Luftige Höhen und Gegenwartskunst

Wir steigen zur höchsten Ruine Deutschlands auf den Falkensteingipfel, besichtigen eine der schönsten Rokokokirchen des Allgäus und tauchen ein in die Gegenwartskunst der Region

2. Tag

Gestärkt von Laugenkringel und Brioche am Frühstücksbüfett des Hotels Schlossanger Alp steigen wir zur höchsten Ruine Deutschlands auf den Falkensteingipfel auf 1277 Metern. Das ganzjährig offene Burgmuseum ist klein. Aber es sticht mit seinem Modell von Ludwigs letzter Ritterburg viele bekanntere Touristenziele, auch wegen des 360-Grad-Panoramas. Ludwig II. hat die Burgruine 1883 gekauft – und dafür in seinen letzten Lebensjahren von Christian Jank eine utopisch-fantastische „Raubritterburg“ planen lassen. Das – nie gebaute – Traummodell und die Aussicht bis nach Neuschwanstein sind inspirierend.

Aus Pfrontener Höhe geht es wieder ins Voralpenland. Die überbordende Pfarrkirche St. Ulrich in Seeg, oft „Kleine Wies“ genannt, erinnert daran, dass der Rokokoüberschwang in Bayern ein grandioses Zeitphänomen war und selbst Dorfkirchen in Ornamentorgien verwandelte. Das Hauptfresko von Johann Baptist Enderle aus Donauwörth interpretiert die Seeschlacht von Lepanto, in der das Christentum verteidigt wurde, ein kleiner Engel schleudert Blitze auf türkische Schiffe, Papst und Kaiser schauen zu, Maria, Christus, Gott und die Taube auch.

Ein Detail der Deckenbemalung der Kirche St. Ulrich in Seeg, eine der schönsten Rokokokirchen des Allgäus. © Sandra Thiel / Tourist-Information Seeg

Zwei kleine Städte stehen nun für die Gegenwartskunst. Der Weg zwischen saftigen Wiesen und kleinen Heuschuppen führt erst nach Marktoberdorf. Hier wartet das attraktivste Allgäuer Kunstgebäude des 21. Jahrhunderts: das Künstlerhaus. Die Schweizer Meisterarchitekten Bearth & Deplazes entwarfen 2001 einen strengen rotbraunen Klinkerkubus mit rostroten Cortenstahl-Toren. Die Natur übernimmt durch an der Fassade hochrankende Pflanzen den Part des Verzierens. Oft sind hier Werke von zeitgenössischen Allgäuern rund um die eigene Sammlung zu Gast.

In der früheren freien Reichsstadt Kaufbeuren liegt das postmoderne Kunsthaus in der malerischen Altstadt. Auf drei Leveln mit Sichtbetonwänden hat hier diesen Sommer der Allgäuer Naturmaler Rudi Tröger eine Bühne. In der Kaffeebar Kirschkern serviert man Suppen oder Kuchen aus regionalen Gemüsen und Früchten.

Rudi Tröger Blumen
Rudi Trögers „Blumen“, 1964, vom 5. Juli bis 19. November im Kunsthaus Kaufbeuren. © Mario Drechsler / Courtesy Galerie Jahn und Jahn, München

Anschließend geht es über eine Waldsenke hoch zum Barockkloster Irsee. Hier gibt es neben der schönen eine furchtbare Geschichte. Irsee wurde von den Nazis für ihre Euthanasieverbrechen missbraucht. Heute finden hier Erinnerungsorte Platz sowie Bildungsstätten wie die Schwabenakademie. Der größte Hingucker in der ehemaligen Stiftskirche ist die Schiffskanzel, geschaffen 1724/25 vom Bildhauer Ignaz Hillenbrand: Engel hissen die Segel. In den benachbarten Bauten sind oft regionale Künstlerinnen und Künstler zu sehen, aktuell der bunte Wilde Franz Hitzler.

Im Zentrum von Kempten, der heimlichen Hauptstadt des Allgäus, entstand ab 1651 die erste monumentale deutsche Barockanlage nach dem Dreißigjährigen Krieg – Kirche und Schloss. Wer Zeit hat, bucht die Führung in die Prunkräume der Residenz von Fürstabt Anselm Reichlin von Meldegg, zwischen 1732 und 1745 in der kräftiger Farbigkeit des frühen Rokoko ausgeführt.

Bei einer Allgäureise sollte die Künstlerin Natur nicht fehlen. Unsere Fahrt führt nun ein Stück Deutsche Alpenstraße entlang über den Großen Alpsee mit seinen Kite-Surfern. In Oberstaufen liegt das Nachtquartier Bergkristall wie eine Aussichsterrasse gegenüber dem Hochgrat und anderen Allgäuer Alpengipfeln. Abends kommen Hirsche bis an den Zaun und die Panoramafenster.

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