In seiner Herbstauktion mit Kunstgewerbe bietet das Kölner Auktionshaus Lempertz kostbare Arbeiten der Kunsttischler Abraham und David Roentgen
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06.11.2020
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 178
König Ludwig XVI. zögerte 1778 ein Weilchen. 80.000 Livre sollte der Sekretär kosten, den ihm der Möbelfabrikant David Roentgen aus Neuwied am Rhein anbot. Ein Prachtstück mit raffinierter Mechanik, aber so eine hohe Summe hatte der französische Regent noch nie für ein Möbel ausgegeben. Den letzten Anstoß soll die auf Luxus versessene Marie Antoinette gegeben haben. David Roentgen besaß einen unglaublichen Sinn für Schönheit, Perfektion und die Stiltrends seiner Zeit. Er konnte den Pariser Ebenisten ohne Weiteres das Wasser reichen. Alles Provinzielle hatte er abgelegt, den architektonisch strengen Klassizismus steigerte er zu ungeahnter Nobilität.
Das Auktionshaus Lempertz zelebriert im Jahr seines 175. Jubiläums unter dem Motto „Fit for a King“ mit einer Suite von neun Roentgen-Möbeln und einigen Schatullen, die am 13. November versteigert werden, dieses einzigartige Kapitel deutscher Möbelkunst. Es begann mit der Manufakturgründung 1742 durch den Vater, den Kunsttischler Abraham Roentgen. Die dezente Schönheit seiner Möbel faszinierte zahlreiche deutsche Adelshäuser. Sein Schreibschrank von 1765, mit einer Taxe von 300.000 bis 400.000 Euro nun das teuerste Stück der Offerte, offenbart schon den Maßstab der frühen Ära. Abraham Roentgen hatte seinen Schliff in England bekommen. Die geschwungenen Huffüße, der gebauchte Kommodenteil und die Solidität dieses Möbels verraten es. Schon früher hatte er dieses Modell hergestellt, aber Insidern ist kein Exemplar mit solch prachtvoller Marketerie, eine Spezialität des Hauses Roentgen, bekannt. Ein Möbel wie gemacht für die erhofften besseren Zeiten nach dem Siebenjährigen Krieg.
Erst 1984 tauchte der Schreibschrank wieder in einem englischen Auktionshaus auf, wo ihn der frühere Tefaf-Händler Otto von Mitzlaff für umgerechnet eine halbe Million Mark ersteigerte und, wie der Möbelexperte Achim Stiegel im Katalog schreibt, im Jahr darauf für 800.000 Mark anbot. Nächster Besitzer wurde ein Verleger aus Westfalen. 35 Jahre, so Stiegel, hätte der Sekretär einen würdigen Platz in dieser Sammlung gehabt. Das stimmt. Andererseits: Verkaufsambitionen gab es schon länger. Und der Eigentümer muss sich viel versprochen haben. Vor Jahren schon kursierte ein opulenter, fünfbändiger Katalog der gesamten Sammlung unter Deutschlands potenten Händlern.
Zu den dort mit Nummern verzeichneten Antiquitäten gehörten auch die nun auf 120.000 bis 150.000 Euro taxierte, intarsierte Rokoko-Poudreuse Abraham Roentgens von 1772 sowie die weich geschwungene Pfeilerkommode David Roentgens von 1772/1775 (Taxe 20.000 bis 30.000 Euro). Warum sich der Handel bei diesen Objekten sowie auch bei dem rechteckigen Tisch mit spitz zulaufenden Beinen von 1780/1785, jetzt geschätzt auf 40.000 bis 60.000 Euro, und dem ovalen Tischchen von 1775/1780 (Taxe 150.000 bis 200.000 Euro) reserviert zeigte? Die letztgenannte Arbeit zeigt David Roentgens Affinität zu versteckten Schüben und besticht mit einer Intarsie nach Motiven Januarius Zicks – doch all das täuscht nicht darüber hinweg, dass der Sammlerkreis kleiner geworden ist. Die Preiskurve tendiert nach unten. Der Einsatz ist zu hoch für niedrige Gewinnmargen.
Die Bewunderung für die außergewöhnlichen Roentgen-Möbel aber ist ungebrochen. Die Neuwieder Werkstatt hat in 50 Jahren etwa 2000 Möbel hergestellt, sagt die Forschung. Allein 130 davon gingen 1787 an die russische Zarin. Katharina die Große erhielt die kostbarsten und monumentalsten Stücke. Momentan bietet wohl nur die Pariser Kunsthandlung Kugel ein Möbel dieses Formats an. Die Außergewöhnlichkeit setzt dem Preis kaum Schranken. David Roentgen befand sich auf dem Zenit seines Schaffens. Marketerien wurden Nebensache. Die Möbel kamen daher wie kühl durchdachte Architekturfantasien. Streng gegliedert in Flächen und nur mit wenig, aber edlem Dekor kontrastiert. Elegante Bureau Plats mit tektonischen Aufsätzen wurden eines seiner Markenzeichen. Geprägt mal von kaiserlichem Machtanspruch, mal von edler Einfachheit.
Diesen Typus verkörpert ein Schreibtisch mit der Jalousie im Aufsatz (Taxe 150.000 bis 200.000 Euro). Laut Katalog stammt das Möbel mit trickreich versteckten Schubladen aus dem Besitz Kaiser Wilhelm II. Dabei entsprach Klassizismus gar nicht seinem Geschmack. Vielleicht war der Schreibtisch dennoch in jenem Eisenbahnzug, der – nur mit Möbel beladen – nach Holland in Wilhelms Exil rollte. Schließlich kaufte sein Vorfahre, Preußen-König Friedrich Wilhelm II., um 1780 mehr als ein Dutzend dieser Möbelwunder. Ob er die nun angebotene Kommode aus dem Privatbesitz Roentgens 1792 gesehen hat, als er nach einem Werkstattbesuch im Salon der Roentgens tafelte, ist Spekulation. Als Statement des Möbelherstellers entsprach sie dem neuesten Pariser Geschmack. Auch wenn die These vom Roentgen-Privatbesitz ihre Schwachstellen hat, sie gibt dem Möbel eine besondere Aura. Lempertz erwartet mindestens 200.000 Euro. Vor fünf Jahren wurde die Mahagoni-Kommode im Auktionshaus Demessieur von 60.000 Euro auf brutto 233.000 Euro gesteigert.
Kunstgewerbe (inkl. Abraham und David Roentgen)
Lempertz, Köln
13. November 2020