Das Musée d’Art et d’Histoire in Genf überlässt seine Räume dem Künstler Ugo Rondinone – der die Chance nutzt, diese zu verzaubern
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06.02.2023
Dass Künstlerinnen und Künstler als Kuratoren in Erscheinung treten, geschieht eher selten. Doch wenn sie eine Ausstellung gestalten, ist diese oft visuell so prägnant, dass unvergessliche Bilder im Gedächtnis bleiben.
Der in New York lebende Schweizer Künstler Ugo Rondinone richtete für das Genfer Kunst- und Geschichte Museum (Musée d’art et d’histoire) eine subtil durchdachte, phänomenal reüssierte „Carte blanche“ aus. Seine Aufgabe, besser seine Chance, bestand darin, aus dem Jahrhunderte überspannenden Fundus des immensen Museums 500 Objekte auszuwählen. Die er nun in dreizehn Museumssälen des Riesengebäudes effizient in Szene setzt. Rondinone nennt seinen Museums-Parcours „When the Sun Goes Down and the Moon Comes Up“.
Zum Einstieg sehen die Besuchenden Rondinones Bronzeskulptur „the sun“, ein hellgoldener, scheinbar aus Zweigen und Ästen gebündelter Kreis mit einem Durchmessen von fünf Metern, gleich am Eingang.
Anschließend etablieren Rondinones eigene Werke einen lockeren Dialog mit Arbeiten der Schweizer Maler Ferdinand Hodler (1853 – 1918) und Félix Valloton (1865 – 1925). Überdies konstruiert Rondinone mit einer Fülle an Möbeln und Kunsthandwerk des späten 19. Jahrhunderts und des Jugendstils je eine imaginäre Wohnung für die beiden Künstler.
Der Ausnahmekurator betont ausdrücklich, dass man die symmetrisch konzipierte Schau in beide Richtungen begehen kann. Die Überraschungseffekte sind aber auf der rechten, tendenziell maskulinen Seite stärker. Sieben Gemälde von Schweizer Landsknechten, im roten Wams und mit Hellebarden, stehen aufrecht auf Sockeln im Raum. In rötlich-blutiges Licht getaucht, würden sie wohl selbst ihren Maler Ferdinand Hodler erstaunen. An der Rückwand befestigt gibt es Skizzen, die zur Vorbereitung der überdimensionalen Gemälde hinführten.
Damit nicht genug, bietet Rondinone einen langgestreckten Saal mit niedrigen Pferden aus blauem bis türkisfarbigem Glas, das mit Meereswasser aus vielen Gegenden der Erde gefüllt ist und die er „the horizons“ betitelt. An den Wänden hängen blau getönte, betörende See-Ansichten von Hodler. Ein Saal, der die Besucher vor sinnlichee Glückserfahrung sprachlos lässt.
Im Gegensatz dazu sind die neuesten Arbeiten des Wahl New Yorkers, „landscape sculptures“ genannt, aus dunkler, komprimierter Erde zu geometrischen Formen gepresst, nicht gerade der Inbegriff des Ästhetischen. Trotzdem beweist Rondinone Humor mit einem Saal voller tickender Uhren. Von der Pendeluhr zur Kuckucksuhr – schließlich sind wir im Land der Uhrenhersteller –, deren Geräusche durch ein Tonband mit Zeiteinheit-Lauten das Land des Lächelns rhythmisiert.
Vorbei am – im Titel versprochenen – silbernen Mond, führt der Besucherstrom zu sieben nackten Tänzern, die wie Marionetten aus Erde und Metall am Boden sitzen. Schließlich gelangt man zu sieben, vertikal präsentierten Aktdarstellungen von Félix Valloton, sozusagen der weibliche Flügel der stupenden Schau. Der intelligent durchdachte Rundgang endet vor dem goldenen Bronzekreis am Ein- und Ausgang des Genfer Museums.
„Carte blanche à Ugo Rondinone. When The Sun Goes Down And The Moon Comes Up“,
bis 18. Juni,
Musée d’Art et d’Histoire, Genf