Vor 50 Jahren starb Tilla Durieux. Die Schauspielerin faszinierte Künstler von Renoir bis Barlach und prägte das Theaterleben ihrer Zeit. Ihr Leben bot Romanstoff, von der tragischen Ehe mit dem Kunsthändler Paul Cassirer bis zum Partisanenkampf in Zagreb
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14.02.2021
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 181
Schauspielerin, moderne Frau, politisch und sozial engagierte Zeitgenossin, Hoteldirektorin, Untergrundkämpferin in Jugoslawien und einiges mehr, das waren die Lebensrollen von Tilla Durieux. Eine Besetzung allerdings, die ihren Ruhm mit begründete, behagte ihr nur wenig. „Maler und Modell – sie wissen beide nicht, was sie auf sich nehmen, wenn das Wort Porträt fällt“, schrieb sie im März 1927 unter dem Titel „Der heimliche Kampf“ im Hannoverschen Anzeiger. In dem Artikel schilderte sie die Erfahrungen, Ängste und Nöte beim Porträtsitzen, das ihr, dem gefeierten Berliner Bühnenstar, weder eine große Freude zu bereiten noch ihrer Eitelkeit zu schmeicheln schien. Was erstaunlich ist, denn Durieux war eine der meistporträtierten Frauen ihrer Zeit.
In den sieben Jahrzehnten ihrer Bühnenkarriere wurde sie von 70 Künstlerinnen und Künstlern in rund 200 Bildern dargestellt, kommerzielle Fotopostkarten nicht eingerechnet. Mit zunehmender Prominenz mehrten sich zudem die Karikaturen in Zeitschriften, die Fotoshootings in luxuriösen Wohnsitzen, umgeben von exotischen Tieren und ihrer kostbaren Kunstsammlung, oder das Posieren als technikbegeisterte Autofahrerin und Flugpionierin.
Dabei entsprach die 1880 in Wien geborene Ottilie Helene Godeffroy keineswegs dem gängigen Schönheitsideal, ganz im Gegenteil. Gleich beim ersten Engagement in Olmütz empfing der Theaterdirektor die junge Aktrice wenig aufmunternd: „Mit dem Ponem (jiddisches Wort für Gesicht, Anm. d. Red.) wollen Sie zur Bühne? Lernen Sie lieber kochen!“ Und selbst noch auf dem Höhepunkt ihrer Karriere schrieb eine Berliner Gesellschaftsgazette 1928 höchst despektierlich: „Die Schauspielerin, die den Spitznamen ›die weiße Negerin‹ hat, ist groß, kräftig, von brutaler und doch fesselnder Hässlichkeit.“
Durieux bezog aus dem vermeintlichen Manko ihres exotischen Gesichts eine expressive Qualität, die alle in ihren Bann schlug. Durchaus selbstkritisch verstand sie ihr Konterfei auf der Bühne wie auch auf der Leinwand als fremdgesteuerte Projektionsfläche: „Mein armes Gesicht, über das so viele Antlitze hinweggekrochen sind – es ist ja nur ein leeres Feld – ein nasses Tuch – ein Etwas mit Nase, Mund und Ohren – erst wenn ein Gedanke – ein Gefühl – eine Leidenschaft hineinkriecht, ist es ein Gesicht. Da kommt der Maler – der Bildhauer – stundenlang sieht er mich an – bis ich ihn frierend aus leeren Augen anstarre – wissend, dass er mich entlarvt, bebend vor Scham, dass er mich entdeckt – mich, die ich nichts bin, als was mir ein anderer Geist gibt.“
Schon als junge Schauspielerin kam Durieux beruflich wie privat mit Künstlern in Kontakt. Nach der Ausbildung in Wien sowie ersten Theaterstationen in Olmütz und Breslau kam sie binnen kurzer Zeit in der nächsten Metropole an. Das Vorsprechen in Berlin war erfolgreich gewesen, der Zug zurück abgefahren, und da das Budget für ein Hotel fehlte, verbrachte die Durieux die Nacht auf einer Parkbank im Tiergarten. „Der Geruch der Erde – in Wien schwer und dunkel –, hier die sandigen Wege kalt, sauber, korrekt und ohne den Duft der Fruchtbarkeit“, beschreibt sie später in ihren Lebenserinnerungen das Gefühl einer unbeschreiblichen Fremdheit und die Ungewissheit, ob sie „dieses harte, blank geputzte Ungeheuer“ wohl würde besiegen können.
