Das Stuttgarter Auktionshaus Nagel versteigert in seiner Asiatika-Auktion eine Statue des Yamantaka aus der Ming-Dynastie und erzielt einen Rekordpreis von 14.070.000 Euro (inklusive Aufpreis). Der höchste Preis, der je in einem deutschen Auktionshaus erzielt wurde.
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21.06.2021
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 10
Von der ihm zugesprochenen Erleuchtung trennten den alten Mann nur noch Stunden. Seit fast 50 Jahren saß er nun in seiner Berghöhle und meditierte. Doch plötzlich stürmten zwei Diebe mit einem gestohlenen Wasserbüffel in seinen kargen Unterstand, schlugen dem Büffel den Kopf ab und töteten auch den Alten mit einem Handstreich. Betrogen um sein Lebenswerk, verwandelte sich dieser in den Todesgott Yama, setzte sich den Büffelkopf auf die Schultern, tötete die Männer und trank ihr vergossenes Blut. Doch die grausame Geschichte, so weiß es die Legende, war noch nicht vorüber. Voller Angst vor dem Tobenden wandten sich die Tibeter an den Weisheitsbuddha Manjushri. Der verwandelte sich flugs in den Überwinder des Todes, Yamantaka. Ausgestattet mit Büffelkopf, mehreren Gesichtern, Beinen und Armen noch unendlich viel mächtiger als der Todesgott Yama selbst, schützte Yamantaka fortan den tibetischen Buddhismus. Besonders in der Gelug-Schule wird der Bodhisattva als Überwinder des Todes, des Leides und des Bösen verehrt.
In der kommenden Asiatika-Auktion offeriert Nagel eine Figur des Yamantaka (Sanskrit: Vajrabhairava) aus einer Schweizer Privatsammlung. Schon einmal, genau vor sechs Jahren, konnte ein kleinerer, weniger bedeutender Yamantaka aus dem 15. Jahrhundert seinen Schätzpreis leicht von 50.000 auf fast 700.000 Euro steigern. Jetzt erwartet man noch Größeres in Stuttgart. Denn die knapp einen Meter hohe Statue aus der Ming-Dynastie hat kaiserliche Provenienz und wird durch eine Inschrift geadelt. Der Nagel-Experte Michael Trautmann hält sie für eines der bedeutendsten Bronze-Objekte auf dem Asiatika-Markt seit Langem. Für die Vermarktung hat er deshalb eine umfassende Marketing-Strategie angestoßen. Verschiedene Museen, darunter das chinesische Palastmuseum, und chinesische Bieter von Rang und Namen stehen in den Startlöchern, um die 1904 im Pariser Drouot und 1975 bei Alan Hartman in New York gehandelte Plastik zu ergattern. Die feuervergoldete Bronze startet mit einer Taxe von 1 Million Euro – abschließen könnte sie mit einem Spitzenergebnis.
Auf einem 60 Zentimeter breiten, fast rechteckigen Lotossockel steht Yamantaka im seitlichen Ausfallschritt. Die aus mehreren Teilen gegossene und zusammengesetzte Figur trägt Waffen, Messer und Schädelschalen in zahlreichen Händen. In seinen 34 Armen hält Yamantaka auch seine Gefährtin Vajravetali, die ihr linkes Bein um die Hüfte des Partners geschlungen hat. Die bildliche Darstellung von Grausamkeit und körperlicher Vereinigung ist jedoch nicht wörtlich zu nehmen. Jeder Arm, jede Handhaltung, jeder Kopf der Figur steht für einen Aspekt dieses mächtigen Gottes. Bei der Meditation wird Yamantaka zum Yidam, zur Meditationsgottheit: Jeder Schüler lässt die Gottheit vor seinem inneren Auge mit der Fülle aller Attribute entstehen. Dieses Visualisieren soll helfen, mit der Kraft und Wut des Yamantaka das eigene Ego zu zerstören, die Darstellung der Vereinigung von Mann und Frau dient als Konzentrationshilfe für das Verbinden männlicher und weiblicher Energie.
Die überbordende, detailreiche Darstellung wird durch einen ausladenden Flammenkranz gleichsam gebändigt und gerahmt. Rhythmik und Gestaltung sprechen die Sprache einer sinisierten Form der Newari-Tradition. Seit Mitte des 13. Jahrhunderts leitete der aus Nepal stammende Künstler Aniko (1244 – 1306) die Bronzewerkstätten am Yuan-Hof und formte Ritualgegenstände getreu den tibetischen Vorbildern. Im Lauf der folgenden Ming-Dynastie, von 1368 bis 1644 auf dem Drachenthron, wurden diese Charakteristika chinesischer – wohl nicht zuletzt durch die zunehmende Mitwirkung örtlicher Kunsthandwerker.
Selten wurden rituelle Objekte mit Inschriften versehen, die Datierung und Herkunfts- beziehungsweise Schenkungsort vermerken. Die Inschrift der Nagel-Bronze nennt sogar ein genaues Datum: Gestiftet vom Anxi-Palast, 2. Tag des 11. Mondmonats des 9. Jahres der Chenghua-Periode. Das entspricht dem 2. November 1473. Im darauffolgenden Dezember feierte der kulturell sehr interessierte Kaiser seinen 26. Geburtstag. Vergleiche mit Inschriften auf einer Seidenstickerei im Shanghai Museum legen nahe, dass die Bronze ebenso wie die Seidenstickerei ein wohlfeiles Geburtstagsgeschenk gewesen sein muss. Der Wunsch nach langem Leben für den Kaiser wird der hochrangigen Konkubine Bai aus dem Anxi-Palast zugeschrieben.
Nagel Stuttgart,
Auktion 23. bis 25. Juni,
Besichtigung 19. bis 22. Juni
www.auction.de