Wahrscheinlich gibt es keinen Ort auf der Welt, wo Kunstwerke besser aufbewahrt werden als hier. Ein Rundgang durch das Schaulager, das mit einer großen Ausstellung sein 20-jähriges Jubiläum feiert
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20.06.2023
Auf dem Tisch vor Marcus Broecker liegt ein Bein, genauer: ein lebensecht anmutendes Männerbein. Aus gebleichtem Bienenwachs ist es dem Bein des amerikanischen Künstlers Robert Gober nachempfunden – bis zur Krümmung der Zehennägel und der Behaarung der Waden. Normalerweise liegt dieses Bein im Wasser, man sieht es in Gobers permanenter Installation im Schaulager aus etwa fünf Meter Höhe durch ein Abflussgitter. Wasser ist so ungefähr das schlechteste Milieu für Kunstwerke, das man sich vorstellen kann, nur Feuer wäre schlimmer. Wenn dann der Künstler auch noch darauf beharrt, dass dieses Bein im Wasser immer möglichst perfekt aussehen soll, wie am Tag seiner Schöpfung, dann hat man als Konservator ein Problem.
Doch genau solche Probleme sind es, die für Marcus Broecker, den Restaurator des Schaulagers, den besonderen Reiz seines Berufes ausmachen: „Ich arbeite hier in einem Archiv der Einzelfälle“, erklärt er mir bei meinem Besuch in seiner Werkstatt. Und jeder Einzelfall verlangt natürlich eine individuelle Lösung, auf die man erst mal kommen muss. Das fängt bei den speziellen Werkzeugen an, mit denen die ausgeschwemmten schwarzen Härchen im Gober-Bein neu eingesetzt werden (ein dichter Schopf koreanischen Männerhaares dient dafür als Ressource) und endet in regelrechten Heureka-Momenten, bei denen der Restaurator vom eigenen Erfindergeist überrascht wird. In der Gober-Installation ist zum Beispiel nicht nur das Bein den Kräften des Wassers ausgesetzt, sondern auch eine Vielzahl vom Künstler geprägter Silber- und Kupfermünzen. Von ihrem Wesen her neigen sie zur Korrosion, auch eine schützende, vom Künstler aufgetragene Epoxidharzschicht schafft auf Dauer wenig Abhilfe. Besser funktioniert da eine andere Methode: „Auf die hat mich die verschweißte Verpackung von Erdnüssen gebracht.“ Seit diesem Geistesblitz werden die Gober-Münzen mit einer transparenten, vakuumverschweißten Folie überzogen und erfordern deutlich weniger konservatorische Pflege. „Das ist eine schöne reversible Lösung“, freut sich Marcus Broecker – und vor allem darüber, dass auch der Künstler diese Lösung mochte und nun selbst anwendet.
Nicht nur was solche Anekdoten angeht, ist das Schaulager ein Unikum. Einzigartig ist auch das Konzept des massiven, 2003 von Herzog & de Meuron errichteten Baus. Der Name verrät bereits die Funktion, es geht um das Lagern von Kunst bei gleichzeitiger Sichtbarkeit. Hier verschwinden die Werke nicht im Depot, sondern bleiben der Forschung und Öffentlichkeit zugänglich. Aufbewahrt sind sie in optimal klimatisierten Räumen, aber dort arrangiert wie im Museum. Ausgedacht hat sich dieses Konzept Maja Oeri, die Präsidentin des Stiftungsrates der Emanuel Hoffmann-Stiftung. Die Stiftung verwaltet seit 1933 eine der ältesten und umfassendsten Privatsammlungen moderner und zeitgenössischer Kunst, die dem Kunstmuseum Basel als Dauerleihgabe zur Verfügung steht. Während ein Teil davon jeweils im Museum ausgestellt ist, finden die eingelagerten Werke ihren Platz im Schaulager.
Betreiber des Schaulagers ist die von Maja Oeri und ihrem Ehemann Hans U. Bodenmann ins Leben gerufene Laurenz-Stiftung, die an ihren früh verstorbenen Sohn erinnern soll. Zu deren Zweck gehört auch die Kunstvermittlung: Neben regelmäßigen Führungen und Veranstaltungen sind es vor allem die großen Retrospektiven und Überblicksausstellungen wie „Bruce Nauman“ (2018) oder „Future Present“ (2015), die nachhaltig in Erinnerung bleiben. In diesem Jubiläumsjahr wird eine weitere folgen: Die Gruppenausstellung „Out of the Box“ präsentiert bis zum 19. November künstlerische Positionen, die in den vergangenen Jahren Eingang in die Sammlung gefunden haben, mit dem Fokus auf zeitbasierten Medienwerken.
Die Aufbewahrung der Werke ist im Schaulager untrennbar mit deren Erforschung verbunden. Was Marcus Broecker im konservatorischen Sinne leistet, wird von Isabel Friedli dokumentarisch weitergeführt. Die „Buch-Kuratorin“ des Schaulagers, das regelmäßig im eigenen Verlag Publikationen herausgibt, treffe ich in der Bibliothek. Auf langen Tischen sind dort die Entwürfe für das Layout ihres aktuellen Projekts ausgelegt. Es geht um die Installation „Selbstturm; Löwenturm“ des 1998 verstorbenen Universalkünstlers Dieter Roth. Auch dieses Schlüsselwerk gehört zur Emanuel Hoffmann-Stiftung, es befindet sich aber in einem eigenen Atelierraum in der Nähe des Kunstmuseums Basel, wo Roth bis zu seinem Tod an ihm weiterarbeitete.
„Selbstturm; Löwenturm“ besteht aus zwei bis unter die Decke ragenden Regaltürmen; sie sind gefüllt mit Schokoladen- und Zuckerbüsten, die Roths Konterfei, Löwen und eine Mischung aus beiden abbilden. Drum herum herrscht das Chaos einer Küchenwerkstatt mit Roths akkurat aufgeräumtem Arbeitstisch als Kontrapunkt. Die beiden Türme sind dem Verfall ausgesetzt, ihre auch geruchlich wahrnehmbare Metamorphose ist ein wichtiger Teil der Aura. Niemand weiß, wann diese Türme trotz sorgfältiger Pflege endgültig zusammenbrechen werden, sodass es sinnvoll ist, ihr fragiles Dasein in einem Buch zu verewigen.