Während bei Silberobjekten sogenannte Mittelware meist günstig zu haben ist, erzielen außergewöhnliche Stücke sensationelle Preise auf dem Kunstmarkt
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05.11.2020
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Kunst und Auktionen Nr. 15
In den letzten zwölf Monaten wurde Silber wieder einmal in allen Kategorien angeboten. „Mittelware“ ging meist günstig weg – außergewöhnliche Objekte waren nach wie vor gefragt. Die führende englische Silberhandlung Koopman in London beispielsweise konnte in der ersten Jahreshälfte für 150.000 Pfund eine große Londoner Warwick-Vase (1818) von Solomon Royes & John East Dix verkaufen; und für 185.000 Pfund einen von Frederiks Andries in Amsterdam montierten Kokosnuss-Deckelpokal (1607). Auch mit der Nachfrage auf der Kunstmesse Tefaf in Maastricht, die im März zwar eröffnet, dann aber wegen SARS-CoV-2-Infizierungen vorzeitig geschlossen werden musste, zeigte sich Koopmann-Direktor Lewis Smith zufrieden – dort konnte er beispielsweise einen imposanten, 1817 von Paul Storr geschaffenen Tafelaufsatz absetzen.
Auch Fred Matzke, der seit dem Tod seiner Frau Helga die traditionsreiche Grünwalder Kunsthandlung mit Tafel- und Sammelsilber des 16. bis 19. Jahrhunderts weiterführt, konnte auf der Messe knapp zehn Verkäufe tätigen – allerdings vorwiegend unterhalb von 20.000 Euro. Alle großen, teils bereits verabredeten Geschäfte kamen aufgrund der verkürzten Laufzeit bedauerlicherweise nicht mehr zum Abschluss. Auch die für Matzke wichtige Ausstellung im Museum der Krakauer Salinen in Wieliczka, die mit einer Vielzahl von Leihgaben aus seinem Bestand aufwarten wollte, musste aufgrund der Pandemie abgesagt werden.
Hochkarätige Silberobjekte nehmen freilich auch bei den international führenden Generalisten einen bedeutenden Platz ein. Dazu zählt die Galerie Neuse in Bremen, deren Schwerpunkt auf höfischem Kunsthandwerk liegt. Im Bereich der außergewöhnlichen Stücke, so Geschäftsführer Achim Neuse, sei nicht die Nachfrage das Problem, sondern die Akquise. Im letzten Herbst hat er zwei Delfter Renaissance-Tazze von Nicolas Adriaesz de Grebber im siebenstelligen Euro-Bereich an seine langjährigen Kunden Rose-Marie und Eijk de Mol van Otterloo verkauft. Das niederländische Sammlerpaar, das in den USA lebt, hat die reich reliefierten Stücke mit allegorischen Darstellungen zu „Erde“ und „Sommer“ dem Museum of Fine Art in Boston als Leihgabe überlassen. Gegenwärtig werden die ausführlich in der Literatur gewürdigten Prachtexemplare in der Sonderschau „Zilver, Meesterstukken van Delftse Zilversmeden 1590 – 1800“ im Museum Prinsenhof in Delft präsentiert (bis 3. Januar 2021).
Zudem erobert Neuse seit Jahren den Markt für exzellentes Historismus-Silber. Zwei Raritäten konnte er an große französische Museen abgeben: Der Louvre erwarb eine Achat-Deckelschale (Paris, um 1845), signiert von Jean Baptiste und Jules Fossin; und das Musée d’Orsay kaufte eine bronzene Canthare-Vase von C. Servin aus dem Jahr 1867, die reich mit teils vergoldetem Silber inkrustiert und verziert ist.
Auch Peter Mühlbauer aus Pocking hat Erfolg mit dem Besonderen. Die Munich Highlights 2019 waren seine beste Münchner Messe, sagt er. Damals konnte Mühlbauer für über 800.000 Euro Objekte an einen Spezialsammler weiterreichen. Eine Augsburger Silberschatulle des 17. Jahrhunderts von Friedrich I Schwestermüller ging für rund 90.000 Euro in private Hände. Auch auf der Tefaf, wo Mühlbauer mit über 40 marktfrischen Silberobjekten aus einer europäischen Privatkollektion aufwarten konnte, hat er rund zehn spektakuläre Stücke verkauft. Unter anderem einen dem „Oktober“ gewidmeten Nürnberger Häufebecher des 16. Jahrhunderts von Elias Lencker, der für rund 110.000 Euro einen neuen Besitzer fand.
