Auch 200 Jahre nach seinem Tod lässt Napoleon Bonaparte die Menschen nicht los. Für Objekte aus seinem Besitz und Umfeld werden hohe Summen gezahlt, das uferlose Angebot an Memorabilien bedient hingegen jeden Geschmack und Geldbeutel
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06.12.2021
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 193
Auf den Hut legen alle Wert, die sich Napoleon nähern, als Bewunderer wie als Verächter. Den Zweispitz auf dem Kopf und die Hand in der Weste, so ist er unverkennbar, und so wurde er unzählige Male dargestellt, in Gemälden, Skulpturen, Druckgrafiken, überhaupt auf allen nur denkbaren Bildträgern – zu Lebzeiten und nach seinem Tod. Vor allem Arbeiten der Künstler des späteren 19. Jahrhunderts aus der zweiten und dritten Reihe, die beharrlich an Bonapartes Nachruhm arbeiteten, sind heute noch zu erwerben – gewöhnlich mit Zuschlägen im niederen fünfstelligen Bereich.
Dagegen gehören die berühmten Werke, die zu Lebzeiten des Herrschers und zum Teil auch auf dessen Betreiben entstanden, längst zum stolzen Museumsbesitz: „Napoleon auf dem Kaiserthron“ von Jean-Auguste-Dominique Ingres, „Napoleon auf der Brücke von Arcole“ von Antoine-Jean Gros, „Bonaparte am Großen Sankt Bernhard“ und die „Kaiserkrönung“ von Jacques-Louis David sowie Canovas Marmorskulptur als „Frieden stiftender Mars“ (die Napoleon allerdings missfiel, weshalb sie zur Unsichtbarkeit verurteilt wurde). Nichts aus dieser Kategorie kommt auf den Markt.
Sich Napoleon sammelnd zu nähern heißt infolgedessen, sich mit Kopien, Nachmalereien, Stichen, Lithografien zu begnügen. Mit Bronzeminiaturen, Porzellanstatuetten oder kunsthandwerklichen Preziosen aus dem Umkreis oder womöglich dem direkten Besitz des Imperators. Daneben gibt es die zahllosen Verkitschungen jeglicher Art, vom Nippes bis zu den Sammelkarten von Liebigs Fleischextrakt. Das letztere Segment ist allenthalben für bescheidene Eurobeträge zu haben – obwohl von den Verkäufern gern der Eindruck erweckt wird, es handele sich um Wertsteigerungen versprechende Raritäten. Aber ist das befriedigend?
Wer sich auf das Sammeln von Napoleonika einlässt, wagt sich in ein Labyrinth, aus dem kein Ariadnefaden heraushilft. Denn immer wieder wird man, weil das Angebot unüberschaubar ist, vom Hauptweg, dem man zu folgen glaubt, auf Nebenpfade oder in Sackgassen gelockt. Der Vielfalt und Vielzahl der Objekte, die mit dem oft überdehnten Signum „Napoleon“ auf dem Markt sind, steht eine nicht minder gemischte und in ihren Intentionen kaum auf einen Nenner zu bringende Sammlerschaft gegenüber.
Das eine Ende bilden die, die mit höchstem Ernst und großer Sachkenntnis allein Authentisches, das keine Zweifel zulässt, suchen und bewahren. Sie müssen allerdings sehr tiefe Taschen haben. Und das andere Ende sind diejenigen, die allem von und über Napoleon nachjagen, was nur irgendeine, nicht selten nur sehr weitläufige Beziehung zu dem Korsen hat. Solchen Ansammlungen begegnet man von Zeit zu Zeit bei kleineren Häusern als „Spezialauktion“. Außerdem gehören sie mit zwei- und niedrigen dreistelligen Preisen zu den Konstanten der Allerweltsauktionen und Kaufportale im Internet. Aber in diesem Jubiläumsjahr haben die Napoleon-Auktionen bei Osenat, Sotheby’s und Bonhams (Neumeister folgte im Dezember) gezeigt, dass der Markt im seriösen Sektor des Sammelgebiets lebendig und lukrativ ist.
Napoleonisches zu sammeln erfordert, wenn es nicht ausufern soll, die Beschränkung auf ein Terrain, das sich eingrenzen lässt. Das mögen bestimmte Zeitabschnitte wie das Erste Konsulat oder die Herrschaft der Hundert Tage, der Ägyptenfeldzug oder das russische Abenteuer sein. Aber auch Vivant Denon und das Musée Napoleon, die Frauen um Napoleon oder die französische Huldigungskunst und die Karikaturen als ihr sarkastischer Widerpart haben ihren Reiz. Und nicht zuletzt die Münzen und Medaillen, die ein eigenes, sehr spezielles Gebiet sind.