Max Reinhardt, dessen Ruf Durieux 1903 nach Berlin gefolgt war, hatte es sich zum Prinzip gemacht, für seine Theaterproduktionen mit Künstlern wie Emil Orlik, Max Slevogt und anderen zusammenzuarbeiten. Privat wurde der erste Ehemann Eugen Spiro auch zum ersten Porträtisten der Schauspielerin. Bereits in Breslau hatte sie den jungen Maler kennengelernt. In Berlin heiratete das Paar, nun saß die Künstlergattin Modell. In einem Rollenporträt malte sie Spiro nur ein einziges Mal, als Salome in Oscar Wildes gleichnamigem Stück – ihrem sensationellen Durchbruch in Berlin.
Das Schicksal der Ehe war schon nach einem Jahr besiegelt, als Spiro seine Frau bei einem Abendessen des Kunstschriftstellers Julius Meier-Graefe bat, möglichst liebenswürdig zu Paul Cassirer zu sein. Spiro, der sich durch den Kontakt zum Kunsthändler und Sekretär der Berliner Secession wohl Ausstellungsmöglichkeiten erhofft hatte, war bald darauf ein geschiedener Mann. Cassirer stammte aus einer wohlhabenden Familie, war ebenso charmant wie gebildet, und die Schauspielerin erkannte schnell: „Das ist die Welt, von der ich immer schon geträumt hatte, dass sie irgendwo verborgen sei!“
Der geschiedene Vater zweier Kinder animierte die bereits erfolgreiche Schauspielerin, weiter an der Sprach- und Atemtechnik zu arbeiten, und brachte ihr Kunst und Literatur nahe. Cassirer wusste ihren Ehrgeiz weiter zu wecken, und durch ihn und seine Umgebung begriff sie, „was das technische Können für den Künstler bedeutet“. Es ging hier nicht um das Talent, das sie bereits grandios unter Beweis gestellt hatte, es ging um die Arbeit am Körper, um Kontrolle des Geistes und darum, beides auf der Bühne so anzuwenden, dass dort mühelos und selbstverständlich allein die verkörperte Person steht. „Der Mensch, den ich darstelle, kriecht beim Lesen des Textes in mich hinein. Ich gestalte aus mir heraus, nicht vom Kopf her“, erklärte sie später ihre Schauspielmethode.
Durieux lernte, den Körper, den Ausdruck bis zur kleinsten Geste und auch ihre Stimme in allen Nuancen präzise zu beherrschen. Die Sätze ihrer Rollen übte sie „oft hundertmal, um sie mühelos sprechen zu können und damit Paul Cassirer zufriedenzustellen“. Der Schriftsteller Heinrich Mann beschrieb hymnisch ihre Schauspielkunst: „Sie ist eines der vorgeschrittensten Menschenwesen, die heute über die europäischen Bühnen gehen; ja, man kennt für das, was modern heißt, keine vollkommenere Vertreterin. Sie hat alles, was modern heißt: Persönlichkeit, erarbeitet und wissend, nervöse Energie und eine weite Schwungkraft des Talents. Ein Varietémädchen, das vor Geld- und Liebesschmerzen in groteskes Geheul ausbricht, und Judith, tragisch klagend um ihr Volk: Beides ist Tilla Durieux, und alles was dazwischenliegt, Weltdame, Kaiserin, Luder, Heldin der Zeit, Heldin der Nerven.“
So sehr Cassirer sie motivierte und förderte, sosehr forderte er Durieux’ Geduld, Toleranz und Loyalität heraus. Denn da gab es noch die andere Seite des Mannes, der auch ruhelos, unbeherrscht bis grausam, eifersüchtig und untreu war. Im Sommer 1910 heiratete das glamouröse Paar und stand bis zum tragischen Ende Cassirers im Mittelpunkt des Berliner Kulturlebens. Selbst im Schweizer Exil, auf der Flucht vor dem Ersten Weltkrieg, schufen sich die beiden ein Umfeld, das Harry Graf Kessler als eine „Kolonie von Intellektuellen“ bezeichnete. Dass Durieux zur meistporträtierten Frau aufstieg, lag nicht allein an ihrem Gatten, doch waren es auffällig viele Künstler des Kunstsalons Cassirer, die Durieux im Bildnis oder in Aktion auf der Bühne darstellten. Unter ihnen: Max Slevogt, Lovis Corinth, Franz von Stuck, Ernst Barlach, August Gaul, Emil Orlik, Oskar Kokoschka oder Max Oppenheimer alias MOPP. Bei Slevogt, Orlik, Felix Albrecht Harta oder dem Bühnenbildner Emil Pirchan wurden daraus ganze Mappenwerke.
