Ein Gespräch mit Robert Muntean, dem Schöpfer der Cyberpunk-Malerei, über Utagawa Hiroshige, Überschärfe auf Papier und die Musik der Achtzigerjahre
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19.07.2021
Der österreichische Künstler Robert Muntean (*1982) kam von Wien über Leipzig nach Berlin, wo er heute in Kreuzberg / Neukölln lebt und arbeitet. In diesem Jahr waren seine Arbeiten bereits in mehreren Ausstellungen zu sehen, etwa in der Soloshow „Soundscapes“ in Essingers Art Club in Mödling oder derzeit noch bis Ende August in der Berliner Galerie Crone. Sebastian C. Strenger hat den Schöpfer der Cyber-Punk-Malerei in seinem Berliner Atelier getroffen.
Meine Malerei hat im Grunde ihre Wurzeln beim französischen Schriftsteller und Schachtheoretiker Raymond Roussel (1877–1933). Roussel war zu Lebzeiten bereits ein Wegbereiter der Surrealisten und Dadaisten. Mithilfe seiner Schreibtechnik, der Wortspiele und Klangassoziationen zugrunde liegen, erzählte er ganze Geschichten mit sprachlichen Lauten. Und dies hat in der weiteren Entwicklung dann zum Code geführt – also letztlich ins Digitale. Ich erschaffe in meinen Bildern collageartige Ebenen. Gepaart mit Musik, die weitgehend eine Weiterverarbeitung von popkulturellen Einflüssen ist. Die Titel „Noise“ und „Industrial“ beispielsweise, die sich auf Musikrichtungen der Achtzigerjahre beziehen, kennzeichnen dabei sichtbar kommerzielle Strukturen.
Die Grundlagen meiner Malerei sind die Akademiezeiten bei Hubert Schmalix und meine Passion für Musik. Zuletzt, zwischen 2014 und 2019, habe ich mich dann überwiegend mit der Dekonstruktion der Figur hin zum Abstrakten beschäftigt, was für mich zugleich eine Auseinandersetzung mit Sound, Musik, Foto und Film war. Zu dieser Zeit habe ich eigentlich mehr und mehr die Welt im Bildraum aufgegeben, ähnlich wie Philip Guston in seinen frühen Jahren.
Die Papierarbeiten sind HD! Es ist eine Überschärfe in ihnen, mit vielen Details, die explizit zu sehen ist. Demgegenüber ist die Malerei auf der Leinwand viel weicher. Sie besitzt viel mehr Wärme und eben auch eine andere Leuchtkraft.
Bei mir ist immer wieder dieses Element drin, das einen an Rakelmalerei denken lässt. In „Night City“ beispielsweise – einem Bild, das in abstrahierter Form David Bowie zeigt und sich auf eine Stadt im Roman Neuromancer bezieht. Das ist Cyber-Punk! Ganz anders als bei „Bed“, einem Werk, das zwei schlafende Menschen zeigt.
Meine Malerei ist manchmal, etwa bei „Bed“, von der Brauntönigkeit der Achtzigerjahre beeinflusst, beispielsweise von Albert Oehlen. Durch die Beschäftigung mit Oehlen bin ich damals auch beim abstrakten Expressionisten Willem de Kooning (1904–1997) gelandet. Denn Oehlen hat in seinen Plakatübermalungen von 2008 auch eine Referenz auf de Kooning drin. Dadurch hat er mir letztlich den Einstieg in de Koonings Position ermöglicht – und dafür bin ich ihm dankbar.
Ich finde Oehlen zwar spannend, habe ihm gegenüber aber auch ein ambivalentes Verhältnis. Ich finde aufregend, zu sehen, was möglich ist – und da hat er mir viel eröffnet, gerade auch in Bezug auf den Umgang mit Raum in der Malerei. Aber ich habe Probleme mit der Ironie, die sich in seiner Malerei findet. Interessant ist sie schon, aber ich bin an dieser Stelle vergleichsweise ironiefrei. Dennoch haben mich seine Auseinandersetzung mit dem Digitalen und sein Sampeln von Motiven geprägt.
Damals war mir nicht bewusst, dass meine Bilder ein eigenes Referenzsystem haben. Gerade habe ich damit begonnen, William Gibson zu lesen. Und in dieser Schnittmenge von Cyber-Punk-Literatur und Musik finde ich mich heute wieder. Sie liefert mir den Mix für meine Bildthemen.
Manga ist für mich auch wichtig. Ich denke dabei aber vor allem an den japanischen Künstler Utagawa Hiroshige (1797–1858), der mit seinen Holzschnitten bereits die gesamte Manga-Generation vorweggenommen hat. Er ist vor allem durch seine „100 Ansichten von Edo“ bekannt geworden. Bei mir kommt aber noch das Digitale dazu, das unsere Gegenwart prägt. Eben jetzt in der Pandemie wird das noch stärker spürbar. Dadurch entsteht die Reibung in meinen Bildern.
Ich entdecke gerade wieder verstärkt die Collage, die mich ästhetisch augenscheinlich in die Nähe des Österreichers Franz West (1947–2012) rückt, die aber andere Bezüge herstellt und auch eine Vorstufe für meine großen Leinwände ist.