Eine gewisse Charakterstärke und die Entschlossenheit, Versuchungen zu widerstehen, doch noch das eine oder andere dazu zu erwerben, obwohl es nicht unbedingt in die Sammlung passt, sind dabei eigentlich unabdingbar. Bei alledem darf nicht übersehen werden, dass die Memorabilia desto höher bewertet werden, je näher sie Bonaparte räumlich und zeitlich waren. Ein reich verzierter Säbel – den „Napoléon le Grand“ bei der Schlacht von Marengo trug, wie eine Inschrift verrät – war mit dem Zuschlag von 4,8 Millionen Euro 2007 bei Osenat in Fontainebleau bislang das teuerste Souvenir.
An zweiter Stelle der Rekordliste rangiert einer der berühmten Hüte, den der Kaiser 1807 bei der Unterzeichnung des Friedens von Tilsit und dann beim Russlandfeldzug getragen haben soll. Er wurde 2014 zum Höchstgebot von 1,5 Millionen Euro, das Fünffache der Taxe, dem Koreaner Kim Hong-kuk bei der Versteigerung der Sammlung der monegassischen Fürsten durch Osenat mit Binoche et Giquello zugesprochen. Napoleon soll alles in allem etwa 120 dieser Hüte besessen haben, die allein der Pariser Hutmacher Poupart für ihn fertigte. Indem er sie nicht, wie sonst üblich, mit der Spitze nach vorn trug, machte er ihn für sich zum Erkennungsmerkmal. Davon sind noch 19 erhalten und keine Handvoll in Privatbesitz. Im September erzielte einer der Hüte bei Sotheby’s Paris mit Aufgeld 1,2 Millionen Euro. Ende Oktober wurde bei Bonhams in London nochmals einer aufgerufen, bei dem durch DNA-Analyse nachgewiesen werden konnte, dass Napoleon ihn tatsächlich getragen hat. Er kam auf 200.000 Pfund brutto.
Diese Hüte als textile Inkarnation des Herrschers setzte der deutsch-französische Porträt- und Historienmaler Carl von Steuben um 1826 höchst originell ins Bild. Acht Hüte liegen da im Gras, jeweils eine Lebensphase Napleons symbolisierend. Demgemäß anfangs aufrecht und stolz. Doch nach und nach strapaziert, wie verloren und letztendlich zerknautscht. Das Original bewahrt das Museum in Schloss Malmaison, während sich andere Häuser mit gestochenen Varianten der Biografie in Hüten begnügen müssen – auf Auktionen tauchten sie in letzter Zeit nicht auf.
Stattdessen gibt es den Hut in zahllosen Abwandlungen: nachgeschneidert, gezeichnet, als Dose, Vase, Gedenkmünze und selbst als Kuchen. Denn der Einfallsreichtum der Produzenten von Napoleon-Nippes ist unerschöpflich. Selbst die Firma Playmobil spielt da heutzutage mit einem Mini-Napoleon mit. Und es war bereits zu Napoleons Lebzeiten ein weites Feld, wie drei Pariser Puzzles von 1815 mit Szenen aus seinem Leben andeuten, die das Antiquariat Inlibris in Wien für 3000 Euro offeriert.
Deshalb spottete 1814 die satirische Schrift „Napoleons große Auction“, im Angebot seien „eine Menge künstlicher Blasebälge (um den Leuten Wind vorzumachen), desgleichen eine Anzahl Streusandbüchsen mit dem feinsten, flüchtigsten Sande (um ihn den Leuten unmerkbar in die Augen zu streuen)“. Für 40 Dollar bietet derzeit das Antiquariat Alcuin Books in Arizona ein Exemplar an. Es ist einer der rund 200.000 Titel in Sachen Napoleon, die Friedrich Kircheisen schon 1912 bibliografiert hat. Inzwischen sollen es mehr eine Million Bücher sein. Dazu gehören beispielsweise das „Dictionnaire chinois, français et latin, publié d’aprés l’ordre de sa majesté l’empereur et roi Napoléon le Grand“ von 1813. Bei Bassenge kam der Band im Oktober für 2000 Euro zum Aufruf, jetzt kostet er im Nachverkauf 4000 Euro. Oder die „Ode to Bonaparte“ für Streichquartett, Klavier und Sprecher von Arnold Schönberg, 1945 in New York gedruckt und dort gerade wieder für 170 Dollar antiquarisch angeboten. Erwähnen lässt sich auch ein hebräisches Gebet der jüdischen Gemeinden in Italien und Frankreich für den „HaKeisar Veha Melech Napoleon“ zum Sabbat vor Pessach im Jahr 5567 (1806/07). Kestenbaum in New York hat das Gebet für 850 Dollar zugeschlagen.
