Fund meines Lebens

Ein Bild für die Geburt

Aus der Reihe „Fund meines Lebens“: Die Autorin Annabelle Hirsch stieß bei Buchrecherchen auf die Vorführ- und Übungspuppe „La Machine“

Von Jan Kohlhaas
12.01.2023
/ Erschienen in Kunst und Auktionen Nr. 1/23

Was war Ihre bislang überraschendste Entdeckung?

Die sogenannte „Machine“ der französischen Hebamme Angélique Marguerite Du Coudray, auch bekannt als „Madame Du Coudray“. Es ist die 1758 von ihr selbst entworfene und aus Stoff und Leder zusammengenähte Nachbildung eines weiblichen Unterleibs. Eine Art Puppe, die als Übungsund Vorführmodell für Geburten dienen sollte. Es ist alles vorhanden: Zwei gespreizte Oberschenkel, ein Uterus, ein Baby mit Nabelschnur und diversen anderen Details. Es gibt auch eine Version mit einem Fötus und eine mit Zwillingen. Wenn man es zum ersten Mal sieht, denkt man: Oh, wie schön, ein Werk von Louise Bourgeois! Es wirkt recht modern.

Marguerite Du Coudray La Machine
Die französischen Hebamme Angélique Marguerite Du Coudray entwarf 1785 die sogenannte „Machine“. © Kein & Aber, Zürich

Welchen historischen und materiellen Wert besitzt das Stück?

Das Stück erzählt vom Beruf der Hebamme und zeugt davon, dass man in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als die Kinder- und Müttersterblichkeit in ganz Europa sehr hoch war, in vielen Ländern beschloss, die Tätigkeit des Zur-Welt-Bringens zu professionalisieren. Frauen waren seit Jahrhunderten für Anfang und Ende des Lebens zuständig, Tod und Geburt war in ihrer Hand, man gab sich das Wissen von Generation zu Generation weiter. So ganz genau wusste man allerdings nicht, was vor sich geht. Du Coudray reiste im Auftrag des Königs Louis XV. fast zwanzig Jahre mit dieser Puppe durch das Land und erklärte den Frauen ganz genau, worauf zu achten ist und zeigte ihnen nebenbei auch, wie es in ihnen aussieht, wie ihr Körper zusammengesetzt ist.

Annabelle Hirsch
Von Annabelle Hirsch erschien 2022 das Buch „Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten“. © Tanja Kernweiss

Wo und wie haben Sie das Objekt entdeckt?

Ich habe es im Band Nummer 3 der fantastischen Geschichte der Frauen von Michelle Perrot während meiner Recherchen zu „Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten“ entdeckt, es gegoogelt und war sofort begeistert. Sowohl vom Objekt an sich als auch von seiner Geschichte.

Wo befindet es sich heute?

Wo das Original heute ist, weiß ich leider nicht. Eine Nachbildung befindet sich im Musée de l’Homme in Paris.

Hat sich durch die Entdeckung etwas für Sie verändert?

Es hat meine Bewunderung für die Frauen der Vergangenheit nur noch verstärkt.

Service

BUCHTIPP

Annabelle Hirsch, „Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten“, 2022, Verlag Kein & Aber, Zürich

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