Konferenz in Berlin

Die Stadt für die Zukunft

Wie müssen die Metropolen auf die Probleme unserer krisengebeutelten Zeit reagieren? Das fragt in der Hauptstadt die große Konferenz „Berlin questions“. Mit dabei die Künstlerin Hito Steyerl und andere Kreative sowie Bürgermeister aus aller Welt

Von Sebastian Preuss
08.08.2021

Berlin ist die Stadt der Verheißungen. Menschen aus aller Welt, vor allem Jüngere, versprechen sich hier ein freieres Leben, Künstler und andere Kreative eine offene schöpferische Atmosphäre sowie eine urbane Bühne für das, was sie tun. Andere träumen sich zurück in die Zwanzigerjahren und erhoffen sich von der Stadt eine Stimmung wie in der TV-Serie „Babylon Berlin“. Start-ups vor allem im digitalen Sektor setzen auf den coolen Drive und malen die Zukunft eines europäischen Silicon Valley an den Himmel. Wissenschaftler schwärmen von den drei Universitäten und den vielen Denklaboren, Tourismusmanager bauen optimistisch auf ein weiterhin so rasantes Wachstum ihrer Branche in der Hauptstadt – sobald der Corona-Einbruch einmal überwunden ist.

Natürlich ist die Stadt auch für Immobilienentwickler ein Eldorado, um hier lukrative Geschäfte zu machen. Und andererseits versprechen der rot-rot-grüne Senat und ein Großteil der Bezirksadministrationen der Stadt permanent einen nachhaltigen, ökologische Umbau und treffen damit die Sehnsüchte vieler Berliner. Die Stadt gilt international als ein brodelndes Experimentierlabor für neue gesellschaftliche und private Lebensentwürfe. Aber stimmt das?

Berlin questions San Gimignano Lichtenberg
Das Areal des Projekts San Gimignano Lichtenberg, entwickelt vom Architekten Arno Brandlhuber und anderen. Da Konferenzthema hier: Quarantäne und Ökonomie. © Andreas Gehrke

Wer in Berlin lebt und arbeitet, in den letzten zwanzig Jahren sozusagen im permanenten Liveticker die Realität der Stadt erfahren hat, sieht das womöglich anders. Berlin driftet sozial immer weiter auseinander, die Wohnungsnot weitet sich immer mehr zum Riesenproblem aus, von einem ökologischen und nachhaltigen Umbau ist wenig zu spüren. Schulen verrotten, die Polizei und viele andere öffentliche Dienste arbeiten am Limit, die Behörden sind personell so ausgedünnt, dass für jeden der Ausnahmezustand ausbricht, wenn er einen neuen Ausweis braucht, sein Auto anmelden will oder – schlimmer noch – bei der Ausländerbehörde vorstellig werden muss. Grünanlagen, Zustand der Straßen, Fahrradwege und Bürgersteige, ganz zu schweigen von einem sozial und auch urbanistisch verträglichen Wohnungsbau, der Kapazität des ebenfalls runtergespartem Fuhrpark von U-Bahn und Bussen und vieles mehr: Manchmal fragt man sich, was in Berlin im öffentlichen Sektor eigentlich noch gut funktioniert. Die innovativen Lichtblicke entspringen jedenfalls meist privaten Initiativen und unternehmerischem Gründergeist.

Immerhin, die sprichwörtliche Offenheit Berlins sorgt dafür, dass viel und kontrovers diskutiert wird, und dass zumindest Teile der Politik willens sind, sich Hilfe und Anregung von außen zu holen. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller persönlich lädt zu der ehrgeizigen internationalen Konferenz „Berlin questions“ vom 11. bis 14. August ein. Eine viertägige Denkfabrik, die seit 2017 jedes Jahr von der landeseigenen Tourismus- und Kongressgesellschaft veranstaltet wird. Hinter dem Programm steht Lutz Henke, der durch kluge, sehr engagierte Aktivitäten in der freien Szene bekannt wurde, das Problem der Gentrifizierung am Leib seines tollen Projekts im Kreuzberger Senatsreservenspeicher erlebt hat und dafür steht, dass „Berlin questions“ es ernst meint, wenn nach Modellen für die Zukunft der Großstadt in diesen Krisenzeiten gefragt wird.

Berlin questions Floating University
Die temporäre Denkplattform Floating University am und auf dem Regenwasserbecken des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Hier kann am letzten Konferenztag jeder mit einem Fünf-Minuten-Beitrag am „Marathon for the New Now“ teilnehmen. © Andreas Gehrke

Das Motto in diesem Jahr lautet „Metropolis: The New Now“. Es geht um die Zukunft der Städte während und nach der Coronapandemie, angesichts des Klimawandels und der vielen ungelösten sozialen Probleme in den großen Agglomerationen überall in der Welt. Dazu tritt eine beeindruckende Parade von Rednern an – einige sind live vor Ort, ein Großteil kann wegen der weltweiten Covid-Situation aber nicht anreisen und beteiligt sich digital an der Konferenz. Die Bürgermeister oder Gouverneure von Los Angeles, Istanbul, Buenos Aires Warschau, Nairobi oder Seoul schildern in Statements ihre Probleme und Ansätze, ihre Städte in die Zukunft zu führen.

Neben den Politikern werden Wissenschaftler, Architekten, Aktivisten und Unternehmer ihre Erfahrungen einbringen oder ihre Visionen vortragen. Die ghanaisch-schottische Architektin und Autorin Lesley Lokko will über die „Einflüsse der Pandemie auf die globale Vernetzung der afrikanischen Jugend“ sprechen, im Vortrag der Künstlerin Hito Steyerl soll es um „digitale Disaster“ gehen. Manuel Ehlers von der Triodos Bank wird von nachhaltiger Immobilien-Finanzierung berichten, um nur einige Beiträge zu nennen. Zentrale Themen sind natürlich Stadtentwicklung, Baupolitk und neue Konzepte für den Verkehr, aber auch Pandemie-Probleme oder wie man öffentliche Räume gestaltet, damit die Stadtbewohner wirklich davon etwas haben.

Die Konferenz ist für jeden Besucher vor Ort offen, sofern der Platz reicht, oder online zu verfolgen. Wer anreist oder aus Berlin kommt, kann sich an den spektakulären Orten freuen: dem ehemaligen Technoclub E-Werk, den Vergnügungsruinen im schrägen Spreepark oder dem Areal „San Gimignano Lichtenberg“ mit einer Mischung von Avantgardearchitektur und Gewerbebrache. Die Diskussionen auf dem verwaisten Flughafen Tegel werden nur online übertragen. Dafür kann sich am letzten Tag jeder auf der temporären Open-Air-Plattform „Floating University“  mit einem Fünf-Minuten-Statement am „Marathon for the New Now“ beteiligen. Berlin will lernen von der Welt, und ebenso vom Ideenreichtum, der vor Ort herrscht. Das hat die Stadt auch nötig.

Service

KONFERENZ

„Metropolis: The New Now“
11. bis 14. August
E-Werk, Spreepark, San Gimignano Lichtenberg, Haus der Statistik und Floating University in Berlin

Programm und alle Infos:
berlinquestions.com

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