Politischer Wille und eine Neuinterpretation der Covid-19-Situation ermöglichten den Start der spanischen ARCO, die gleich am Eröffnungstag für reichlich Aufregung sorgte
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24.02.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen 2/22
Die Arco Madrid kehrte zu ihrem gewohnten Termin im Februar zurück, um das 40-jährige Bestehen nachzufeiern, das eigentlich schon 2021 hätte stattfinden sollen. Dass dies trotz Corona möglich wurde, hat mit politischem Willen im Königreich Spanien und der Umwidmung der Corona-Pandemie in eine Endemie zu tun. Die Einstufung von Covid-19 quasi als Grippe ermöglichte bereits den frühzeitigen Online-Kartenverkauf. Die nahezu 200 vom Organisationskomitee ausgewählten Galerien freut es, nachdem viele andere Kunstmessen ihre Termine bereits weiter ins Jahr verschoben haben.
Die Sieben-Tage-Inzidenz ist nach wie vor hoch, und noch vor zwei Jahren war in den Arco-Messehallen Spaniens größtes mobiles Krankenhaus untergebracht. Hilfreich ist aber auf jeden Fall die hohe Impfquote von über 80 Prozent in der eigenen Bevölkerung. Zu den flankierenden Maßnahmen gehören die 3-G-Regel und der obligate QR-Code, den der Besucher bei der Einreise auf dem Online-Portal „Spain Travel Health“ generieren muss. In den Hallen, in denen stündlich mehrmals gelüftet wird, trägt man FFP2-Maske und kann im Zweifel auf dem Messegelände einen Corona-Test nachholen.
Spanien ist mit 77 Galerien präsent und ein Highlight in diesem Sektor ist die jüngst von Paris nach Madrid gezogene Galerie Albarrán Bourdais mit Marco A. Castillo, dem Gründer des kubanischen Künstlerkollektivs „Los Carpinteros“. Auf der Arco zeigt sich aber auch die intensive, gewachsene Verbindung zwischen der iberischen Halbinsel und dem deutschsprachigen Raum. So präsentiert die Galerie Krinzinger aus Wien seit Jahren den in Berlin lebenden Spanier Secundino Hernández, Heinrich Ehrhardt aus Madrid den deutschen Bildhauer Ulrich Rückriem.
Wenngleich die Sektion „Nunca lo mismo“ (Nie Dasselbe) auch in diesem Jahr eine Auswahl lateinamerikanischer Künstler von zehn internationalen Galerien umfasst, wird die Arco – natürlich auch coronabedingt – immer weniger ihrem Ruf gerecht, eine Brücke nach Lateinamerika zu sein. Während 14 von 28 Ländern der Europäischen Union auf der Messe vertreten sind, stammen gerade mal 22 Galerien aus Lateinamerika, von denen der Löwenanteil auf Argentinien mit acht Galerien entfällt. Nordamerika ist ebenfalls nur mit den beiden New Yorker Galerien Proxyco und Henrique Faria vertreten, der abstrakt minimalistische lateinamerikanische Kunst verkauft. Auch der Nahe Osten ist nur durch die Dvir Gallery aus Tel Aviv (Israel) repräsentiert, die mit Salz kristallisierte Objekte aus dem Toten Meer der Künstlerin Sigalit Landau zeigt.
Aber die Arco ist seit ihrem Bestehen im Jahr 1982 immer auch für eine Überraschung gut. 2018 gab es einen politischen Skandal – durch die Hängung der Fotoreihe „Politische Gefangene“ von Santiago Sierra. Die gezeigten Porträts katalanischer Separatisten riefen prompt die Zensur auf den Plan. In diesem Jahr sorgt ein „Skandalvideo“ für Aufsehen: „Closing to open“, ein Video der peruanischen Künstlerin Wynnie Mynerva bei der Galerie Ginsberg aus Lima, wird kontrovers diskutiert, denn es zeigt, wie ein Chirurg die Vagina der Künstlerin zunäht. Eine simple Provokation? Ein wichtiger Beitrag zur feministischen Kunst? Die Meinungen gehen auseinander. Daneben machen, wenn auch weniger geräuschvoll, viele andere Positionen auf sich aufmerksam. Beispielsweise fallen die sich gegenüberliegenden Stände der Berliner Galerie Neugerriemschneider mit Tomás Saraceno und Jorge Pardo und die Wiener Galerie Crone mit ihrem Neuzugang Hamlet Lavastida sowie Malerei von Daniel Lergon ins Auge. Großgalerist Thaddaeus Ropac aus Salzburg präsentiert eine Einzelschau der zuletzt mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichneten Malerin Martha Jungwirth, die erst jetzt – mit 82 Jahren – international entdeckt wird.
Neuen Wind erhält die Arco auch durch die gerade vollzogene Neuordnung verschiedener musealer Sammlungen in Madrid – etwas des Nationalmuseums Reina Sofía oder der Thyssen-Bornemisza-Sammlung. In diesen Häusern etabliert sich sichtbar ein neuen Kunstkanon, der bislang wenig gezeigte Positionen propagiert – etwa die der spanischen Minimalistin und Pionierin internationaler Computerkunst Elena Asins. Und solche Neuausrichtungen verändern auch den Markt – das zeigte sich auf der Arco bereits wenige Stunden nach der Öffnung in getätigten Verkäufen. Das Angebot ist insgesamt weiblicher und auch spezieller. Afroamerikanische Kunst gehört verstärkt dazu, genauso Kunst der feministischen Avantgarde.