In der Fondation Beyeler hat Olafur Eliasson ein radikales Werk verwirklicht: Der Künstler lädt die Natur ins Haus und überlässt ihr die Ausstellungsräume.
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18.05.2021
„Sam, erzähl‘ uns mehr über dieses verrückte Projekt!“ Judith Benhamou-Huet kommt ohne Umschweife zur Sache. Für ihr YouTube-Video hat die Journalistin den Direktor der Fondation Beyeler direkt vor das Museum in Basel gesetzt. Und Sam Keller muss erklären: Weshalb fehlen der Fondation die Glasscheiben? Warum dümpelt das Wasser aus dem Gartenteich nun in den Ausstellungsräumen? Und wieso leuchtet es so toxisch grün?
Hinter Keller entfaltet sich das jüngste Kunstwerk des in Berlin lebenden Star-Künstlers Olafur Eliasson. Ein schutzloses Haus, dessen Boden zur weiten Wasserfläche geworden ist – durchzogen von hölzernen Stegen, über die man weiterhin durch die Räume laufen kann. Der Künstler habe den Park in die Fondation einladen wollen, erklärt Keller in dem Video ziemlich cool. Das Leben ins Museum holen: dieser Gedanke sei ihm immer schon sympathisch gewesen. Und gelebt wird in wie um das Haus nun ziemlich intensiv: Im Wasser tummeln sich, neben vermehrungsfreudiger Entengrütze, auch Kleinstlebewesen, auf den Holzstegen und im Park versammeln sich staunende Besucher. So haben sie die Fondation Beyeler noch nie gesehen.
Manche holen Stühle aus dem nahen Café, setzen sich vor das von Renzo Piano ersonnene Haus und betrachten Eliassons Intervention wie ein Gemälde. Ein Bild, das sich dank seines giftgrün leuchtenden Wassers und dem nächtlichen Wechsel ins Tiefblaue nicht nur in den sozialen Medien gut macht. „Life“, so der Titel der Arbeit, ist tatsächlich ein Coup. Auf den ersten Blick die logische Fortsetzung einer gestalterischen Idee: Dank der bodentiefen Fenster mit dem angrenzenden Teich und Monets Seerosenbild „Nymphéas“ in der Sammlung Beyeler war die Verbindung von innen und außen immer schon angedeutet und Pianos Entwurf der Versuch einer optischen Verschmelzung. Eliasson, der mit spektakulären Installationen wie „Weather Project“, in der Londoner Tate Modern (2003) und vier Wasserfällen an der New Yorker Brooklyn Bridge (2008) berühmt geworden ist, geht bloß den nächsten konsequenten Schritt: Die gläserne Grenze ist weg, alles fließt ineinander, jede Separierung wird überflüssig.
„Life“ erobert sich den umbauten Raum zurück. Es macht ihn nass, setzt ihn den Elementen aus, besiedelt das Wasser mit Mikroorganismen und überantwortet das Haus laut Eliasson damit all jenen Faktoren, „die ein Museum normalerweise fernzuhalten versucht“. Natürlich stimmt das bloß in Maßen. Die Konservierung dieses Eindrucks – das grün gefärbte Wasser, die Schutzschichten zwischen dem Nass und dem wertvollen Steinfußboden oder die scheinbar zufällig versammelten, in Wahrheit sorgsam komponierten Teichpflanzen – ist weit aufwändiger, als es für Außenstehende den Anschein hat.
Noch mehr aber zählt, was den Künstler in dieser Arbeit umtreibt: Eliasson denkt über eine Zukunft nach, die den Menschen und seine Bedürfnisse nicht länger als Zentrum des Universums begreift. Stattdessen egalisiert der Künstler. Auch die Natur hat ein Recht, gesehen und gehört zu werden. „Life“ spiegelt diesen Anspruch und zeigt zugleich, wie alle davon profitieren: von wechselndem Tageslicht und nicht klimatisierter Luft.
Eliasson ist keineswegs zum Pflanzenversteher mutiert, sondern bleibt als Künstler ein absoluter Ästhet. Aber er macht sich Gedanken über Ressourcen und Alternativen. In der Fondation Beyeler sorgt die Natur für ein ökologisches Spektakel, das rund um die Uhr besucht werden kann. Kein Wunder, dass Keller der Schönheit und Klugheit von „Life“ alle Fenster der Fondation geöffnet hat.
„Life“ von Olafur Eliasson
Fondation Beyeler, Basel
April bis Juli 2021