KI-Tools können neue Bilder kreieren, aber wer sind die wahren Künstler und Künstlerinnen dahinter? Das sollen nun Urheberrechtsprozesse in London und San Francisco klären
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23.01.2023
Zahllose Kunstschaffende haben sich von Vincent van Goghs „Sternennacht“ aus dem Jahr 1889 inspirieren lassen. Nun tun das auch Programme mit Künstlicher Intelligenz (KI): Auf Grundlage einer riesigen Sammlung digitalisierter Kunstwerke trainieren sie sich selbst darin, etwa über Smartphone-Apps in Sekundenschnelle neue Bilder zu zaubern.
Diese Ergebnisse von Tools wie DALL-E, Midjourney und Stable Diffusion mögen teils noch merkwürdig anmuten, werden aber immer realistischer und individueller einsetzbar. Auf den Wunsch nach einer „Pfauen-Eule im Stil Van Goghs“ hin produzieren sie ein Bild, das der menschlichen Vorstellung von einem solchen Fantasiewesen womöglich recht nahekommt.
Nun können sich der niederländische Meister und andere lange verstorbene Kollegen über die neuen technischen Möglichkeiten natürlich nicht beschweren. Doch einige lebende Künstlerinnen und Künstler sowie Fotografinnen und Fotografen fangen an, sich gegen die KI-Softwareunternehmen zu wehren, die Bilder auf Basis ihrer Werke schaffen. In zwei neuen Prozessen werfen die Kläger, darunter der Foto-Gigant Getty Images aus Seattle, den Bildgeneratoren vor, unerlaubt Millionen urheberrechtlich geschützte Bilder zu kopieren und zu verarbeiten.
Getty geht nach eigenen Angaben vor dem High Court in London gegen das britische Start-up Stability AI vor, den Hersteller von Stable Diffusion. Der Vorwurf lautet auf Verletzung der Rechte an geistigem Eigentum. Im zweiten Verfahren vor einem US-Bundesgericht in San Francisco beschuldigen drei Kunstschaffende am Freitag ebenfalls Stability AI sowie Midjourney aus Kalifornien und die Online-Galerie DeviantArt, gegen die Rechte von Millionen Künstlerinnen und Künstlern zu verstoßen. Die KI-Bilder konkurrierten auf dem Markt mit den Originalen, heißt es in der Klageschrift. Sobald ein Käufer oder eine Käuferin ein neues Bild „im Stil“ irgendeines Künstlers verlange, müsse eine Lizenzzahlung fällig werden.
Die Anbieter verlangen von Nutzenden üblicherweise eine Gebühr. Nach einer kostenlosen Testversion von Midjourney etwa folgt ein Abonnement für mindestens zehn Dollar monatlich. Auch das Start-up OpenAI, im Moment in aller Munde wegen ihrer Sotware ChatGPT, lässt sich die Nutzung seines Bildgenerators DALL-E bezahlen, und Stability AI bietet einen Bezahlservice mit Namen DreamStudio an. Das Londoner Unternehmen erklärte in einer Stellungnahme: „Wer glaubt, dass dies unlauter ist, versteht die Technologie nicht und missversteht das Gesetz.“
Midjourney-Chef David Holz hatte im Dezember, vor Einreichung der Klagen, in einem AP-Interview die Bilderdienste als eine Art Suchmaschine beschrieben, die auf eine große Zahl von Bildern aus dem Internet zugreife. Urheberrechtsbedenken wies er zurück. „Kann eine Person sich die Bilder von jemand anderem anschauen und daraus lernen und ein ähnliches Bild malen?“, sagt Holz. „Natürlich dürfen Menschen das, und wenn es nicht erlaubt wäre, dann würde es die gesamte Profi-Kunstindustrie zerstören und vermutlich auch die nichtprofessionelle.“
Die Urheberrechtsfrage ist nur einer von mehreren Kritikpunkten an der neuen Generation eindrucksvoller Tools, die auf Kommando Bilder, lesbare Texte sowie Computercodes generieren können. Die Sorge ist groß, dass durch KI auch Falschinformationen und Hetze im Internet weiter um sich greifen. So produzieren manche Systeme fotorealistische Bilder, deren Ursprung nicht mehr zurückverfolgt werden kann – so fällt die Unterscheidung zwischen echten und künstlichen Abbildungen schwer. Der IT-Experte Wael Abd-Almageed von der University of Southern California warnt: „Sobald wir nicht mehr zwischen wahr und falsch unterschieden können, wird plötzlich alles falsch werden, weil man das Vertrauen in alles verliert.“
Doch bei aller Skepsis sind viele Nutzerinnen und Nutzer auch begeistert von den neuen Möglichkeiten der KI. Midjourney etwa verwenden viele offenbar hobbymäßig, um Landschaften, Porträts und Kunstwerke zu generieren.
Auch der Künstler Refik Anadol arbeitet mit KI. Für das Museum of Modern Art (MoMA) in New York entwarf er eine riesige digitale Installation mit dem Titel „Unsupervised“ („Unbeaufsichtigt“): Dabei werden auf Grundlage von Kunstwerken der wertvollen MoMA-Sammlung, darunter Van Goghs „Sternennacht“, mit Künstlicher Intelligenz neue Werke geschaffen. Die Installation „ändert sich ständig, entwickelt sich und träumt 138 000 alte Kunstwerke aus dem MoMA-Archiv“, erklärt Anadol. „Von Van Gogh über Picasso bis zu Kandinsky existieren in diesem Kunstwerk, in dieser KI-Traumwelt, unglaubliche, inspirierende Künstler, die verschiedene Techniken geprägt haben.“
Auch die US-Malerin Erin Hanson hat den Einfluss ihrer impressionistischen Landschaften bereits in KI-produzierten Bildern wieder entdeckt. Um ihr eigenes Auskommen sorgt sie sich nicht, sehr wohl aber um die Kunstszene insgesamt. „Der ursprüngliche Künstler muss auf irgendeine Weise honoriert werden“, sagt sie. „Dafür gibt es das Urheberrecht. Und wenn Künstler nicht honoriert werden, wird es für sie in Zukunft schwierig, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.“ (dpa)