Meine aktuelle Werkserie mit Bildern wie „Inside Richard Burton“ und „Merzbow“ ist ein Mix aus Ölmalerei und invasiven Eingriffen durch Tapes und Spachtel. „Two Lovers“ von Anfang 2020 markiert für mich den Beginn dieser Richtung, die wieder mit einem flächigeren Bild und einer stärkeren Fokussierung auf die Figur einhergeht.
Meine abgetapten Bilder funktionieren so wie ein Fotogramm. Also wenn du den Moment tapst und mit der ersten Farbschicht abnimmst, ähnlich einer Belichtung, ist da eine Form da. Eine Form, die einerseits ganz frei ist, aber andererseits auch einen ganz anderen Bezug hat – eine andere Wirklichkeit beschreibt. Das ist wie ein Spiel mit unterschiedlichen Ebenen, wie eine Konstruktion hinter der Oberfläche. Die Arbeiten sind ja auch alle sehr durchlässig – und das interessiert mich. Das Referenzsystem ist letztlich immer so, dass man auch woanders andocken kann.
Fotos sind eine der Grundlagen für meine Malerei. Meine Figuren sind ja nicht frei entstanden. Ich greife da auf ein Archiv zurück. Das schafft einen Ausgangspunkt. Dort finden sich ganz unterschiedliche Motive: Die Grundlage für mein Bild „Inside Richard Burton“ war beispielsweise ein relativ unbekanntes Foto, das ich von diesem charismatischen Schauspieler gefunden habe, aber ich benutze auch ikonische Aufnahmen wie die von River Phoenix.
Meine aktuelle Serie beginnt ja, wie gesagt, mit „Two Lovers“. Dieser Titel ist viel konkreter als bei meinen abstrakteren Arbeiten wie „Sonic Wave“ etc. Ich wollte in diesem Bild am Beispiel des Filmpaars Elizabeth Taylor und Richard Burton wieder stärker die Figur in den Mittelpunkt stellen. In einem anderen Fall geschah das anhand von Monica Vitti und Alain Delon, die im Zusammenhang mit Michelangelo Antonionis Film „L’eclisse“ (1962) gemeinsam vor der Presse stehen. Antonioni geht es immer auch um die Vereinzelung von Individuen. Eben um die Unmöglichkeit, miteinander zu kommunizieren. Oder nehmen wir Antonionis „Il deserto rosso“ (1964), wo die Figur dem Sound der Fabriken gegenübergestellt wird. Mich interessieren diese Größenverhältnisse und wie das alles aufeinanderprallt. Die Sicht hinein in Räume und die Sicht hinaus aus Räumen – und wie man damit so umgeht. Indem ich mir Filme anschaue, finde ich den Einstieg und den Zugang zu vielen Themen. Wie auch über die Literatur.
Meine Darstellungen sind komplex, da sie auch immer das zeigen sollen, was eigentlich nicht sichtbar ist. Ein Foto liefert immer nur einen Bildausschnitt. Und eigentlich gehört zu einer Straßenszene ja beispielsweise auch der Straßenlärm dazu. Häufig assoziiert ein Bild sogar noch viel mehr, gerade dann, wenn es sich um ein Filmstill handelt. Dann läuft beim Betrachter des Fotos gleich noch die filmische Szene ab. Da ist dann vielleicht noch Hintergrundmusik, oder ein Dialog …
Man kann einfach nur dem Strang des Narrativen – der Geschichte – folgen. Man kann sich aber auch nur auf die Komposition konzentrieren oder auf die eingeflochtenen Sounds – eine weitere Ebene. Dann gibt es da noch viele weitere Querverweise, die beispielsweise Literatur ins Spiel bringen. Es ist also alles miteinander verbunden und verwoben – insofern komplex. Es ist mein Prinzip als Maler, dass viel Gleichzeitigkeit passiert. Oft gibt es da so viele Eindrücke und Einflüsse, dass man geradezu hinweggespült wird.
Die Figur muss sich da herausschälen. Die Figur selbst ist in ihren Proportionen nie deformiert. Sie hat etwas Greifbares gegenüber all dem anderen im Bild. Verfremdung im Bereich der Figur wird nur über die Farbigkeit ausgedrückt. Das Resultat meiner Bilder ist daher collagenhaft. Die Dinge clashen aufeinander. Reibungen entstehen, auch Dissonanzen, teils wird aber auch ein harmonisches Momentum erzeugt.
Zuletzt hat sich wieder einmal meine Farbpalette verändert. Es sind jetzt viele Pastelltöne dabei. In den vergangenen Jahren war dies weniger der Fall. Bei „Two Lovers“ geht es eben nicht nur um Figuren oder die Konstellation der Figuren: Es geht auch um mein Referenzsystem, das hier sehr stark beeinflusst ist von Hiroshige – auch in der Farbgebung. Es gibt bei mir aber immer auch Farben, die als „Aktivator“ dienen. Hier gerade vermehrt Orange. Aber das verändert sich von Phase zu Phase. Das läuft bei mir intuitiv und nicht wie bei Picasso, der in diesem Punkt immer sehr marktstrategisch gedacht hat.