Der junge Kokoschka vermittelte 1910 seinen Unwillen, die Frau des späteren Galeristen und Gönners zu malen, die wiederum zehn Jahre später beim nächsten Versuch entsetzt in ihren Kalender notierte: „Nachmittag zeichnet mich Kokoschka (fürchterlich, sehe aus wie eine Maori).“ Mit Barlach verband Durieux dagegen eine tiefe Freundschaft, und die beiden inspirierten sich gegenseitig. Beim Erarbeiten ihrer Rollen fand die Schauspielerin bisweilen einen Zugang, indem sie sich in die Figuren des Bildhauers versetzte. Dieser wiederum war von ihrem Gesicht so fasziniert, dass er, obwohl sie nur für eine Büste Modell gesessen hatte, vier verschiedene Versionen schuf. Der Grafiker und Karikaturist Olaf Gulbransson versuchte sich 1917 für sein Frontalporträt erstmals auf einer Leinwand. In zarten Pastelltönen scheint das fein gezeichnete Antlitz der Durieux zu schweben, eine traurig-fragile Schönheit blickt uns entgegen.
Franz von Stuck stellte Durieux in ihrer Rolle als Circe dar. Verführerisch, nahezu lauernd, fixiert sie mit eindringlichem Blick ihr außerhalb des Bildes stehendes Gegenüber. Wie so oft bei Stuck gab es fotografische Vorstudien, dafür spielte Durieux in seinem Atelier eindrücklich zentrale Stellen aus Calderóns Drama vor, mit dem sie 1912 im Münchner Künstlertheater gastierte. Sowohl auf den Fotografien als auch auf Stucks sechs Bildvarianten vermeint man weniger Durieux als Mensch zu erkennen, sondern vielmehr die Rolle, die sie durch und durch, mit allen Fasern verkörpert. Während Stucks Circe-Darstellungen heute zu den bekanntesten Bildnissen der Durieux gehören und die Pastellversion als Postkarte weite Verbreitung fand, kommentierte die Schauspielerin nur: „Mein Geschmack sind sie nicht.“
Weitaus mehr Gefallen fand sie an einem Gemälde, über das sie bis ins hohe Alter voller Stolz und mit leichter Ehrfurcht berichtete. „Ich saß ruhig wie ein Steinbild“, schildert sie Jahrzehnte später in ihren Lebenserinnerungen die besondere Porträtsitzung, die sich Anfang Juli 1914 zutrug. Gemeinsam mit Cassirer war sie nach Paris gereist, und während der Kunsthändler seinen Geschäften nachging, malte Auguste Renoir die Schauspielerin. Im Rollstuhl sitzend, den Pinsel an die gichtverkrümmte Hand gebunden, schuf er eines seiner letzten großen Porträts; heute hängt es im New Yorker Metropolitan Museum. Wie so oft hatte Cassirer das Bildnis seiner Ehefrau in Auftrag gegeben. Beinahe majestätisch sitzt sie in einem Kleid des Modeschöpfers Paul Poiret: ihre Robe im vorletzten Akt von George Bernard Shaws „Pygmalion“. Im Berliner Lessingtheater feierte sie als Eliza Doolittle Erfolge; Cassirer hingegen, der an der österreichisch gefärbten Sprache und am Ausdruck Tillas gefeilt hatte, konnte sich diesbezüglich durchaus als Higgins fühlen.
Tief bewegt erinnerte sich Durieux später an die Weisheit Renoirs. „,Tragik‘, sagte er eines Nachmittags zu mir, ,Tragik wird immer falsch verstanden. Solange noch Tränen fließen, ist der Höhepunkt des Schmerzesnoch nicht erreicht, erst wenn der Mensch schon wieder lächelt, dann erst ist der Schmerz unüberwindlich und unendlich geworden.‘“ Was Renoir als Begründung diente, wieso er Mozart gegenüber Wagner bevorzugte, trug Durieux fortan als zentrale Erkenntnis für ihr Leben im Herzen. Renoirs Gemälde, das von all ihren Bildnissen im Grunde die geringste Porträtähnlichkeit aufweist, wurde für sie zum Sinnbild für die Verbindung von Bühne und Leben.
