Grassimuseum und digitale Kunst

An unserem letzen Tag wandern wir durch die Pittlerwerke, besuchen das älteste Buchmuseum der Welt und entdecken eine Skulptur von Isa Genzken an der Neuen Messe

Unseren letzten Tag beginnen wir in den Pittlerwerken: In der 1889 erbauten Werkzeugfabrik eröffnete am 19. April die Ausstellung „Dimensions. Digital Art since 1859“. Sie zeigt mit 60 Kunstwerken auf 10.000 Quadratmetern in Kapiteln wie „Videokunst“ oder „Roboterkunst“, dass neue Technologien schon lange ein Thema für die Kunst sind. Hinter dem groß angelegten Projekt steckt der umtriebige Walter Smerling mit seiner Bonner Stiftung für Kunst und Kultur. Zuletzt gab es 2022 Proteste gegen seine „Kunsthalle Berlin“. Und dass er Wladimir Putin ein Jahr vor dem Krieg in der Ukraine als Schirmherrn für seine Ausstellung „Diversity United“ anfragte, trug ihm weitere Kritik ein. Auch die Leipziger Schau wirft Fragen auf: Hauptsponsor ist das US-amerikanische Software-Unternehmen Palantir, dessen Mitbegründer und Anteilseigner Peter Thiel Ex-Präsident Trump und andere rechte Hardliner unterstützt. Ausgerechnet eine der umstrittensten digitalen Überwachungs- und Analysefirmen der Welt unterstützt eine Ausstellung mit digitaler Kunst – für manche riecht das nach Art-Washing.

Pittlerwerke Leipzig Digitale Kunst
Die digitale Performance „Voidopolis“ (2021) von Kat Mustatea ist in den Pittlerwerken zu sehen. © Kat Mustatea/Pittlerwerke Leipzig

Im Deutschen Buch- und Schriftmuseum erwartet uns ein Kontrastprogramm zum Digitalen: Im Jahr 1884 gegründet, ist es das älteste Buchmuseum der Welt. Seine Bestände reichen zurück bis ins 2. Jahrtausend vor Christus und bis zu den sozialen Medien von heute. Die Präsentation schafft auf wenigen Metern den Brückenschlag von Gutenberg zu Zuckerberg: Wir lassen uns hier durch 5000 Jahre Schrift- und Mediengeschichte treiben. Dem kuratorischen Problem, dass Bücher sich schwer ausstellen lassen, begegnet die Dauerausstellung mit einen schlichten Display der Konzentration auf Objekte, die den rasanten Medienwandel im Laufe der Jahre verdeutlichen.

Wir stärken uns im nach dem französischen Fußballer Èric Cantona benannten Cafè Cantona und lauschen den interessanten Gesprächen, die dort häufig zu hören sind. Nebenan steht ein Atelierhaus, und zahlreiche Kreative sind hier Stammgäste. Nach einem Bummel durch die hervorragend sortierten Büro- und Papierwaren des Geschäfts mit dem Namen Eisenhauer schlendern wir zu Fuß zum Grassimuseum. Eine gute Autostunde trennt die Leipziger Innenstadt vom Bauhaus-Pilgerort Dessau. Doch auch mitten in Leipzig hat das Bauhaus Spuren hinterlassen: Josef Albers (1888–1976) entwarf für das Museum 1926 ein Ensemble aus insgesamt 18 Fenstern, das ist bis heute die größte Flachglasarbeit eines Künstlers der Dessauer Bauhaus-Zeit. Von 1925 bis 1929 errichtet, zählt es zu den wenigen großen deutschen Museumsbauten der Weimarer Republik. In der Architektur verbindet sich eine klare, funktionalistisch orientierte Formensprache mit den expressiven Schmuckformen des Art déco.

Grassimuseum Leipzig
Zwieseler Salzlettendose, entworfen von Heinrich Löffelhardt, 1955–1959, im Grassimuseum zu bestaunen. © GRASSI Museum für Völkerkunde, Leipzig

Weithin sichtbar ist die Dachbekrönung, die „goldene Ananas“. Auch die Pfeilerhalle – das beeindruckende Herzstück des Hauses – ist von diesem Zackenstil geprägt. Das Museum für Angewandte Kunst zählt heute europaweit zu den führenden Häusern für Gestaltung und angewandte Kunst. Gezeigt werden hier wechselnde Ausstellungen zu Kunsthandwerk und Design, Fotografie und Architektur. Die Dauerausstellung präsentiert auf 3500 Quadratmetern Kunsthandwerk und Design von der Antike bis zur Gegenwart, man geht auf eine Reise durch die Objektgeschichte. Im Gebäude befinden sich außerdem das Museum für Musikinstrumente und das Museum für Völkerkunde. Auch hier lohnt sich ein Gang durch die Dauerausstellung, die im Rahmen der „Initiative für ethnologische Sammlungen“ schrittweise und transparent umgestaltet wird.

Vom Hauptbahnhof machen wir mit der S-Bahn einen letzten Halt an der Neuen Messe: Isa Genzkens „Rose“ begrüßt uns vorm Eingang, Daniel Buren versah einige Rolltreppen mit seinen weißen und roten Streifen, und Martin Kippenberger schloss Leipzig an sein fiktives U-Bahn-Netz an. Bis zu seinem Tod 1997 baute er es aus, zuletzt war ein Schacht im Jahr 2003 bei der Venedig-Biennale im Deutschen Pavillon eingebaut. Vor zwei Jahren sanierte die Leipziger Messe die Station. Gelegen hinter der großen Glashalle, verzeichnet Google Maps es lustigerweise als „Sehenswürdigkeit“ und schreibt deren künstlerische Absurdität unfreiwillig fort: als „U-Bahn-Projektplanung Leipziger Messegelände“.

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