Alles begann mit dem Erwerb einer Zeichnung. Der Schauspieler Franz Dinda, der aktuell in der Serie „Das Boot“ zu sehen ist, verfolgt jede Spur eines ganz besonderen Skizzenbuchs
Von
24.05.2021
Herr Dinda, was war Ihre bislang überraschendste Entdeckung?
Im Juni 2019 habe ich diese kleine Ernst Ludwig Kirchner-Zeichnung bei Kornfeld ersteigert. Dies war der Auftakt einer einzigartigen und seitdem andauernden Reise: Was ursprünglich damit begann, lediglich die Hintergrundgeschichte des Blattes zu erfahren und eine darauf befindliche Notiz Kirchners entschlüsseln zu wollen, endete in dem nahezu aussichtslosen Vorhaben, hierfür das komplette Skizzenbuch rekonstruieren zu müssen. Das Problem: Das ca. 200 Blatt zählende Skizzenbuch wurde seit 1969 nach und nach durch den Käufer Marlborough Fine Arts London zerlegt und die Bestandteile in alle Welt verkauft. Jedes Blatt, das ich wiederfinde, ist für mich deswegen eine erfüllende Entdeckung. Die unzähligen Überraschungen ergeben sich dann aus ihrer Rückführung in den ursprünglichen Skizzenbuch-Verband.
Was fasziniert Sie an Kirchner?
Um seine handschriftliche Notiz entschlüsseln zu können, begann ich damit, seinen Briefwechsel der Schweizer Jahre zu studieren. Dies zog mich derartig in seinen Bann, dass ich mich dem seither nicht mehr entziehen kann: Dieser herrisch eigensinnige, höchst sensible, kontrollwütige, drogenabhängige Mensch, der über sich selbst und seine Kunst unter Pseudonym schrieb, sich mit Gott und der Welt verkrachte, um im nächsten Moment wieder derartig charmant zu sein, dass es kaum zusammenpasst. Ein unfassbar komplexer Mensch, der leidenschaftlich, wild, wütend und getrieben war, bis hin zu seinem tragischen Freitod 1938.
Welchen historischen Wert besitzt das Skizzenbuch 146?
Es ist das umfangreichste seiner bisher bekannten Skizzenbücher und eines der letzten, das er bearbeitet hat – über eine Spanne von fast 10 Jahren. Die Rekonstruktion wird bessere Datierungen der vielen beeindruckenden Blätter ermöglichen. Sie wird Zeichnungen zeigen, die nicht als Einzelseiten sondern als Doppelseiten konzipiert waren. Sie erlaubt Einsichten in seine Bemühungen zur Gestaltung des Festsaales im Folkwang-Museum. Und sie wird Wissenschaftlern ein interessantes Instrument an die Hand geben, das weiterführende Studien erlaubt.
Warum haben Sie bisher über Ihre Zeichnung herausgefunden?
Je mehr Zeit der Künstler in eine Arbeit investiert, desto mehr seines malerischen Bewusstseins steckt vermeintlich darin. Bei diesem Blatt handelt es sich nicht um eine schnell hingeworfene Skizze, sondern um eine mit Tusche ausgearbeitete Zeichnung. Zudem hat Kirchner sie mit einer Notiz versehen, was ebenfalls auf mein Interesse stieß. Die starken Kontraste der Zeichnung sind nur die vordergründige Attraktion, die geniale Komposition der Figuren und die inhaltliche Vielschichtigkeit die eigentliche. Kirchner vereint auf diesem Blatt alle Betrachtungsperspektiven und komponiert diese zu einer fast perfekten 360 Grad Ansicht: En face, als Profil, im rechten und im linken Halbprofil. Hinzu kommen die virtuos eingesetzten Symmetrien, die Raumaufteilung und die perspektivischen Spielereien mit Überlagerungen. Die einzige Ansicht die fehlt, ist die Rückenfigur. Aber dann begriff ich, dass Kirchner diese Leerstelle durch den vor dem Bild stehenden Betrachter füllt.
Wieviele Blätter des Skizzenbuches 146 suchen Sie aktuell noch?
Aktuell sind es 16. Sie können diese auf meiner Website unter folgendem Link einsehen: https://www.franzdinda.de/news/ . Hinweise zur Auffindung können mir unter kirchner@franzdinda.de übermittelt werden.
Hat sich durch die Rekonstruktion etwas für Sie verändert?
Sie gehört sicherlich zu einer der erfüllendsten Aufgaben, die ich jemals angegangen bin: Der Kontakt zu gleichgesinnten Kirchner-Begeisterten, die Unterstützung durch Kirchner-Veteranen wie Ingeborg Henze-Ketterer, Wolfgang Henze, Eberhard Kornfeld und Prof. Presler. Die Begegnung mit Sammlern, Museums-Schaffenden, Kunsthistorikern und Kunsthändlern, die Einblicke und mein täglich wachsendes Wissen um Kirchner. All dies erfüllt mich mit grenzenloser Begeisterung.
Sie spielen in der Serie „Das Boot“ den Oberleutnant zur See Robert Ehrenberg. Hat Ihre Beschäftigung mit dem Dritten Reich etwas mit Ihrer Nähe zu Kirchner zu tun?
Nein. Mein Interesse für Kirchner besteht schon wesentlich länger und resultierte aus meiner Begeisterung für die KG Brücke. Auch, dass es mit Buchheim eine weitere Verbindung zwischen „Das Boot“ und den deutschen Expressionisten gibt, ist rein zufällig. Ich habe meine Begeisterung für Kirchner nicht aktiv erwirkt. Ich wurde gefunden und durfte mich fügen.