Noch während des Aufenthaltes in Paris brach der Erste Weltkrieg aus, und das Ehepaar musste ohne die noch feuchte Leinwand abreisen. Erst Jahre später sollte das Bild in Berlin eintreffen. Im Herbst 1914 hatten sich beide freiwillig zum Einsatz gemeldet. Cassirer wurde an die Westfront geschickt, Durieux arbeitete in einem Berliner Lazarett, wo sie aus Personalmangel auch bei Operationen assistierte. „Das Gewicht dieses Beines in meinen Händen spüre ich noch heute“, so die Schilderung einer Amputation in ihren Memoiren. Den Kriegsdienst quittierten beide physisch wie psychisch angeschlagen, nun überzeugte Pazifisten. Durch entsprechende Veranstaltungen im Kunstsalon gerieten sie in die öffentliche Kritik.
Derlei Aktivitäten zeigen, wie wenig Durieux dem Bild einer vom Alltag entrückten Diva entsprach. Bereits vor dem Krieg veranstaltete sie Freizeitgesellschaften für arme Kinder und rezitierte mit dem Pianisten und späteren Politiker Leo Kestenberg in den Arbeitervierteln von Berlin deutsche Klassiker. „Proletarische Feierstunde“ vermerkte sie in ihrem Tagebuch. Dabei lernte sie Rosa Luxemburg kennen, der sie später mit einer monatlichen Zuwendung half. Nach dem Exil in Zürich, wohin sie Cassirer für den Rest des Krieges begleitet hatte, geriet die Schauspielerin während eines Gastspiels in München mitten in die Wirren der Räterepublik. Schwer erkrankt, half sie von der Klinik aus Ernst Toller bei dessen Flucht.
Unerschrocken und flexibel stellte sich diese Frau sämtlichen Problemen. Ihren immer schwieriger werdenden Mann betreute und begleitete sie bis an den Punkt, an dem sie selbst an der Situation zu zerbrechen drohte. Beim Unterzeichnen der Scheidungspapiere im Januar 1926 verließ Cassirer den Raum und fügte sich im Nebenzimmer eine Schussverletzung zu. Wenige Tage später starb er. Jeder wusste von der seelischen Zerrüttung des Kunsthändlers, von seinen Drohungen und Versuchen, seinem Leben ein Ende zu setzen, dennoch haftete Durieux zeitlebens an, die Frau zu sein, wegen der sich Cassirer erschossen hatte.
Tief verletzt von den Anschuldigungen der Familie ihres Mannes veröffentlichte sie 1928 „Eine Tür fällt ins Schloss“, einen autobiografisch geprägten Roman. Leicht lassen sich die Protagonisten realen Personen zuordnen. Man verfolgt das Scheitern einer turbulenten Ehe, vor allem rechnet die Autorin in einer Weise mit dem Cassirer-Clan ab, dass es zuweilen zum Fremdschämen ist. Später sollte sie diese publizierte Rache stets bereuen. „Meine Augen haben durch ihn die Herrlichkeit der Welt gesehen, aber auch die verzweifeltsten Tränen geweint“, fasst Durieux ihre Beziehung zu Paul Cassirer in ihren Erinnerungen zusammen.
Mit dem Industriellen Ludwig Katzenellenbogen ging Durieux 1930 eine dritte Ehe ein. Auch diese Verbindung endete tragisch. Wegen seines Judentums wurde Katzenellenbogen von den Nazis drangsaliert und beraubt; 1933 flüchtete das Paar aus Deutschland. Das Vermögen schwand, Schmuck und Teile der Kunstsammlung mussten zu Geld gemacht werden. Alle Versuche, an rettende Visa zu gelangen, scheiterten. Zwischenzeitlich führte die in vielen Belangen patente Durieux in Opatija mit ihrem Mann das Hotel Cristallo. Solange es möglich war, brach sie immer wieder zu Gastspielen in Länder auf, die sie noch bereisen durfte. Als Durieux in der Hoffnung, Einreisepapiere für die USA zu erlangen, nach Belgrad fuhr, trennten sich die Wege des Ehepaares für immer. Katzenellenbogen wurde von der Gestapo verhaftet und nach Berlin verschleppt, 1944 starb er im KZ Sachsenhausen.
Durieux blieb bei einer entfernten Verwandten in Zagreb und unterstützte den Partisanenkampf gegen die Deutschen. Nach dem Krieg arbeitete sie als Kostümbildnerin für ein Puppentheater und schrieb an ihren Memoiren mit dem Titel „Eine Tür steht offen“ sowie dem Theaterstück „Zagreb 1945“. Den Teil ihrer verbliebenen Kunstsammlung, den sie nach Jugoslawien gerettet hatte, machte sie in ihren Wohnung an besonderen Tagen für die Öffentlichkeit zugänglich.
