Die Art Paris präsentiert moderne und zeitgenössische Kunst in kriegerischen Zeiten – und stellt sich dem Wechselbad der Gefühle
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30.03.2022
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 5/22
Im Grand Palais Éphémère, gleich vor der nationalen Militärschule, tritt die Pariser Frühjahrsmesse für Kunst wieder vom 7. bis 10. April auf dem Marsfeld an. Zu den 130 Galerien kommen 40 Prozent Neuzugänge, darunter große Player wie Rodolphe Janssen aus Brüssel oder Xippas (u. a. Paris/Genf). In den letzten Jahren qualitativ gewachsen, verspricht die Messe einen starken Auftritt – auch für endlich auf Augenhöhe eingeführte Galerien wie die Gallery 1957 aus Ghana, die Loft Art Gallery aus Marokko oder Véronique Rieffel von der Elfenbeinküste. Letztes Jahr – wegen der Pandemie in den Herbst verschoben – waren fast 80.000 Besucher in den zeltigen Messebau mit Blick auf den Eiffelturm geströmt. Große und mittlere Galerien freuten sich über gute Verkäufe. Dieses Jahr blickt Kurator Alfred Pacquement unter dem Winkel künstlerischen Umgangs mit der Natur auf die französische Szene. „Histoires naturelles“ soll bekannten französischen Positionen wie Carole Benzaken, Johan Creten oder Barthélémy Toguo einen zukunftsweisenden Anstrich geben. Mit dem Label Grün will die Messe als erste auf ökologische Nachhaltigkeit und damit ein Zeichen setzen – für ein gutes Gewissen beim Kunstbummel dank umweltverantwortlicher Einkaufsumgebung.
Jetzt schwenkt, in loser Anlehnung an Delacroix’ „Marianne“, eine blau angemalte Sarah Trouche die ukrainische Flagge auf der Webseite der Art Paris. Trouche, von der Pariser Galerie Marguerite Milin vertreten, ist Galionsfigur für ökologischen Einsatz: Mit bis zu 10.000 Euro gehandelt, zeigt sie ihre Fotografien und Skulpturen in der Arktis, wo sie Akt-Performances durchführt. Doch jetzt wurden – nur 36 Autostunden oder 3100 Kilometer vom Pariser Kunst-Schauplatz entfernt – Schutzsuchende im Schauspielhaus von Mariupol mit Bomben angegriffen. Kriegsverbrechen, vor denen das Haus der Kunst nicht schützt. Unter diesem Eindruck ist ein Messebesuch gerade schwer vermittelbar – außer, wenn Kunst Engagement zeigt.
Im Feuerschein des Krieges verändern auch die Werke ihre Erscheinung: Romuald Hazoumés „Pyramide“ aus Ölkanistern, von Mangin-A für über 100.000 Euro angeboten und zuvor eher Symbol kolonialer Ausbeutung Afrikas, wirkt plötzlich wie eine Schädelstätte zum Abhängigkeitskomplex europäischer Energieversorgung. Am Öl klebt wieder frisches Blut. Auch die Gemälde der Anna Nero (* 1988), die ästhetisch dem aktuellen Interesse an modernistisch-dekonstruktiver Malerei zwischen Figuration und Abstraktion entgegenkommen, werden zu politischen Statements. Nicht weil die Künstlerin bei der Leipziger Galerie She BAM! von Laetitia Gorsy Russin ist. Vielmehr, weil Titel wie „Schall und Rauch“ oder „Dawn (Sensitive Boxer)“ schockweise Assoziationswellen freisetzen – vom Schlachtfeld bis zum Kiewer Bürgermeister. Noch konkreter wird das vor den Arbeiten der drei urkrainischen Kunstschaffenden der Messe: Ilya Kabakov (bei Dilecta, Paris), Boris Mikhailov (bei Suzanne Tarasiève) und Zhanna Kadyrova (in der Galleria Continua). Hat solche Aktualisierung im Auge des Betrachters Auswirkungen auf dessen Haltung – oder hebt sie vor allem die Preise? Zwischen Krieg und Gewinn müssen Messebesucher wie Veranstalter klare Position beziehen.
Bei der Suche nach Perspektiven wandelt sich der Wandteppich am Stand von Nathalie Obadia, 2021 von der Turner-Preisträgerin Laure Prouvost maliziös als Landschaft aus Müll geknüpft und wortspielerisch mit „It’s a sign of dog of god“ unterschrieben, zum Hoffnungszeichen (293 x 416 cm). Der Weckruf zur ökologischen Umkehr wird als Bitte lesbar, vom Himmel regnenden Tod zu stoppen.
Ob Hund oder Gott – Kunst ist fürs Menschsein existenziell, besonders in Zeiten der Angst. „Wind Wall Icon“, eine mit Goldfetzen, Beton, Acryl und Vinyl überzogene Leinwand bei Kamel Mennour, setzt das ins Bild. 2021 schuf Latifa Echakhch das Diptychon als kunsthistorische Erinnerungsfetzen zwischen Renaissance und Moderne. Mag diese Arbeit der in Venedig den Schweizer Pavillon verantwortenden Künstlerin jetzt wie eine Explosion erscheinen – auch diese Kunst entfernt als Bild-Schirm die drohende Realität, gibt Handlungsfähigkeit zurück. Zum Beispiel um zu entscheiden, als Sammler für jeden investierten Euro schutzsuchenden Mitmenschen zu helfen, als Spende oder aktiv.
Erscheinen die Wipfel des von der im letzten Jahr 96-jährig verstorbenen libanesischen Künstlerin Etel Adnan gemalten Baums heute von den Druckwellen des nahen Krieges gebeugt, lenkt ihr poetisches und filmisches Werk am Stand der Galerie Lelong vom unmittelbar brennenden Jetzt auf ein menschenmögliches Morgen. Wer heute in Paris Kunst kauft, könnte das als Aufforderung nehmen – ziemlich genau vor 40 Jahren hat Joseph Beuys die erste von tausend Eichen in Kassel gepflanzt. Auftakt zur Öko-Bewegung. Soziale Skulptur meinte für Beuys, dessen Zeichenwerk bis 27. März im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris gezeigt wird, das Öffnen eines gemeinsam gestalteten Raums. In dem wäre für Krieg kein Platz.