Der Münchner Georg Laue, mittlerweile Tefaf-Chairman, zeigte sich ebenfalls mit der Messe zufrieden. Das Museum in Wieliczka erwarb bei ihm für 120.000 Euro eine spätgotische, silbermontierte Achat-Saliera (um 1500). Ein rund hundert Jahre jüngerer Nürnberger Pokal in Gestalt einer Eule, deren Kopf, Flügel und Schwanz in vergoldetem Silber ausgeführt sind, ging im sechsstelligen Bereich in eine deutsche Privatsammlung. In Bamberg glänzt attraktives Silber seit jeher bei den Kunsthändlern Senger und Christian Eduard Franke. Der jüngst erschienene Franke-Katalog zum dreißigjährigen Firmenjubiläum etwa präsentiert zehn einschlägige Objekte, darunter ein Paar vergoldeter Augsburger Servierteller mit Wärmeglocken (um 1730) aus dem Prunkgeschirr Augusts des Starken (165.000 Euro).
Auch das Zürcher Auktionshaus Koller versteigert mehrmals jährlich Tafelsilber und hochkarätige Sammelobjekte. In der 192. Auktion, die wegen der Corona-Beschränkungen vom März auf den Juni verschoben werden musste, erzielte ein reich verzierter, vergoldeter Messkelch (Mühlhausen, 2. Hälfte 18. Jh.) 10.000 Franken (Taxe 3000 Franken).
Zwei prächtige Turiner Terrinen (2. Hälfte 18. Jh.) aus der Sammlung Friedrich von Tscharners kletterten von 20.000 auf 150.000 Franken. Und auch die 20 Silber-Lots aus der Sammlung Dr. Paul und Ursula Müller-Frei mit Objekten von der Renaissance bis ins frühe 20. Jahrhundert brachten teils herausragende Ergebnisse: Ein Londoner Henkelbecher für Schokolade des Meisters Ralph Leake (um 1680) beispielsweise konnte die Schätzung mit einem Hammerpreis von 52.000 Franken mehr als verdoppeln. Ein sehr ähnliches Exemplar befindet sich in der Sammlung von Temple Newsam House.
Bei Lempertz in Köln standen im vergangenen November zwei bedeutende Privatsammlungen mit Kunstgewerbe im Mittelpunkt. Zu den Top-Verkäufen gehörte ein traubenförmiger Nürnberger Buckelpokal von Hans Weber, um 1609 / 29 gefertigt, der von 40.000 auf 120.000 Euro kletterte. Typische Augsburger Erzeugnisse des 18. Jahrhunderts erzielten ebenfalls gute Preise – etwa eine Schraubflasche, die 7200 Euro einspielte (die Ergebnisse lassen hoffen, dass die reich vorhandenen Augsburger Arbeiten dieser Zeit die finanzielle Talsohle überwunden haben). Mit knapp 150 Silber-Positionen reich bestückt war dann die 1152. Kunstgewerbe-Auktion Ende Mai. Der Großteil der Objekte wurde über den Taxen zugeschlagen, Rückgänge waren selten. Ein ungemarkter, vergoldeter und gravierter Renaissance-Deckelhumpen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts übertraf seine Schätzung von 20.000 Euro mit einem Zuschlag bei 32.000 Euro deutlich. Und auch eine vergoldete Nürnberger Doppelscheuer der Zeit um 1609 / 29 mit den Meisterzeichen von Hans Reiff und Christoph Schell ließ mit einem Ergebnis von 17.000 Euro die Schätzung klar hinter sich. All diese Zuschläge standen allerdings im Schatten eines vergoldeten Nürnberger Traubenpokals mit durchbrochenem Fuß und kalt bemaltem Email-Schmuck: Das um 1600 von Andreas Roßner geschaffene Objekt kletterte von 80.000 auf sensationelle 270.000 Euro.
Auch Metz in Heidelberg hat regelmäßig bedeutendes historisches Silber in seinen Auktionen. Doch singulär ist sein von den Versteigerungen unabhängiger Silberverkauf. Wer nach Einbruch der Dunkelheit an den acht großen Schaufenstern vorbeispaziert, wird geradezu geblendet von der üppigen Fülle an Gebrauchs- und Tafelsilber. Die Preise bewegen sich von unter 100 bis über 10.000 Euro. Waren es vor Jahren noch an die 5000 Objekte, so bietet das Haus mittlerweile kontinuierlich rund 8000 Positionen Silber an. Heidelberg zieht viele Touristen an, sodass Metz in dieser Verkaufssparte kontinuierlich mit einem guten Umsatz rechnen kann.
