Der Sammler Heinz Böhme wollte sich nicht damit abfinden, dass so viele Künstlerinnen und Künstler seit der Ächtung durch die Nazis aus dem Blick gerieten. Dafür gründete er in der Salzburger Altstadt das Museum Kunst der Verlorenen Generation
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13.08.2021
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 187
Wenn es stimmt, dass jede Sammlung auch ein Porträt ihres Besitzers wiedergibt, dann ist Heinz Böhme ein Mensch, der sich nicht vom Mainstream beirren lässt. „Ich habe kein Bild von Schiele und keines von Kokoschka“, bekennt er gleich zu Beginn des Rundgangs durch sein Museum Kunst der Verlorenen Generation. „Mich interessieren jene Maler der Zwanziger-, Dreißiger- und Vierzigerjahre, die kaum jemand kennt. Deren Karrieren durch die Zeitumstände abbrachen und deren Bilder doch von großer Qualität sind.“ Und davon gibt es viele. Karl Tratt, ein früh gestorbener Schüler Max Beckmanns, gehört dazu. Er verknüpfte die brüchig-stumpfen Oberflächen seines Lehrers und die Neue Sachlichkeit; nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde er schnell als „entartet“ abgestempelt.
Ein anderer ist Heinrich Esser aus Berlin. Seine erdigen, skeptischen Menschenbilder hob Paul Westheim in seinem Kunstblatt 1927 hervor, doch sechs Jahre später zerplatzte alle Hoffnung. Unter Hitler in die innere Emigration gedrängt, passte dann nach 1945 auch den ostdeutschen Kommunisten die dunkle Seite von Essers Malerei nicht.
Für Professor Böhme, wie ihn die Mitarbeiterinnen des 2017 eröffneten Museums nennen, bildet diese Sammlung ausdrucksstarker Gemälde zugleich ein Kabinett voller Schicksale ab. Denn auch wenn Kunst immer ein Spiegel ihrer Zeit ist: Der frühere Chefarzt einer Münchner Klinik kann die Werke nicht von den oft bitteren Biografien der Künstler trennen. Wie die von Paula Gans, die in ihrer duftigen Malerei von den Impressionisten beeinflusst war. Als Jüdin wurde sie 1933 von der „Hamburger Künstlerschaft“ ausgeschlossen, bekam Ausstellungsverbot und verarmte. Einen Tag, bevor sie 1941 ins Getto von Minsk deportiert werden sollte, nahm sie sich das Leben. „Ich wollte, dass diese Künstler wieder der Vergessenheit entrissen werden“, so die große Motivation des bald 90-jährigen Sammlers. Die intime, private Atmosphäre seines Museums, das sich hinter der Fassade des um 1300 erbauten „Steinhauerhauses“ verbirgt, gibt den passenden Kammerton dazu.
Kunsthistoriker und Museen haben viele Jahre die Seitenwege der Moderne ignoriert. Bis Kunstliebhaber wie Böhme eine neue Sicht auf die vergessenen Künstlerinnen und Künstler beförderten. In der Berliner Fasanenstraße sah er Mitte der Achtzigerjahre eine Ausstellung mit Werken von Ludwig Jonas, einem modernen Landschafter und begabten Stilllebenmaler. Diese Bilder öffneten Böhme die Augen dafür, dass die Kunstgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts immer noch große Lücken aufweist. Kurz danach begegneten ihm in einem Auktionshaus weitere Arbeiten von Jonas, der 1935 nach Palästina emigrierte. Die Leidenschaft und das Interesse für die „Verlorene Generation“ erwachten.
Aus dem Kunstliebhaber wurde ein Mann mit einer Mission. Böhme recherchierte Lebensgeschichten, verifizierte Zuschreibungen und stieß in Archiven und Museumskreisen doch immer wieder auf große weiße Flecken. Mit Erfolg. Seine Sammlung hat den Kanon verändert und dem Markt sowie großen Museen Impulse zur Beschäftigung mit diesen lange aus dem Blick geratenen Kunstschaffenden gegeben. Viele Institutionen fragen heute nach Leihgaben. Derzeit hängt etwa das magisch-surreale „Stillleben mit Lampe und Tieren“ von Marta Hegemann im Panorama Museum in Bad Frankenhausen. Das Bild von 1921 ist eines der wenigen erhaltenen Werke der Malerin aus dem Umkreis von Max Ernst und Anton Räderscheidt.
Heute weist der Bestand des Museums, verankert in der Böhme-Stiftung, knapp 450 Gemälde und Skulpturen auf. Expressiver Realismus, Surrealistisches, Klassisches, Symbolistisches, Porträts, Landschaften, Kinderbilder – Stil und Sujet spielen keine Rolle. Und gerade deswegen ist dieses Museum ein großer Querschnitt durch die künstlerischen Facetten der Zwischenkriegszeit. Zerstückelt in farbige, mit feinen Mustern überlegten geometrischen Formen malte Herbert Behrens-Hangeler seine abstrakten Visionen. Erst als Mitglied der „Novembergruppe“, dann wegen Berufsverbot heimlich nachts. Expressiv und kantig, und als wolle die Welt ins Wanken geraten, empfand Georg Heck 1929 seinen „Flieder am Fenster“.
Zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit legte Hanna Bekker vom Rath 1944 ein Porträt Alexej Jawlenskys an. Vor der braunen Öffentlichkeit hatte sie sich auf ihr Anwesen im Taunus zurückgezogen, nicht nur als Malerin, sondern auch als Unterstützerin für viele verfolgte Künstler. Eines der schönsten Beispiele in der Sammlung für die Ausdrucksplastik der Zwanzigerjahre ist Ottilie Wollmanns kleine Darstellung der Tänzerin Gret Palucca. Letztere konnte sich vor der Deportation retten, das Leben der Fritz-Klimsch-Schülerin endete in Auschwitz.
Wenn am 15. Juli die neue Ausstellung beginnt, heißt sie ganz lapidar „Apropos Frauen. Schicksale aus der Sammlung Böhme“. Es ist kein Zufall, dass 40 Prozent des Museumsbestands von Frauen stammen. Die Zwanziger waren eine Zeit der Emanzipation, vor allem in der Kunstszene. Verkannt und unterbewertet blieben viele von ihnen bis in unsere Tage. Heinz Böhmes Mission ist noch lange nicht zu Ende.
„Apropos Frauen. Schicksale aus der Sammlung Böhme“
Museum Kunst der Verlorenen Generation, Salzburg
bis Januar 2022