David Hockney

Ein Jahr in der Normandie

Das Museum Würth in Künzelsau zeigt zum ersten Mal in Deutschland David Hockneys monumentalen Fries „A Year in Normandie“, der mit dem iPad entstand

Von Gloria Ehret
04.04.2023

In den 1960er-Jahren waren helle, unbeschwerte, plein air gemalte Swimming-Pool-Szenen mit attraktiven Jünglingen sein Markenzeichen. Während die Abstraktion sich in der Kunst breitmachte, ist er der gegenständlichen Malerei treu geblieben. Längst gilt David Hockney, 1937 im englischen Bradford geboren und an der dortigen School of Art ausgebildet, als bedeutendster lebender Landschafter. David Hockney „zeichnet und malt immer und überall, drinnen und draußen“, so die lapidare Beschreibung seiner Kunsttätigkeit. Bereits 2009 hat Reinhold Würth, der eine Reihe bedeutender Hockney-Bilder in seiner Sammlung vereint, den Künstler in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall mit der Sonderausstellung „Nur Natur“ gewürdigt.

Mittlerweile ist Hockney weit über 80, körperlich eingeschränkt und schwerhörig, doch der unverwechselbare künstlerische Duktus hat nichts von seiner leuchtenden Farbkraft und Frische eingebüßt. Hockneys jüngste Arbeiten verzaubern einmal mehr mit vital-subjektiven Farbspektren durchleuchteter Landschaftsbilder, in die er uns zu verschiedenen Jahres-, Tageszeiten und Witterungsschwankungen entführt. Hockneys Bilder sind nicht von Menschen bevölkert. Gelegentlich verweisen eine, an einem Baum hängende leere Schaukel oder ein einsamer Stuhl im Garten auf ihr Dasein hin. Dagegen erobert sie der Betrachter gleichsam mit seinem Blick und tritt schauend in sie ein; ob in Ölgemälde, Acrylbilder, Aquarelle, Zeichnungen oder Videoarbeiten.

David Hockney Bäume Landschaft Gemälde
David Hockneys „Three Trees near Thixendale, Spring 2008“ ist in Öl auf acht Leinwänden gemalt. © David Hockney Foto: Richard Schmidt

Technologisch aufgeschlossen, hat Hockney sich dafür einem gänzlich neues Bild-Verfahren, der zugewandt: der iPad-Malerei! Denn seit 2010 das iPad auf den Markt kam, zeichnet und malt er damit. Und 2018 hat er mit seinem Assistenten Jonathan Wilkinson und dem Mathematiker Richard England eine neue App entwickelt, und malt mit verschiedenen Stiften oder Pinseln direkt auf dem i-Pad.

2020 wurde in Künzelsau, der Geburtsstadt Reinhold Würths in der Hohenloher Ebene das Museum Würth 2 eröffnet. Zur Erinnerung: in Schwäbisch Hall existieren seit Anfang der 2000er-Jahre die Kunsthalle Würth für moderne Kunst und seit 2008 die Johanniterkirche mit dem unvergleichlichen spätgotisches Bilderschatz der ehemaligen Fürstenberg-Sammlung und der „Holbein-Madonna“ als Höhepunkt. In Künzelsau steht die zeitgenössische Kunst im Mittelpunkt. Dafür hat das berühmte Berliner Architektenteam David Chipperfield einen zurückhaltend klar gestalteten Bau mit einer vollverglasten Fassade des „Belvedere“ geschaffen. Er erweitert das nach Reinhold Würths Ehefrau Carmen Würth Forum betitelte Areal mit Skulpturengarten.