Doch das „alte Zirkuspferd“, wie sie Gustaf Gründgens zwei Jahre nach Kriegsende schrieb, „sehnt sich wieder nach der Manege“. Es dauerte noch bis 1952, bis Durieux in Berlin wieder Theaterluft schnuppern durfte. „Mit 53 ging ich, mit 72 fing ich wieder an“, schrieb Durieux über ihre zweite Karriere als Schauspielerin. 1955 kehrte sie endgültig nach Deutschland zurück, nun in die Inselstadt Westberlin.
Ihre Kunstsammlung musste sie in Jugoslawien zurücklassen. Erst nach der Schenkung von 19 Werken an das Stadtmuseum Zagreb wurde ihrer Erbin, der Schauspielerin Erika Dannhoff, die Ausfuhr der Kollektion gestattet. Als Durieux ihren Nachlass ordnete – er ist heute in der Akademie der Künste in Berlin verwahrt –, versuchte sie nochmals, alle Kostbarkeiten aufzulisten, die sie einst besessen hatte. Auf einer Fotografie ihres Wohnzimmers nach dem Tod Cassirers erkennt man Versionen der „Arlésienne“ und der „Eisenbahnbrücke“ van Goghs. Sie besaß Gemälde von Manet, Cézanne und Renoir, die Liste im Durieux-Archiv nennt zudem Courbet, Corinth, Barlach, Degas und Rembrandt. Als Erika Dannhoff 1982 Stücke aus dem Nachlass bei Lempertz versteigern ließ, waren darunter vor allem Werke von Berliner Künstlern der Zwanzigerjahre, etwa Georg Kolbes Büste von Paul Cassirer, aber auch dessen Totenmaske.
Während Durieux vor der Emigration lediglich in vier Filmen gespielt hatte, widmete sie sich seit den Fünfzigern verstärkt der Arbeit für Film, Fernsehen und Radio. Im Jahr 1953 spielte sie an der Seite von Maria Schell und Bernhard Wicki in Helmut Käutners Kriegs- und Partisanendrama „Die letzte Brücke“, in Jugoslawien angesiedelt und dort auch gedreht. Weitere 31 Film- und Fernsehrollen sowie 22 Hörspielaufnahmen sollten folgen. Zwar gehörte Durieux nie wieder einem Ensemble an, doch spielte sie auf verschiedenen Berliner Bühnen, nach einem Unfall auch im Rollstuhl, und reiste auf Gastspielreisen quer durchs Land. Aus Anlass ihres 65-jährigen Bühnenjubiläums stiftete sie ein Art-déco-Collier, das als Tilla-Durieux-Schmuck alle zehn Jahre an eine herausragende Schauspielerin verliehen wird. Maria Wimmer war 1967 die Erste, der die Stifterin die Halskette selbst anlegte.
Auch von der bildenden Kunst wurde die Grande Dame wieder wahrgenommen. Stefan Moses, Helga Tiemann, Horst Janssen, Götz Loepelmann und andere schufen Bildnisse der Doyenne der Berliner Theaterwelt. In all den Anthologien und Erinnerungswerken zum Bühnenschaffen, die fortan entstehen, fehlt die Durieux selten.
Bis kurz vor ihrem Tod stand sie auf der Bühne. Es war wohl eine Fügung des Schicksals, dass ihr Todestag vor 50 Jahren, der 21. Februar 1971, auf den 100. Geburtstag von Cassirer fiel. Er und Berlin waren die beiden großen Lieben von Tilla Durieux. „Berlin ist Berlin geblieben“, schrieb sie 1961 bei einer Zeitschriftenumfrage, „ungebrochen, kämpferisch – und meine Liebe ist geblieben, treu und unbeirrbar. Sie wird bleiben, bis man mich in den Sand bettet, vor dem ich mich 1903 so gefürchtet hatte.“ Ihre letzte Ruhestätte fand sie in einem Ehrengrab auf dem Friedhof Heerstraße. An der Seite von Cassirer.
Daniela Gregori arbeitet als Gastkuratorin an einer Ausstellung zu Tilla Durieux, die im Herbst 2022 im Wiener Leopold Museum zu sehen ist.
14. Oktober 2022 bis 27. Februar 2023