Zu den authentischen Objekten gehören neben Hüten und Säbeln etwa ein Hemd, das 100.000 Euro brutto kostete, ein Paar Strümpfe aus roter Seide, das 26 900 Euro eintrug, ein Taschentuch mit eingesticktem „N“ für 45 200 Euro – alles bei Osenat im Mai 2021. Oder ein Paar Stiefel, die Napoleon auf St. Helena trug und die 2019 im Drouot ihre Taxe auf 117.000 Euro verdoppelten. Nicht zu vergessen die Haare, die (in ein Medaillon verschlossen) bei Sotheby’s Paris 13.900 Euro und 18.900 Euro (als Bild gerahmt) erzielten. Selbst das Gras, das auf Napoleons Grab auf St. Helena wuchs und das der Schiffsarzt der Fregatte Anthony „am 1.6.1830“ ausrupfte, ist auktionabel und, auf einen Brief aufgeklebt, für 500 Euro verkauft worden.
Wer dagegen à la Napoléon speisen will, kommt nicht so billig davon. Denn bei der Rockefeller-Auktion von Christie’s 2018 in New York mussten für das „Marly Rouge“-Dessert-Service von Sèvres, das Napoleon 1807/08 geordert hatte, mit Aufgeld 1,8 Millionen Dollar auf den Tisch gelegt werden. Und für eines der letzten beiden überlieferten goldenen Blätter des Kranzes, den Napoleon bei seiner Krönung am 2. Dezember 1804 trug – einst waren es 44, für jeden Sieg eines – lautete 2017 bei Osenat das Ergebnis am Ende 625.000 brutto. Echte Napoleonika haben halt ihren Preis.
Allerdings gibt es auch Auktionsgut, das mit Zweifeln behaftet ist. Dazu gehört ein Thronsessel, angeblich einer der fünf, die für Napoleon mit einem großen gekrönten goldenen „N“ auf der roten Polsterung gefertigt wurden. 2018 war er bei Christie’s, wo man ihn als späte Kopie ansah, für 6900 Dollar verkauft worden. Doch Osenat hielt ihn für echt und taxierte ihn ein Jahr später auf 60.000 bis 80.000 Euro. Der Zuschlag bei einer halben Million überraschte dann alle.
Ein Spezialgebiet sind die Autografen. Die 2002 von der Fondation Napoléon begonnene und 2018 abgeschlossene 15-bändige „Correspondance générale“ erfasst 40 497 Briefe, von denen viele zuvor noch nicht publiziert worden waren. Nicht zuletzt wohl, weil am Markt ein unpubliziertes Schriftstück als „bislang unbekannt“ gewöhnlich höher als ein bereits gedrucktes bewertet wird. Bei Napoleon sind grob drei Kategorien zu unterscheiden: jene, die er lediglich mit „N“ oder „NB“ paraphiert hat. Jene von anderer Hand, die er mit vollem Namen unterzeichnete. Und schließlich die eigenhändigen Briefe. So bietet beispielsweise Manuscryptum in Berlin ein Generalspatent von 1803 mit Unterschrift für 1300 Euro an, wohingegen 2012 bei Osenat ein eigenhändiger Brief, geschrieben auf St. Helena, von 60.000 auf 325.000 Euro brutto stieg. Und 2013 waren 357.000 Euro für die einzige bekannte Kopie seines Testaments zu zahlen. Das Original, das Napoleon 19 Tage vor seinem Tod niederschrieb, bewahren die Archives Nationales in Paris.
Besonders geschätzt werden Napoleons amouröse Briefe. Um die 4000 sind erhalten, vor allem an Joséphine, die große Liebe und erste Gemahlin, aber auch an Désirée Clary, Maria Walewska und die zweite Gattin Marie-Louise. All die anderen Liebschaften – allein 25 Namen kennt man von 1800 bis 1810 – wurden nicht mit Schriftlichem bedacht. Aber ein Geheimnis waren sie nicht. Das verrät ein karikierendes Aquarell aus dieser Zeit, das Napoleon mit erigiertem Penis als Reiter auf einem Pferd abbildet, das von fünf nackten Frauen gebildet wird. Bei Christie’s Paris wurden 2012 dafür 12.5000 Euro bezahlt, jetzt kam es bei Sotheby’s Paris erneut unter den Hammer, doch es vermochte sich niemand damit anzufreunden.
Mit 410.000 Euro wurde dagegen 2007 bei Christie’s einer der drei Briefe honoriert, die Napoleon vor ihrer Hochzeit an Joséphine schrieb. Und 282.000 Euro waren es 2011 bei Gros & Delettrez für eine Liebesbotschaft nach der Eheschließung. Übertroffen wurden beide 2014 bei Osenat mit 438.000 Euro von der Urkunde der heimlichen Heirat im März 1796. Dagegen endeten 2016 im gleichen Haus die Gebote für die Heiratsurkunde der kirchlichen Trauung 1804, die Papst Pius VII. zur Voraussetzung für die Kaiserkrönung gemacht hatte, bereits bei 32.500 Euro.