Silber gehört auch zu den Spezialgebieten des 1975 von Florian Seidel gegründeten Auktionshauses Schloss Ahlden, das seit 2018 von Daniel und Magdalene Cremene geleitet wird. Die 178. Auktion im Mai umfasste rund 320 Silber-Lots; etwa ein Drittel davon waren Objekte des 19. / 20. Jahrhunderts. Highlight beim frühen Sammelsilber war ein vollvergoldeter Salzburger Deckelhumpen aus der Zeit um 1600, der von 14.500 auf 26.000 Euro stieg.
Auktionshäuser mit gemischtem Programm erzielen ebenfalls teils beachtliche Silberpreise, weil Kunsthändler und Sammler das Internet flächendeckend durchforsten: Beispielsweise wurde in der 199. Auktion von Döbritz (Frankfurt) ein Paar Nürnberger Becher mit Diamant-Buckeln aus der Mitte des 17. Jahrhunderts für 11.000 Euro zugeschlagen.
Das Münchner Auktionshaus Scheublein offeriert traditionell ansprechendes Gebrauchs- und Tafelsilber für den gepflegten Haushalt, beginnend bei wenigen Hundert Euro. Ein teilvergoldeter Augsburger Becher von 1697 / 99 mit einer gravierten Wildschweinjagd stieg im September 2019 von 1600 auf 3800 Euro. Im Rahmen des „Fürstlichen Silbers“, das Scheublein am 3. Juli versteigerte, erzielte eine üppig verzierte, innenvergoldete Teegarnitur mit 13.000 Euro fast das Dreifache der Taxe.
Das prunkvolle Wiener Ensemble diente dem Leipziger Handelsstand 1846 als Hochzeitsgeschenk für Albert von Sachsen und Carola von Wasa-Holstein-Gottorp. 4000 Euro erzielte ein Münchner Pokal von Theodor Heiden (um 1897): Sein Schaft besteht aus einem Putto, der auf einem Elektromotor steht; in die Wandung ist das im Krieg zerbombte TU-Gebäude eingraviert. Der Chemiker Wilhelm von Miller gab das Objekt einst aus Dank für sein neues Labor in Auftrag, das ihm sein Bruder Oskar (dem das Objekt denn auch qua Inschrift gewidmet ist) in der TU hatte einrichten lassen. Der siegreiche Privatsammler hat somit nicht nur das Top-Los dieser Silber-Offerte, sondern ein veritables Stück Münchner Kulturgeschichte erworben.
Georg Rehms 290. Auktion im Februar wurde zur erfolgreichsten Versteigerung der Firmengeschichte: Das Augsburger Haus offerierte den Nachlass des Münchner Kunsthändlers Forchhammer mit Möbeln und Silber des Barock und Rokoko, der unter Kollegen, Kunsthändlern und Sammlern Furore machte. Die rund 50 Positionen Silber mit Schwerpunkt auf dem 18. Jahrhundert wurden bei generell niedrigen Taxen meist um das Fünf- bis Sechsfache gesteigert – und vor allem dem Handel zugeschlagen. Das Toplos, ein Vierersatz vergoldeter, üppig reliefierter Augsburger Drentwett-Kerzenleuchter von 1755 / 57, ging jedoch nach heftigem Bietgefecht gegen Bamberger Handel für 25.000 Euro – das Zehnfache des Limits – in eine Augsburger Privatsammlung.
Van Ham in Köln versteigerte in der Decorative-Art-Auktion Ende Mai einen prächtigen, teilvergoldeten Tafelaufsatz mit musizierenden Bacchantinnen, der als „wohl deutsch, 20. Jh.“ eingeordnet wurde – und 18.000 Euro erzielte. Schon im November 2019 hatte ein prunkvoller Hanauer Schiffsaufsatz aus dem frühen 20. Jahrhundert – ausgestattet mit dem Kölner Wappen, gemarkt von J. D. Schleissner – 70.000 Euro (Taxe 75.000 Euro) erzielt.
Fabergé ist per se ein zugkräftiger Name – und wenn mit Unterstützung kundiger Fachleute zu einem ausgefallenen Objekt auch noch der historische Hintergrund eruiert werden kann, bleibt der Erfolg freilich nicht aus: So konnte das Dresdner Auktionshaus Schmidt im Dezember 2019 einen monumentalen Moskauer Falkner-Kowsch, der um 1913 von Fabergé hergestellt worden war, für 110.000 Euro zuschlagen!
Alles in allem hat Corona den Silbermarkt offenbar nicht ganz so stark belastet wie manch andere Branchen. Und wenn es stimmt, dass die Gestaltung der eigenen vier Wände durch die erzwungene Häuslichkeit neue Bedeutung erlangt hat, könnte das Geschäft mittelfristig vielleicht sogar profitieren.