Karl Lagerfeld bei Sotheby’s

Der Herr der Dinge

Karl Lagerfeld war weit mehr als nur ein großer Modeschöpfer. Er war ein Connaisseur und Sammler, der mithilfe von Kunst und Design immer wieder neue Welten erfand. Sotheby’s versteigert nun seinen Nachlass

Von Sabine Spindler
03.12.2021
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 193

Mode war Karl Lagerfeld nicht genug. Er war ein unersättlicher Sammler und arrangierte seine wechselnden Schlösser und Apartments zu Bühnen seiner Leidenschaft. „Das Wichtigste im Leben ist, sich immer wieder neu zu erfinden.“ Mit diesem Satz erklärte der brillante Geist des Chefdesigners im Hause Chanel die oft überraschenden Wandlungen seines Geschmacks. Als er im Jahr 2000 mit dem Verkauf von Louis-seize-Möbeln und Rokokogemälden seine Steuerschulden beglich, trauerte er dem 18. Jahrhundert, das er zuvor noch als Krönung von Eleganz, Esprit und Komfort gepriesen hatte, keine Träne nach. Die Resettaste zu drücken kann befreien. Es ist eine Methode, auf der Höhe der Zeit zu bleiben, die Lagerfeld zur Lebenskunst perfektionierte.

Körperlich warf der bekannteste Deutsche in Paris kurz darauf den Ballast der vergangenen Jahrzehnte ab und erschien nun in den superschmal geschnittenen Gehröcken von Hedi Slimane. In sein Apartment am Quai de Voltaire zog ein Futurismus ein, der der Ausstattung eines Raumschiffs glich, geformt aus Licht, Metall und Milchglas. Das 21. Jahrhundert hatte begonnen, und Kaiser Karl, wie er gern von seinen Verehrern genannt wurde, wollte es nicht verpassen. Der australische Designer Marc Newson hatte mit seinen stromlinienförmigen Aluminiummöbeln gerade einen neuen Ton gesetzt und faszinierte den manisch arbeitenden Modemacher ebenso wie der französische Entwerfer Martin Szekely. Dessen unterkühlte, perfekt polierte Chrommöbel sehen so klar und linear wie die Zeichnungen des Maestros aus. Und sie verknüpfen Klassik mit puristischer Modernität, was dem kunsthistorisch besessenen Lagerfeld gefallen hat. Bis vor Kurzem standen Newsons „Zenith Chair“ von 2003 und Szekelys messerscharf konstruierte Konsole noch in dieser minimalistisch eingerichteten Beletage, die in der Nähe seines schwarz-weiß eingerichteten Lagerfeld-Stores liegt.

Lagerfeld Auktion Marc Newson
Marc Newsons „Zenith Chair“ (2003) aus dem Lagerfeld-Nachlass kommt im Pariser Teil der Auktion zum Aufruf und ist auf 40.000 bis 60.000 Euro taxiert. © West Image/ Sotheby's

Schon zu Lebzeiten kam das Wort Nostalgie im Empfindungskatalog Karl Lagerfelds niemals vor. „Machen ist toll, aber was ich einmal gemacht habe, interessiert mich später nicht mehr die Bohne“, bekannte er in einem anderen Interview. Das heißt nicht, dass der Ästhet, der bis zum Schluss Kollektion um Kollektion entwarf, fotografierte und Bücher verlegte, die Bewunderung für das Alte verlor, wenn er sich für Neues entschied. Die Klismos-Stühle, die archaische Liege und die architektonische, wie aus den Ruinen Pompejis geborgene Konsole des Designers Terence Harold Robsjohn-Gibbings, die mit moderaten vierstelligen Beträgen taxiert waren und auf der Lagerfeld-Auktion in Monacho teilweise auf 25.000 und 30.000 stiegen, sind ein bestechendes Beispiel dafür. In diesen Möbeln, mit denen der Amerikaner Mitte des 20. Jahrhunderts die Appropriation Art des Designs probte, verdichtet sich die Geschichte der menschlichen Zivilisation – Antike, Klassizismus, Moderne.

Schließlich bestimmte das Prinzip des Reloadings auch Lagerfelds Entwürfe für Chanel. Dem Modehaus, das nach dem Tod von Coco Chanel dahinschlummerte, hauchte er ab 1983 neues Leben ein. Er gab dem kleinen Schwarzen ein zeitgemäßes Image, ohne den typischen Look der klassischen Chanel-Jacke zu verdrängen. Lagerfeld durchstreifte die Galaxien der verschiedenen Epochen. Er war ein Zeitreisender des Geschmacks, der es selten an einem Ort aushielt und stets in die Zukunft schaute. Nicht nur als Couturier. In jedem seiner zahlreichen Schlösser und Apartments, etwa in Biarritz, Monaco oder den hohen Räumen in der Pariser Rue des Saint-Pères, konnte er geschmacklich neues Terrain testen und ein anderes Ich ausleben: Jugendstil, Barock und Rokoko und immer wieder Art déco, das für ihn „die Wurzel jener Modernität“ war, nach der er stets suchte.

Lagerfeld Auktion Plakate Bruno Paul
Plakate waren eine seiner großen Leidenschaften, hier hängen Exemplare aus den 1910er- und 1920er-Jahren über einem Schminktisch mit Stühlen von Bruno Paul, Lampe und Figuren sind von Gerhard Schliepstein. © Louis Blancard/Art Digital Studio/Sotheby's

Wenn es um die 1920er- und 1930er-Jahre ging, blieb Lgerfeld seinen favorisierten Entwerfern Süe et Mare treu. Mit 80 Jahren erwarb er das Schlösschen in Louveciennes, dessen Inventar in Deutschland unter den Hammer kommt. Den Salon des Petit Pavillon de Château Voisins stattete er mit den üppigen blauen Polstermöbeln des Designerduos aus, das das harte, kubische Art déco lieber anderen überließ. In weiteren Räumen platzierte er einen Süe-et-Mare-Schreibtisch, der modern ist und zugleich mit dem Rokoko kokettiert. Lagerfeld wollte auch nach seinem Ausflug in die Zukunft am Pariser Quai Voltaire den weichen Stil und die charmanten Silhouetten dieser Möbel nicht missen.

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