Der neueste Film von Albert Serra gilt schon jetzt als Meisterwerk. Heute kommt seine Südsee-Fantasie in Deutschland in die Kinos
ShareDer Videokünstler und Regisseur Albert Serra zählt zu den radikalsten zeitgenössischen Filmemachern, ein unerschrockener Kämpfer für die Freiheit der Filmkunst und ihren Ort: das Kino. Seit seinen frühen Filmen, von der Don Quixote Adaption „Ehre der Ritter“ über „Der Tod von Louis XIV“ mit Jean-Pierre Léaud als kongenialem Hauptdarsteller bis hin zu seinem neuesten Film „Pacifiction“ sucht Serra kompromisslos nach den richtigen Bildern. Wir haben Serra während eines Blitzbesuchs in Berlin getroffen. Vorführungen, Einladungen, Termine, und dann steckt auch noch die Band, die er am nächsten Tag in Paris treffen soll, um eine Platte mit Ingrid Caven aufzunehmen, wegen eines Streiks in Spanien fest. Ein Gespräch mit dem großen Stilisten zwischen Tür und Krawattenknoten.
Nein, hier bin ich nur der Vermittler zwischen der Band (mit Marc Verdaguer) und Ingrid. Die Lieder sind schon geschrieben, ich habe nur ein wenig beraten. Marc hat die Musik für „Pacifiction“ gemacht. Ich mache es für Ingrid und weil es mir wahnsinnig Spaß macht. Ich bin ein Musikfanatiker!
Ja, tatsächlich höre ich beim Drehbuchschreiben immer ein oder zwei Lieder in Endlosschleife über Kopfhörer. Das gibt mir einen Rhythmus. Meistens sind es melancholische Lieder. Für „Pacifiction“ waren das „Style it takes“ von Lou Reed und John Cale, eine Hommage an Andy Warhol, und „Lay me down again“ von Larry Jon Wilson. Diese beiden Lieder haben mir die Stimmung für den Film gegeben.
Es ist der narrativste Film, den ich bis jetzt gemacht habe. Dazu ist das Thema zeitgenössisch. Mein voriger Film spielt ja im 18. Jahrhundert und war eine Auseinandersetzung mit der Libertinage. Das interessiert nicht unbedingt viele Leute. Da es mit „Pacifiction“ unter anderem um eine nukleare Bedrohung geht, hat der Film durch den Krieg in der Ukraine eine seltsam visionäre Seite bekommen und wurde so unerwartet aktuell. Aber ich denke, es sind vor allem die speziellen Qualitäten des Films, die ihm diese Aufmerksamkeit bescheren. Er ist ziemlich hypnotisch, man befindet sich in einer Art Trance. Und dann sind da noch diese tollen Schauspieler, Laien und Stars, wie der Hauptdarsteller Benoît Magimel. Also, da kommt einiges zusammen.
Ich wusste, dass ich in einer etwas exotischen Umgebung drehen wollte und habe mich für Tahiti entschieden, weil es das attraktivste der französischen Überseegebiete ist. Diese Region ist vom Tourismus verdorben, es ist richtig trashig und nuttig dort und es gibt nichts zu tun. Totale Dekadenz! Die Idee mit der Bedrohung durch eine mögliche Wiederaufnahme von Atomversuchen kam erst später. Ich weiß nicht mehr genau wie, aber es war die Mischung aus der unsichtbaren Bedrohung und diesem scheinbaren Paradies, die mich überzeugt hat.
Ja, auf jeden Fall. Es ist neu, aber unter Beibehaltung einiger Arbeitsmethoden der bisherigen Filme. So haben wir auch hier fast ausschließlich mit Laien gearbeitet. Und beim Schnitt versuchen wir immer, eine bestimmte Sinnlichkeit zu erreichen, so dass der Film seine eigene, geschlossene Welt bildet.