Die Machtverhältnisse im Kunstbetrieb verschieben sich: Nicht nur der Kunststandort New York schwächelt, Paris hingegen wird zum Maß aller Dinge. Eine Jahresbilanz internationaler Kunstmessen
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19.12.2023
Besucht man die Kunstmessen dieser Welt – die bekannten und die weniger bekannten –, so ist nicht zu übersehen, dass die internationalen Handelsplätze in eine neue Phase des Wettbewerbs eingetreten sind. Auf Galeristen wie Händler kommen in absehbarer Zeit also große Umwälzungen zu. Wer sind die Verlierer und Gewinner von morgen? Wird das Produkt Messe künftig überhaupt noch eine Rolle spielen?
Die beiden wichtigsten lateinamerikanischen Messen für zeitgenössische Kunst – die Zona Maco in Mexiko-Stadt (8.–12. Februar) und die SP-Arte im brasilianischen São Paulo (29. März bis 2. April) – liefen jedenfalls hervorragend. Zahlreiche Galerien aus Ländern der EU nehmen diese Veranstaltungen als Brücke zu den lateinamerikanischen Ländern wahr. Die Zona Maco ist zudem als Lackmustest für die kurz darauf beginnende Kunstmesse Arco in Madrid (22.–26. Februar) unverzichtbar, wo sich – wie auch auf der US-amerikanischen Art Basel Miami Beach (8.–10. Dezember) – die Kunstszenen Nord- und Südamerikas mit denen Europas verbinden.
Der Standort New York entwickelt sich seit der Pandemie hingegen durchweg negativ. Nicht nur die Auktionen des zweiten Halbjahrs liefen schlecht – die Nachfrage hat sich generell eingetrübt. Denn die stärksten Sammlerschichten sind während der Pandemie überwiegend vor die Tore der Metropole gezogen und besuchen die City für Kunstereignisse nur noch sehr selektiv. Die Frieze (11.–15. Oktober) hat das aber dennoch nicht davon abgehalten, die New Yorker Armory Show (8.–10. September) und gleich auch noch die Expo Chicago (29. September bis 1. Oktober) zu übernehmen – wie im Juli verkündet wurde. Die Messe hat seit 2012 am Standort New York bereits einen Ableger, war bisher also ein direkter Wettbewerber der 1994 gegründeten Armory Show. Um das Geschäft, das am Stammsitz in London nicht mehr so recht anspringen will, langfristig zu sichern, hat sich die Veranstaltung zudem einen Spross in Los Angeles zugelegt und ist mit dem im vergangenen Jahr gelaunchten Ableger im steuerbefreiten Seoul mittlerweile auch in Asien aktiv – dem aussichtsreichsten Marktplatz der Zukunft. Dort scheinen die Chancen für wirtschaftlichen Erfolg derzeit am höchsten zu sein, zumal die von den politischen Restriktionen Chinas gebeutelte Art Basel Hongkong (23.–25. März) mittlerweile ein Subventionsfall ist, wie übrigens auch die Stammmesse in Basel (12.–18. Juni).
In Europa hat der Brexit im Zusammenspiel mit Corona das ganze System verändert. Paris ist das Maß aller Dinge geworden. Geringe bürokratische Hürden im Bereich Kunst haben in Frankreichs Hauptstadt die Neuansiedlungen von internationalen Galerien begünstigt. Die vorhandene Infrastruktur im Kultursektor mit bedeutenden Museen, Niederlassungen großer Auktionshäuser sowie den Messen Art Basel Paris+ (20.–22. Oktober) – eine Quasi-Übernahme der FIAC –, Paris Internationale (17.–22. Oktober), Paris Photo (9.–12. November) oder auch der im 25. Jahr stattfindenden Art Paris (30. März bis 2. April) lässt die Zukunft an der Seine rosig erscheinen. Und da der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 5,5 Prozent auch ab 2025 beibehalten wird, wie nun klar ist, wird das Wachstum wohl kaum zum Erliegen kommen.
Und Deutschland? Die Sammlerschaft im Rheinland und in der Eifel hat sich durch den Generationenwechsel ausgedünnt – und Kunstinteressenten aus Benelux zieht es zunehmend nach Paris. Daher haben zahlreiche Langzeit-Teilnehmer der Art Cologne (16.–19. November) der Messe mittlerweile den Rücken gekehrt, nachdem bereits länger über ausbleibende Umsätze bei unvermindert hohen Standkosten und wenig Esprit beim Service geklagt wurde. Seit 2020 müssen die Kölner so unter anderem auf David Zwirner sowie Neugerriemschneider, Thomas Schulte und Wentrup aus Berlin, Galerie Thomas aus München, Ruberl aus Wien, Gebr. Lehmann aus Dresden und Filomena Soares aus Lissabon verzichten – viele haben sich mittlerweile für das Produkt Art Basel entschieden. Zudem fand diesmal der immer mehr in Mode kommende Crossover-Mix zwischen Alt und Neu faktisch nicht mehr statt, obwohl man erst 2022 mit „Art + Object“ den Nachfolger der eingestampften Cologne Fine Art (COFA) präsentiert hatte. Kein Wunder also, dass die Verkäufe am Previewtag übersichtlich waren.
Aber welche Relevanz hat das Messeprodukt in Zukunft überhaupt noch? Die kleinen Messeformate, die sich zusehends internationalisieren, dürften auch weiterhin punkten: so die Highlights München, die Viennacontemporary, die Art Antwerp als kleine Schwester der Art Brussels oder die weiter expandierende Art Luxembourg. Die großen Tanker sind aber möglicherweise auf dem absteigenden Ast, insbesondere wenn die Organisation träge ist. Und was die Sammlerschaft angeht, so dürften die zahlungskräftigen Asiatinnen und Asiaten mittelfristig den Kunstmarkt dominieren – und so werden Galeristen wie Händler irgendwann wohl dem Geld aus Fernost nachreisen müssen, um erfolgreich zu wirtschaften.