David Hockey Normandie iPad-Gemälde
Detail des iPad-Gemäldes „A Year in Normandie" 2020-2021. © David Hockney

Zum ersten Mal in Deutschland ist hier nun der 90 Meter lange iPad-Gemälde-Fries „A Year in Normandie“ ausgestellt, der während der Corona-Pandemie in den Jahren 2020/21 entstanden ist. 2018 hatte Hockney hier ein von Wiesen umgebenes Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert gekauft. „Ich kam in die Normandie, weil es hier mehr Blüten gibt … so konnte ich die Ankunft des Frühlings wirklich erleben“, so der Maler. Das monumentale Werk schildert die unmittelbare Umgebung seines neuen Lebensmittelpunktes. Es beruht auf rund 220 iPad-Bildern. Die Präsentation des vielteiligen Zyklus ist genau auf die Wandfolge des Museums Würth 2 vermessen.

Als Inspirationsquellen haben Hockney chinesische Rollbild-Panoramen des 14. Jahrhunderts und der „Wandteppich von Bayeux“, das berühmte, 70 Meter lange Leinenband mit der gestickten historischen Darstellung der Schlacht bei Hastings 1066 und der Eroberung Englands durch die Normannen gedient. Sie kommen ganz ohne Schatten und Fluchtpunkte aus – wie auch Hockneys Landschaften! Der Ausstellungsbesucher spaziert mit Blick auf die Bilderwände entlang eines leuchtenden Farbbandes mit weiten, hügeligen, baumbestandenen Landschaftsabschnitten zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten: erst mit blühenden, dann saftig grün belaubten Bäumen, deren kahle Zweige im Winter zuletzt schneebedeckt sind.

David Hockney iPad Normandie
Ein weiteres Detail aus Hockneys großem Werk „A Year in Normandie“ von 2020bis 2021, das in der Kunsthalle Würth zu sehen ist. © David Hockney

Der Wandräume füllende leporelloartige Fries korrespondiert in der Sonderschau mit David Hockneys rund 20 Werken der Sammlung Würth samt einigen Leihgaben. Als erstes kam die „Balustrade seiner Terrasse in Kalifornien mit Kakteen und Sukkulententöpfen aus dem Jahr 2003 in die Sammlung. Würth hatte sie 2005 entdeckt und erworben. Die meist großformatigen bis monumentalen Bilder sind fast alle aus mehreren Sequenzen zusammengesetzt und kreisen um Natur, Landschaft und Bäume. 2007/2008 entstand die vierteilige Serie mit Ölgemälden „Three Trees near Thixendale“ – wiederum im Wandel der Jahreszeiten festhalten. Dabei überrascht die Schilderung der tagesgenauen Licht- und Witterungsphänomene. „Spring“, „Summer“, „Autumn“ und „Winter“ messen auf acht Leinwänden jeweils stolze 183 zu 488 Zentimeter. Einzelne – gefällte – Bäume hat Hockney als Totems repräsentativ ins Bild gesetzt. Die „Woldgate Woods“ selbst, wo auch diese Bäume geschlagen worden sind, hat Hockney 2010 in einer sehr beeindruckenden digitalen Videoarbeit im Winter auf neun synchronisierte Bildschirme in Schwarz-Weiß auf 206 mal 365 Zentimeter gebannt.

Zurecht wurde Hockney, der als bedeutendster Landschaftsmaler der Gegenwart gilt, vielfach ausgezeichnet und 1997 von Königin Elisabeth II. mit dem Orden des Compagnon of Honour belehnt. In Zeiten, da Kunst nicht eigentlich mehr „schön“ oder gar „beglückend“ sein darf, sind Hockneys farbleuchtende Landschaftsbilder und Naturvisionen ein sinnlicher Augenschmaus. Und wer die Ausstellung goutiert hat, wird beim Verlassen des Museums auch die reizvolle Hohenloher Ebene mit „offenen Augen“ neu wahrnehmen.

Service

AUSSTELLUNG

„David Hockney. A Year in Normandie.“

Im Dialog mit Werken der Sammlung Würth

Museum Würth 2, Künzelsau

Verlängert bis 3. September

kunst.würth.com

 

 

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