Aus der Reihe „Fund meines Lebens“: Enrico Brissa machte als Schülerpraktikant einen sensationellen Fund in einem Museumsregal
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15.05.2023
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Erschienen in
Kunst und Auktionen Nr. 8/23
Die Haarlocke eines Hingerichteten! 1989 machte ich in Heidelberg als Schüler des Kurfürst-Friedrich-Gymnasiums ein Praktikum im Kurpfälzischen Museum. Völlig selbständig durfte ich eine kleine, aus einigen Vitrinen bestehende Ausstellung über die gerade für die Pfalz spannende Zeit des 17. und 18. Jahrhundert „kuratieren“. Dabei wurde ich von keinem Geringeren als dem 2019 verstorbenen Kunsthistoriker, Fernsehexperten und WELTKUNST-Autor Carl Ludwig Fuchs unterstützt und beraten. Ich muss ihn hier namentlich erwähnen: Was ich über Schloss Schwetzingen, Roentgen-Möbel und Preziosen weiß, habe ich von ihm gelernt.
Gemeinsam begaben wir uns in das Museums-Depot, um geeignete Exponate zu finden. Als wir etwas aus einem tiefen Schrank nahmen, sah ich weit hinten ein Stück Papier, das zwischen der Seitenwand und dem Regalbogen eingeklemmt war. Nachdem ich es vorsichtig herausgeholt hatte, war uns beiden dank der Aufschrift sofort klar, worum es sich handelte. Wir hielten einen nicht inventarisierten Umschlag mit einer Haarlocke des 1820 in Mannheim geköpften Karl Ludwig Sands in den Händen.
Dieser hatte im Jahr zuvor den im Milieu der Liberalen verhassten Schriftsteller und russischen Generalkonsul August von Kotzebue 1819 ermordet. Sand wurde als Märtyrer und Volksheld verehrt, seine Hinrichtung war ein skurriles Spektakel. Bei Thomas Nipperdey kann man nachlesen, wie sehr die Hinrichtung als heldenhafter Märtyrertod inszeniert und sofort verklärt wurde. Die Menge schluchzte und tauchte Tücher in das Blut und versuchte, die abgeschnittenen Locken oder auch Späne vom Gerüst zu erhaschen. Der Henker, ein Pfälzer Demokrat, baute aus dem Holz des Schafotts in einem Heidelberger Weinberg ein Gartenhaus, in dem dann eine geheime Burschenschaft tagte. Um Sand entwickelte sich ein regelrechter Opferkult mit einer Vielzahl von Reliquien, die der katholischen Kirche alle Ehre gemacht hätte. Eine davon lag vor uns. Wir suchten einen Rahmen und zeigten die Locke in meiner kleinen Ausstellung.
Die Ermordung Kotzebues war eine klare Zäsur, weil mit ihr das Kapitel der Restauration beginnt. Für Liberale, Demokraten und Deutschnationale folgten Jahre der Unterdrückung, jedenfalls bis zur Märzrevolution 1848.
Wissen Sie, wie sie an den Fundort gelangt ist?
Die Locke stammt wahrscheinlich aus den Anfängen des Kurpfälzischen Museum, der Sammlung des berühmten Grafen Charles de Graimberg („Heidelberger Alterthümerhalle“), die im Friedrichsbau des Heidelberger Schlosses beheimatet war. Dort gab es einen eigenen Raum, der Kotzebue gewidmet war. Dazu muss man wissen, dass Kotzebue ein wichtiger Retter des Heidelberger Schlosses war. Die Regierung Badens ̶ man kann es sich heute wirklich nur schwer vorstellen ̶ wollte tatsächlich die Ruine des Heidelberger Schlosses abtragen lassen. Dagegen kämpfte Kotzebue mit aller Entschiedenheit. Natürlich auch deshalb, weil die Ruine des von den Franzosen im Pfälzischen Erbfolgekrieg zerstörten Schlosses ein nationales und anti-napoleonisches Symbol war.
Seit 1996 befindet sich die Locke in der stadtgeschichtlichen Abteilung des Kurpfälzischen Museums. Wer nach Heidelberg kommt, sollte unbedingt dieses Museum besuchen. Nicht nur wegen der Haarlocke! Das Museum hat eine wirklich interessante Sammlung, ich bin sehr gerne dort.
Nachdem der Gothaer Kunstraub aufgeklärt ist, wäre das Bernsteinzimmer ein guter Fund.
Dr. Enrico Brissa ist Jurist und Autor, er leitet das Protokoll beim Deutschen Bundestag.