Was ist ein Cadavre exquis, was unterscheidet Frottage von Grattage? Wo sind die schönsten Surrealismus-Museen, wo kann man Werke kaufen? Eine Übersicht
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25.03.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 196
Die Abstraktionen von Wifredo Lam oder André Masson haben nicht zu diesem Begriff geführt. Er bezieht sich auf eine Gruppe amerikanischer Künstler aus den Vierziger- und Fünfzigerjahren um Willem de Kooning, Jackson Pollock und Mark Rothko, die spontan und absichtslos ihre innersten Gefühle in malerischen Gesten und Aktionen zum Ausdruck brachten.
Man Ray stellte das berühmte Metronom mit dem pendelnden Auge ein, um die Kontrolle seines Tuns zu verhindern. Automatismus ist eine impulsive Methode beim Schreiben, Zeichnen oder Malen. Alles entspringt dem Unbewussten und der Macht des Zufalls.
Als „Spiel mit gefaltetem Papier, in dem es darum geht, einen Satz oder eine Zeichnung durch mehrere Personen konstruieren zu lassen, ohne dass ein Mitspieler von der jeweils vorhergehenden Mitarbeit Kenntnis erlangen kann“, definierte André Breton diese Zufallsabsurditäten. Sie sind ein amüsanter Ausdruck einer höheren Wahrheit und der von Breton propagierten Kraft des Wunderbaren. Der Name leitet sich aus einem kuriosen Satz dieses Spiels her: „Le Cadavre exquis boira le vin nouveau“ („Der köstliche Leichnam trinkt den neuen Wein“).
Hergeleitet vom französischen Verb coller („kleben“). Bildelemente aus unterschiedlichen Quellen und oft verschiedenen Materialien werden neu zusammenfügt. Für die Surrealisten lag die Bedeutung dieses kombinatorischen Verfahrens im Erschließen irrationaler Zusammenhänge von scheinbar sich widersprechenden Dingen.
Verwandt mit dem Abklatschverfahren, bei dem ein Bild vervielfältigt wird, indem man Papier auf ein noch feuchtes Bild legt. Für die Surrealisten war die Décalcomanie eine Möglichkeit zur Erzeugung zufälliger Bildmotive und Oberflächen. Farbe wird zwischen zwei Bildträgern gedrückt, bei flüssigeren Farbauftrag entstehen spiegelverkehrte Abstraktionen, deren Assoziationen in der Psychologie wie in der Kunst als autonome Bildschöpfung verwendet werden. In der Malerei dient das Verfahren oft zur Schaffung amorpher Muster ohne Vorbilder in der Realität.
Schon im alten China übertrug man eingeritzte Schriftzeichen durch dieses Durchreibeverfahren. Mithilfe von Kreide oder eines Bleistifts wird die Struktur eines Gegenstandes auf Papier oder Textilien übertragen. Max Ernst entdeckte 1925 die Technik für die Surrealisten neu. Bereits die Auswahl der Motive betrachteten sie als einen intuitiven Vorgang, in den der Zufall und die Fähigkeit des halluzinatorischen Vorgehens hineinspielt.
Als Erfinder der „Rußmalerei“ gilt der österreichische Surrealist Wolfgang Paalen. Er schuf mit der Rußspur einer Kerze sowohl abstrakte als auch gegenständliche Bilder. Durch die Unschärfe der Ränder entsteht häufig ein unkontrollierter, mystischer Charakter. Otto Piene steigerte wenige Jahrzehnte später die Fumage mithilfe von Flammenwerfern zur Feuerkunst.
Die Grattage funktioniert ähnlich wie die Frottage. Dabei werden mehrere Farbschichten auf eine Leinwand aufgetragen, die dann auf eine strukturierte oder reliefierte Unterlage gelegt wird. Durch Abschaben zeichnen sich die Muster der Unterlage ab.
Schon um 1910 malten Giorgio de Chirico und Carlo Carrà Bilder, die in metaphysische Bereiche vordrangen. Metaphysik bezeichnet in der Philosophie die Wahrnehmung von Seinsfragen, die hinter den Dingen liegen. Die Betonung von Licht und Schatten in einer übernatürlichen Weise und die Darstellung von bühnenhaften Architekturszenerien kennzeichnen heute die sogenannte Pittura metafisica, die die Maler um Breton als präsurrealistische Malerei und Vorläufer ihrer eigen künstlerischen Denkweise sahen.
Sigmund Freuds 1899 publizierte „Traumdeutung“, eine Programmschrift der Psychoanalyse, hatte starken Einfluss auf die Weltsicht der Surrealisten. Freud interpretiert in seinem Buch das Traumgeschehen als Informationsquelle für Erfahrungen, die nicht bewusst abrufbar, aber existent sind. Schon vor Freud hatten in vielen Kulturen Träume und ihre Elemente wie etwa Augenpaare, Tiere, Treppen oder tränende Herzen symbolische Bedeutung. Sie fanden Eingang in die Bildwelten zahlreicher Surrealisten.