Die Sammlung von Francesca und Massimo Valsecchi ist ein geistvolles Miteinander von alter und neuer Kunst. Im Palazzo Butera in Palermo hat das Ehepaar seine Werke auf faszinierende Weise erlebbar gemacht
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27.03.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 222
Der große Schreck ist zunächst die unitalienische Lieblosigkeit der Stadt, zumindest auf den ersten Blick. Von den Alliierten im Zweiten Weltkrieg bei der Eroberung Siziliens stark zerstört, zeigt Palermo ungeniert seine Wunden. Vor allem da, wo es am schönsten sein könnte, direkt am Wasser. Als habe sich die Stadt von der Küste abgewandt, um künftigen Eroberern keine Flanke zu bieten. Der sich unweit des kleinen Hafens direkt über die Uferlinie erhebende Palazzo Butera passt da ins Bild, denn unter der frisch gestrichenen Fassade erstreckt sich im flachen Wasser ein kommunales Bauschuttdepot. Die meisten Besucherinnen und Besucher kommen jedoch von der Stadtseite, und obgleich sich der Komplex zu der schmalen, wenig repräsentativen Straße abweisend vergittert zeigt, wird man auf dem Weg durch die Gassen dorthin dann doch vom Charme der sizilianischen Hauptstadt eingenommen. Nichts aber weist außen darauf hin, was uns hinter dem großen Tor erwartet.
Das Erdgeschoss war ursprünglich Magazinen, Verwaltungsräumen und dem Pferdestall vorbehalten, die sich um einen Hof erstrecken. Darüber das Piano nobile mit Prunksälen und großen Terrassen zur Tyrrhenischen See. In einem weiteren Obergeschoss waren ursprünglich Schlaf- und Kinderzimmer untergebracht, heute jedoch wird es rein museal genutzt. Wie die anderen Etagen, denn obgleich die Eigentümer das Hauptgeschoss bewohnen, ist auch dieses regelmäßig bei einem geführten Rundgang zugänglich. Das Parterre ist für Wechselausstellungen von Gegenwartskunst hergerichtet, ein Café mit Seeterrasse stellt sicher, dass nicht nur ästhetische und geistige Nahrung geboten wird.
So weit, so bekannt von anderen historischen Bauten, die mittels bildender Kunst reanimiert werden sollen. Aber schnell erschließen sich die Besonderheiten dieses Ortes. Allem voran die hohe ästhetische Qualität der Renovierung – von der Farbgebung und Materialität bis hin zu Details der Baugeschichte, die liebevoll herausgestellt werden. So legen im ehemaligen Archiv, heute Eingangshalle und Buchladen, Glaswände offen, wie bei einer früheren Baumaßnahme als wertlos erachtete Akten zur Dämmung genutzt wurden. Auch die Wurzeln der im Hof rankenden Glyzinie werden durch Glas sichtbar, haben sie sich doch über Jahrhunderte auf der Suche nach Wasser in den Kanälen der Regenwasserführung ausgebreitet.
All dies dient der Vorbereitung auf den kostbaren Inhalt, der im Palazzo wie in einem Schatzhaus ausgebreitet wird. Denn das Leben in seinen Mauern, von den Wohnräumen der Eigentümer über die Ausstellungen zeitgenössischer Kunst bis hin zu den Vermittlungsprogrammen und Forschungsvorhaben, spielt sich inmitten einer überbordenden Sammlung exquisiter Artefakte ab. Folgen die Erdgeschossräume noch der Idee des White Cube, findet man sich in der Hauptetage in einem eleganten Appartement wieder, dessen Eklektizismus und Reichtum der Ausstattung gleichermaßen entzücken.
Unter barocken Deckengemälden präsentiert sich eine illustre, ja wilde Mischung von Objekten aus ganz verschiedenen Epochen. Hier treffen Werke der Renaissance- und Barockmaler Frans Floris, Annibale Carracci oder Giuseppe Maria Crespi auf den düsteren Romantiker Johann Heinrich Füssli, auf Stanley Spencer, den magischen Realisten und Solitär in Englands Moderne, auf großformatige Bilder von Gerhard Richter oder Gilbert & George. Anne und Patrick Poirier haben einen neugotischen Salon mit einer installativen Arbeit aus einer Serie griechisch und lateinisch beschrifteter Spiegel ins 21. Jahrhundert geholt, während David Tremlett mit einigen geometrischen Fresken auf die Barockarchitektur reagierte.
Doch bevor man auf den Gedanken kommt, die Gegenüberstellung von alter und neuer Kunst durchaus auch schon anderenorts erlebt zu haben, realisiert man das ganz spezielle Zusammenspiel dieser Werke mit Schätzen der angewandten Kunst und des Designs. Da staunt man über exzeptionelle Möbel wie William Burges’ „Flax and Wool Cabinet“, ein exzentrisch neogotisches Unikum von 1858, oder einen Bronzetisch von Karl Friedrich Schinkel, ergötzt man sich an bedeutenden Objekten der Arts-and-Crafts- