klammert – mit Blutaustausch, Fitnesstraining und Power-Yoga. Mit Spritzen jeden zweiten Tag, Body Control, Haarimplantation, Körperaustausch – und morgens, mittags, abends Viagra. So sieht’s aus.

Vielen Dank für das Gespräch.

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