Britto Arts Trust

Die Documenta-Küche brodelt

Essen als soziale Praxis: Das Kollektiv Britto Arts Trust aus Bangladesch hat auf der Documenta 15 einen Garten angelegt und eine Küche gebaut. Nun lädt es Menschen aus aller Welt ein, gemeinsam zu kochen

Von Clara ZImmermann
17.06.2022

„Hanging out, sowing seeds.“ So beschreibt das indonesische Kollektiv Ruangrupa auf ihrer Twitter-Seite das Konzept der diesjährigen Documenta. Auf Deutsch: rumhängen und säen. „Lumbung Member“ Britto Arts Trust hat sie beim Wort genommen und seine Samen gemeinsam mit zwei Kasseler Gärtnereien bereits im vergangenen Jahr tief in der Erde eingepflanzt. Nun ist es Zeit für die Ernte. Hundert Tage lang soll in einer Hütte aus Bambus vor der Documenta-Halle gemeinsam gekocht, gegessen und erzählt werden.

Die Documenta-Halle am Rande des Auehangs ist seit 1992 einer der zentralen Ausstellungsorte der großen Weltkunstausstellung in Kassel. Das moderne Gebäude befindet sich im Herzen der Stadt zwischen dem Museum Fridericanum, dem Ottoneum und der Fulda. In einem für die Architektur der Neunzigerjahre typischen Stil mit viel Glas, Stahl und Beton schmiegt sich der Bau, dessen Ausstellungsfläche beachtliche 1400 Quadratmeter beträgt, unmittelbar an das Kasseler Staatstheater. Für den Charakter der Documenta 15, die Ruangrupa kuratiert, ist die gläserne Halle mit ihren leeren Räumen und den großen weißen Wänden eher untypisch. Noch nie war die Documenta so international, so divers und so bunt. Unter dem Motto „Lumbung“ (indonesisch für Reisscheune) setzt das Kollektiv auf Partizipation von Seiten der Kunstschaffenden, der Besucherinnen und Besucher, aber auch der Bevölkerung vor Ort.

Britto Arts Trust Documenta 15
Tayeba Begum Lipi gehört zu den sechs Gründungsmitgliedern des Kollektivs aus Bangladesch. © Hannes Wiedemann

Vier Kollektive bespielen den Ort am nördlichen Ende der Karlsaue in diesem Jahr mit verschiedenen Präsentationen. Eines davon ist Britto Arts Trust aus Bangladesch. Tayeba Begum Lipi gehört zu den sechs Gründungsmitgliedern des gemeinnützigen Kollektivs. Sie haben sich im Jahr 2002 zusammengeschlossen, um jungen Kunstschaffenden ein Forum für experimentelle Arbeit zu bieten. Ziel war es, die kreative Energie zu bündeln und aus der eher konventionellen Kunstszene der Hauptstadt Dhaka auszubrechen. Auf der Venedig-Biennale im Jahr 2011 hat Tayeba den ersten Pavillon von Bangladesch mitverantwortet und dort auch selbst als Künstlerin ausgestellt. Heute verfügt das Kollektiv über eine globale Reichweite, arbeitet aber trotzdem immer noch sehr eng mit der Bevölkerung vor Ort zusammen. Es versteht sich als alternative Bildungsplattform, die sich auf Projekte mit großer sozialer Verantwortung konzentriert.

In diesem Jahr feiert das Kollektiv sein zwanzigjähriges Bestehen – und hat große Pläne für die Documenta. Unser Gespräch findet eine Woche vor der offiziellen Eröffnung via Zoom statt. Tayeba und ihr Team befinden sich noch inmitten in der Aufbauphase – im Hintergrund ist das Quietschen einer Hebebühne und lautes Hämmern zu vernehmen. „Ich bin ein wenig gestresst, weil noch nichts fertig ist“, erklärt die Künstlerin und wird sich trotzdem eine Stunde Zeit nehmen, um über ihr Kollektiv, die Kunstszene in Bangladesch und die Rolle von Essen in ihrer Kultur zu sprechen. Während sie sich eine ruhige Ecke in der großen Halle sucht, sind an den großen Wänden hinter ihr bereits erste Kunstwerke zu erkennen.

Britto Arts Trust Wandbild Documenta 15
Auf dem großen Wandbild sind Szenen aus alten bengalischen Filmen zu den Themen Nahrung, Hunger und Krieg dargestellt. © Foto: Clara Zimmermann

Ernährungspolitik und der sozio-politische Umbruch in Bangladesch stehen schon seit einiger Zeit im Fokus der Arbeit von Britto Arts Trust. Bis 1947 war das Land in Südasien ein Teil des britischen Kolonialreichs. Erst Anfang der Siebzigerjahre erlangte das damalige Ostpakistan die Unabhängigkeit und gab sich den Namen Bangladesch. Kurz danach erlitt das Land 1974 eine große Hungersnot, die als eine der schlimmsten des 20. Jahrhunderts gilt. „Es ging während dieser Zeit nur ums Essen und Überleben“, erzählt Tayeba, die damals noch ein Kind war. Als im Jahr 2020 die Corona-Pandemie ausbrach, befürchtete sie das Schlimmste: „Wir hatten große Angst, dass es wieder eine Lebensmittelkrise in Bangladesch geben würde.“ Wie viele andere fühlte sich das Kollektiv zu Beginn von Corona sehr verloren. Die Sorge um Freunde und Familie, aber auch um die Kunst-Community hat sie schließlich dazu veranlasst, gemeinsam mit Mahbubur Rahman, ihrem Partner und ebenfalls Gründungsmitglied von Britto Arts Trust, das „ZERO WASTE FoodArt“ Projekt ins Leben zu rufen. „Dabei geht es weniger darum, ein Kunstwerk zu erschaffen, sondern den anderen zu helfen“, erklärt sie im Gespräch.

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