Das Auktionshaus in Stuttgart zeigt die große Bandbreite an Meistern, die unter dem Label Informel firmieren
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10.07.2023
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Erschienen in
Kunst und Auktionen 11/23
Wer mentale Einkehr halten und der Welt den Rücken kehren möchte, weil Politik wenig Positives und Kunst so gar nichts bewegt auf diesem Planeten, dem sei die Meditations-Spirale von Heinz Mack empfohlen, die Nagel in seiner Frühjahrsauktion zur Moderne bei 2500 Euro offeriert – und die auch fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung noch einen funktionstüchtigen Elektromotor vorweisen kann, der eine schlanke Spirale vertikal rotieren lässt. Langsam schraubt sich das verchromte Messing scheinbar gen Himmel und vermag auf diese Weise zumindest den Lichtreflexionen einen optisch optimistisch stimmenden Aufwärtstrend zu verpassen. Mit einfachen Mitteln und einer Prise Humor weist uns der Zero-Meister hier den schmalen Weg zwischen Effekt und Erleuchtung.
Voraussetzung für das Spielerische bei Heinz Mack ist die Geste der Befreiung, mit der die Kunst der Nachkriegsjahre den Muff der Nazi-Zeit abzuschütteln suchte, der auch über 1945 hinaus allerorten zu spüren war. Anknüpfend an die statische, geometrische, formelle Abstraktion der Vorkriegszeit hatte sich eine dynamische, tachistische, informelle Kunst entwickelt, bei der – wie im Begriff „Informel“ selbst – auch stets etwas Familiäres, Entspanntes, Intimes mitschwang, das nach der oft brachialen Repräsentationskunst der Dreißiger- und Vierzigerjahre ausgesprochen wohltuend wirkte.
Wie keine zweite Institution in Deutschland hatte sich die Documenta dieser Tendenz angenommen. „Jeder, der sich der modernen Kunst verbunden fühlt, wird aus Kassel stolz erhobenen Hauptes heimkehren“, schrieb die Gießener Freie Presse 1955 zur ersten Veranstaltung, die einen Neuanfang in Ruinen markierte und der Hoffnung Ausdruck verlieh, dass Westdeutschland zumindest ästhetisch das „Dritte Reich“ endgültig hinter sich lassen könnte.
Schon bei der nächsten Documenta vier Jahre später hatten jedoch die Amerikaner die Bedeutung der Ausstellung erkannt und den Kuratoren in imperialistischer Manier Großformate geschickt, die ausgestellt zu werden hatten. Das Zarte des Informel wurde mit der abstrakten Expression US-amerikanischen Zuschnitts sowie entsprechend großformatiger Wucht an den Rand gedrängt. Dennoch bewahrten sich auch die zweite und die dritte Documenta etwas von einem Familientreffen. Hier waren Künstler wie Piero Dorazio, Hans Hartung, Julius Bissier, Peter Brüning, Heinz Mack, Anton Stankowski und Fritz Winter präsent, die nun alle auch bei Nagel versammelt sind. Selbstverständlich war in jener Zeit über rare Großevents hinaus das Netzwerk ebenfalls eng geknüpft: Georg Karl Pfahler lernte wie Peter Brüning bei Willi Baumeister und Brüning war wie Mack Mitglied der Gruppe 55, Pfahler und Mack wiederum fanden sich auf der Venedig-Biennale 1970 im Deutschen Pavillon vereint – um nur drei der zahlreichen Kunstfamilienbande zu erwähnen.
So lohnt eine Vorbesichtigung bei Nagel allein schon, um all die Meister der jungen Republik einmal mehr mit ansprechenden Arbeiten vereint zu sehen, die ganz nebenbei die große Bandbreite dessen offenbaren, was unter dem Label Informel firmiert. Neben den massiv-vitalen Bildern Georg Karl Pfahlers (Taxen zwischen 2000 und 18.000 Euro) wirkt Fritz Winters kleinformatige Kalligrafie trotz ihrer Dynamik geradezu fragil (Taxe 3000 Euro), während Raimund Girkes monochrome Gouache von 1961 wiederum an rhythmisierte Keilschrift gemahnt (Taxe 2000 Euro) – oder hatte der Künstler einfach nur Heinz Macks Gouache aus dem Jahr zuvor gesehen, die bei 3000 Euro zum Aufruf kommt?
Auf jener Biennale 1970 war auch Shusaku Arakawa präsent, dessen Werk „Bottomless“ (1964 / 65, Taxe 8000 Euro) auf einer skalierten Leinwand grau in grau vier Ebenen zeigt, auf denen wenige Linien eine Vielfalt von Assoziationen evozieren: den zittrigen Seiltänzer, der einen Pfeil als Balancierstange nutzt, oder die Abwärtsspirale, die hinter dem Horizont einschlägt und eine farbige Spur hinterlässt. Oder handelt es sich um eine Spiralfeder, die das Bodenlose doch noch zu erreichen sucht?
Aber auch für jene, die es eher eindeutig mögen, hält Nagel etwas parat: einen knienden Propheten sowie eine kniende Kuh – jeweils in Bronze – von Gerhard Marcks (Taxen 8000 und 15.000 Euro) oder ein seltsames „Paar mit Drittem“ von Karl Hofer (Taxe 40.000 Euro). Alle drei starren am Betrachter vorbei rechts aus dem Bild, gebannt von etwas, das wir nicht sehen.
Ein anderer Dreier der besonderen Art ist Keith Harings „Untitled #3“ von 1982 (Taxe 20.000 Euro). Als zoophile Pornografie stünde es in Iran oder Florida zweifellos auf dem Index, doch bei Nagel kündet die Lithografie von liberaleren Zeiten, als sich der junge Künstler – inspiriert von Comics und der Graffiti-Szene – aufmachte, um unverwechselbar seine Hunde, Fernseher, Tänzer und Strahlen-Babys in der New Yorker Metro zu hinterlassen. Auch sein Werk wäre ohne die Abstrakten der Fünfzigerjahre kaum denkbar gewesen. Und klar, dass auch seine Ufos früher oder später bei einer Documenta gelandet sind.