Tim Eitel

Menschen in der Pandemie

Mit seinen neuen Bildern, die bei Eigen + Art in Berlin zu sehen sind, treibt Tim Eitel ein raffiniertes Spiel zwischen Realität und entrückten Sphären

Von Sebastian Preuss
04.06.2021

Wo Gemälde von Tim Eitel gezeigt werden, entstehen Orte der Stille. Kein Museums- oder Galerietrubel kann diesen Bildern ihre eindringliche Ruhe und Konzentration rauben. So ist es auch in der Ausstellung bei Eigen + Art in Berlin, wo man sich ganz in diese eindrucksvollen Tableaus versenken kann. Der Mensch im Raum, das ist eines der Leitthemen Eitels, wobei man sich zuweilen fragt, was hier eigentlich das Entscheidende ist: die stark reduzierten, teils irreal wirkenden Interieurs, die oft nur aus monochromen Flächen bestehen, die Blicke in stark reduzierte Landschaften, oder doch eher das Individuum, das hier oft entrückt erscheint, in merkwürdiger Weise wie eingefroren wirkt. Wahrscheinlich ist das eine Frage, für die Eitel selbst nicht viel Verständnis hat, denn das Raumbild lässt sich bei ihm vom Menschenbild eben nicht trennen.

Eitels Figuren haben meist etwas mit seinem konkreten Umfeld zu tun, aber er transferiert seine Erfahrungen und Beobachtungen, die Menschen, denen er begegnet, die oft akribisch realistischen Detailwiedergaben, in eine Sphäre, deren Formen sichtlich heutig ist, aber in ihrer starken Reduktion auch etwas Zeitloses, Erträumtes oder manchmal sogar etwas Irreales haben. Der Reiz von Eitels Bildern liegt nicht im dem, was geschieht, sondern in den Stimmungen, die sich hier aufbauen. Immer wieder schafft es dieser Maler, dass seine Gemälde eine ganz spezifische Eitel-Aura ausstrahlen.

Dabei ist das, was man sieht, zunächst wenig spektakulär: Einem Mann wird der Bart gestutzt, eine junge Frau liegt mit ihrem Hund auf dem Bett, die Rückenansicht dreier wartender Touristen. In einer Szene wird eine Frau von einem jüngeren Mann einer offenbar heilsamen manuellen Therapie unterzogen, während ein grübelnder Beobachter mit auf dem Bett sitzt. Oder drei Freundinnen kuscheln sich ineinander, während ein älteres Paar mit distanzierenden Blicken aus dem größten Bild der Ausstellung schaut.

Das Sensationelle bei Eitel ist, wie er all das malt. Da ist die subtile Modulation von Körpern und Gegenständen, die haptisch und dabei immer auch ein bisschen trocken wirken – eine spröde, zugleich tiefgründige Sinnlichkeit. Dann sind da die monochromen Flächen, in denen sich ein Innenleben von zarten Farbschwaden abspielt und die wie die Prospekte auf einer Theaterbühne die Räume aufbauen. Das meist gedämpfte Kolorit trägt einiges zu der entrückten Stimmung bei, dass sich alles irgendwo im Ungefähren abzuspielen scheint.

Der Mensch wirkt vereinzelt, auch wenn er zu zweit oder in kleinen Gruppen auftritt; fast immer weht ein kräftiger Hauch von Melancholie durch die Szenerien. Nicht umsonst hat man Eitel seit seinen Anfängen in den frühen 2000er-Jahren als einen Wiedergänger der Romantik bezeichnet.

Für seine Berliner Ausstellung schwebte Eitel, der seit Jahren in Paris lebt, eigentlich eine Serie völlig menschenleerer Räume vor. Doch dann kam Corona. Entvölkerte Szenerien zu malen, während im Lockdown die Stadt stehen blieb und kaum noch Leute auf der Straße waren, das empfand Eitel als „zu illustrativ“. Stattdessen reflektieren seine neuesten Bilder ein Miteinander der Menschen, wie es bei Eitel noch nie zu sehen war. Es gibt kaum noch die notorischen Rückenansichten, erstmals spielen die Gesichter eine Hauptrolle: Eitel porträtierte enge Freunde, Nachbarn, die Lebensgefährtin bis hin zu einem Obdachlosen, den er auf der Straße beobachtete. Mit diesen Bildern hat Eitel seiner Kunst eine neue Gefühlsdimension verliehen.

Eitel ist kein Künstlerstar, dafür ist er auch nicht der Typ. Aber er ist längst einer der bedeutendsten deutschen Maler, ein Solitär in der Kunstlandschaft – auch wenn das manche Kuratoren und Museumsdirektoren immer noch nicht wahrhaben wollen. Wer Zweifel hat, soll sich diese Ausstellung anschauen.

Service

Austellung

„Tim Eitel. Vie imaginaire II: Ensemble“

Galerie Eigen + Art, Berlin, Auguststraße 26, bis 5. Juni

Die Gemälde kosten zwischen 30.000 und 160.000 Euro

eigen-art.com

 

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