Die Berliner Künstlerin Beatrice Minda hat in Myanmar, das durch eine Militärdiktatur lange abgeschottet war, Villen aus der Kolonialzeit fotografiert. Die Bauten mit ihrem Mix verschiedener Kulturen stehen oft inmitten subtropischer Flora und wirken wie exotische Fantasiegebilde
Von
30.12.2020
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 180
Beatrice Minda, Jahrgang 1968, studierte Kunstgeschichte in München sowie bildende Kunst in Münster, Paris und Berlin. Ihre fotografischen Arbeiten wurden in zahlreichen Einzelausstellungen in Europa und Asien gezeigt. Anfang 2021 erscheint ihr Fotobuch „Dark Whispers“, vorbestellt werden kann es bei hartmann-books.com.
Beatrice Minda: Es sind Orte, die lange Zeit abgeschnitten vom Außen waren und damit auch von kapitalistischen Einflüssen und den rasanten Veränderungen, die sie mit sich bringen. Meine Fotografien haben mit Zeiträumen zu tun, mit Orten, an denen die Vergangenheit noch präsent ist. An diesen Orten ließ sich etwas greifen, was andernorts schon verloren gegangen war.
Ich hatte eine geradezu körperliche Erinnerung an die Räume meiner Kindheit in Rumänien. Und weil es diese Räume nicht mehr gab, habe ich in den Häusern fremder Menschen nach dieser „Raum-Erinnerung“ gesucht. Es war dann, als wenn man an einem Faden zieht, und plötzlich ist da ein ganzes Wollknäuel. Ich habe entdeckt, wie tief verbunden ich auf einer emotionalen Ebene mit der Heimat meiner Eltern bin. Vor allem aber, wie meine private Geschichte Teil von etwas Größerem, einem Kollektiv, den Menschen in diesem Land ist.
In Burma war es der Bevölkerung verboten, Häuser aus Stein zu bauen. Die ältesten gebauten Zeitzeugen stammen also aus der Kolonialzeit. In Yangon, der ehemaligen Hauptstadt, sind die Häuser oft überformt, und die Atmosphäre, nach der ich suche, hat gefehlt. Mir ist es wichtig, dass die Häuser eine Geschichte haben, aber noch bewohnt sind. Dass man eine vergangene Welt spürt, ohne dass diese museal ist. Ich bin dann mit Bus und Motorradtaxi ins Landesinnere gefahren. Und dann standen da, manchmal in weit abseits gelegenen Orten, diese Fantasiegebäude …
Es sind wie in die Landschaft gestellte Zeichen. Mit den Briten kamen auch Inder und Chinesen. Diese großen Villen inmitten wilder subtropischer Vegetation – das hat etwas Fantastisches. Auch weil die architektonische Mischung, europäischer Kolonialstil, indische, chinesische Einflüsse, für das europäische Auge etwas sehr Fremdes ergibt. Ich war so beeindruckt, dass ich das Innenraumkonzept durchbrochen habe und diese Gebäude von außen zeige.
Zunächst einmal ist es eine sehr physische Erfahrung. Es ist wahnsinnig heiß, ich schleppe das ganze Equipment, zwei Kameras, die Objektive, das Stativ. Manchmal klopfe ich einfach an die Tür, mein Übersetzer erklärt, was ich vorhabe, ich zeige meine Bilder. Ich versuche, zuerst zu fotografieren, und erst danach zu fragen, wer hier gewohnt hat, welche Geschichten es zu dem Haus gibt, was für eine Bedeutung die Dinge haben. Wenn ich anfange zu fotografieren, gehe ich in einen anderen Modus, wie wenn ich einen Sensor einschalte. Dann bin ich auf Empfang.
Draußen die gleißende Helligkeit und innen das dunkle Teakholz. Dieser extreme Hell-Dunkel-Kontrast war eine ganz schöne Herausforderung, vor allem, weil ich mit analoger Technik arbeite. In der Malerei der Spätrenaissance und im Barock hat man mit diesem „Chiaroscuro“ dramatische Effekte erzielt. Wie auf den Gemälden von Caravaggio oder Rembrandt. Und ich war plötzlich in so einem Malerei-Licht, das dann auch auf meinen Bildern zu sehen ist.
Der Innenraum ist in erster Linie Schutz vor der Sonne, dem Wind, dem Regen. Nicht Repräsentationsraum. Dafür ist die Fassade oder Größe des Hauses da. Die Räume sind Ruheinseln. Und allein durch die Ruhe, die sie ausstrahlen, ist man in eine andere Zeit versetzt. Obwohl ich weiß, dass diese Zeiten alles andere als ruhig waren. Man kann diese Räume aus der Kolonialzeit ja nicht naiv positiv betrachten. Aber sie gehören zu einer untergegangenen Kultur des Handgemachten. Es gibt für mich ein Eigenleben der Räume und der Dinge, das unbeeinflusst ist von der politischen Sphäre und dennoch indirekt darüber erzählt.
Die Geschichte Myanmars ist sehr gewalttätig. In den Räumen oder im Umfeld dieser Räume ist sicher viel Dunkles passiert. In der burmesischen Kultur herrscht eine große Stille. Das betrifft auch die Art, wie man kommuniziert. Ruhig, gefasst, mit respektvollem Abstand. Manchmal habe ich Räume betreten und erst gar nicht gemerkt, dass da zehn Menschen drin waren. Die Kommunikation funktioniert still, es ist eine Art von Flüstern. Und ich hatte das Gefühl, dass die Räume selbst auf diese stille Art und Weise kommunizieren.
Die Ära dieser Häuser geht zu Ende. 2014 war ich noch eine der ersten Reisenden. Jetzt sind einige dieser Orte Touristenparadiese. Es herrscht, genau wie damals in der Kolonialzeit, eine Goldgräberstimmung. In Yangon stehen nun Skyscraper, es gibt die ersten riesigen Shoppingmalls. Viele Kolonialhäuser sind schon abgerissen. Oder ein anderes Gebäude wurde direkt davor gepflanzt. Manche wurden zu Hotels, manche zerfallen.
Ich vermute, dass ich damit etwas Positives aus meiner Kindheit assoziiere. Obwohl die Welt draußen alles andere als heil war, hatte sie drinnen noch etwas Heiles. In Deutschland haben wir in einem Neubau gewohnt. Meine Familie war gewissermaßen entwurzelt. Und auch wenn man an die Zeit denkt, die man sich früher genommen hat, um etwas herzustellen, die Materialien, die man benutzt hat, das hat auch etwas mit Seele zu tun. Und wenn ich in Räumen bin, in denen die Menschen ein Leben lang gewohnt haben, da muss man gar nicht spirituell sein, natürlich ist da etwas beseelt. Und danach suche ich.
„Dark Whispers“
von Beatrice Minda
Hartmann Books, Stuttgart 2020, 39 Euro