Die ukrainische Künstlerin Dariia Kuzmych erfuhr in Wien vom Krieg in ihrer Heimat. Ein Gespräch über ihre Familie in Kiew, den Mut der Ukrainer und warum Nähen manchmal das Einzige ist, das hilft
ShareMeine Familie ist komplett in Kiew. Mein Vater ist jetzt bei der Armee, der Mann meiner Mutter auch. Sie haben sich gleich gemeldet, es gibt lange Schlangen an den Registrierstellen. Meine Mutter ist zu Hause. Sie näht, wir haben zusammen ein Projekt, eine Ausstellung, die wir für Mai in Kiew geplant haben. Wir haben unsere gemeinsame Arbeit, und meine Mutter meinte, es gibt nichts zu tun, lass uns weiterarbeiten. Wir machen Videotelefonate und zeigen uns gegenseitig, was wir machen. Gestern Abend hat sie erzählt, dass sie im Hausflur schläft, nicht in der Wohnung, weil im Flur die Wände stabiler sind. Aber dort gibt es keine Heizung. Mein Bruder ist Reservist, aber er ist noch nicht bei der kämpfenden Truppe, sondern darf erst seine Familie in Sicherheit bringen. Er hat schon 2014/15 in der Ostukraine gekämpft, als Russland dort schon einen hybriden Krieg angefangen hat, und er weiß aus Erfahrung, dass man nicht sofort zur Front muss, sondern sich erst um die Familie kümmert.
Ich bin schon seit der Maidan-Revolution gut vernetzt mit verschiedenen Gruppen in den sozialen Netzwerken, ich habe deshalb viele Informationen gesammelt und verbreitet, habe Medienanfragen bekommen und Ansprechpartner vermittelt. Zwischendurch habe ich mit meinen Eltern gesprochen und war auf Demonstrationen hier in Wien. Ich bin natürlich sehr aufgewühlt, das Ganze ist psychisch für mich sehr schwierig. Ich hatte vor elf Jahren, da war ich noch sehr jung, einen schweren Verkehrsunfall und bin seitdem körperbehindert, ich trage nun eine Knieprothese. Ich habe also schon schwierige, traumatische Erlebnisse gehabt. Ich war vor zwei Wochen noch in Kiew, von dort bin ich mit dem Zug nach Wien für das Ausstellungsprojekt in Traiskirchen gefahren. Wenn ich in Kiew geblieben wäre, wäre es für mich sehr schwierig geworden, weil ich körperliche Probleme habe mit dem Reisen oder damit, mich in einem Bunker zu verstecken.
Einige von denjenigen, die Kinder haben, sind auf der Flucht, manche sind mittlerweile in Polen angekommen. Die meisten bleiben. Wir haben einen Chat, in dem wir an einem feministischen Magazin gearbeitet haben. Darin schreibt eine Künstlerin, sie sei unglaublich müde und könne nicht schlafen, jede Stunde sei Alarm und sie müsse wieder in den Bunker. Es gibt sehr viel Zusammenhalt, wir schreiben uns, dass wir uns lieben (bricht in Tränen aus). Ich glaube, die, die dort sind, sind ruhiger als ich. Die Künstlerinnen und Künstler, die dort sind, posten sehr viel auf Social Media und teilen da ihre Erfahrungen. Die Bunker in den Plattenbauten sind teilweise gar nicht als Schutz geeignet, viele gehen in die U-Bahn, und übernachten dort. Es wurde dort schon ein Baby geboren. Aber wir machen auch viele Witze, es gibt einen schwarzen Humor, das ist ganz typisch, das hilft.
Es geht jetzt erst mal um die Armee. Sie kommt jetzt an erster Stelle. Die Armee und die Menschen. Die Kunst kommt später. Auch in der Kunstszene hatten wir vor dem Krieg komische Kämpfe und Auseinandersetzungen, aber jetzt ist das völlig egal, wir sind jetzt alle einig. Die Ukraine wird frei sein. Ich habe am Euromaidan teilgenommen, bei diesen Prostesten sind im Februar 2014 viele Menschen erschossen worden. Ich war ganz in der Nähe, ich durfte eigentlich nicht dorthin, weil ich wegen meines Beins nicht rennen konnte, aber ich bin trotzdem oft zu den Demonstrationen gegangen. Damals war ich im dritten Studienjahr Malerei, aber ich habe in der Zeit gar nichts mehr gemalt. Im Malen oder Zeichnen habe ich damals gar keinen Sinn mehr gesehen. Aber jetzt sehe ich einen Sinn darin, man muss das machen. Man braucht in einer Situation wie jetzt eigene Routinen, ein paar Stunden am Tag, deshalb nähe ich. Also im Moment näht nur meine Mutter (lacht) und wir besprechen es, aber ich werde versuchen, hier in Wien jetzt auch etwas zu nähen.
Eine Ausstellung in der Galerie The Naked Room in Kiew, das ist für den 20. Mai geplant. Die Galerie kuratiert den ukrainischen Pavillon auf der Venedig-Biennale. Ich war sehr aufgeregt deshalb, bevor der Krieg ausbrach. Und jetzt … wir werden sehen.
Eine pazifistische Einstellung ist nicht angemessen, das kann ich klar sagen. Für die Menschen in Deutschland und Europa finde ich wichtig, dass sie sich als Erstes informieren. Dadurch entsteht Verständnis der Situation. Manchmal kommt das Verständnis leider erst angesichts der Opfer. Also: educate yourself! Bitte den Ukrainern glauben und kein „Westplaining“, das ich sehr oft erlebt habe, also dieses Belehren. Die Ukraine braucht jetzt einen Schutz des Luftraums.
Das Ganze ist auch ein Kulturkrieg. Für mich ist die Idee einer russischen Avantgarde eine Lüge, darunter sind viele geklaute Namen von Künstlern aus anderen Völkern. Kasimir Malewitsch war ein Pole, der in Kiew geboren wurde, er stammt aus einer ukrainisch-polnischen Familie, das hat mit Russland nichts zu tun. Der hat an meiner Kunstakademie in Kiew unterrichtet, er ist kein Russe. Und solche Fälle gibt es viele.
Ja, aber es werden nicht allein die Proteste sein. Es wird etwas geschehen, wenn die russischen Mütter erfahren, wie ihre Söhne in diesem Krieg sterben. Russland als Imperium wird zerfallen. Ich weiß, es gibt dort gute Menschen, es gibt Repressionen, es sitzen in Russland Leute im Gefängnis. Deshalb sind die Sanktionen gut. Die Menschen dort werden merken, dass ihr Leben nicht mehr so ist wie früher. Das ist ein so großer Krieg. Die Wahrheit ist auf unserer Seite. Ich bin genauso alt wie die Ukraine, ich bin zwei Wochen vor der Deklaration der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 geboren. Mein Vater war beim Putsch dabei, während meine Mutter mit mir im Krankenhaus war. Ich bin in der Revolution geboren. Das mag pathetisch klingen, aber so ist es.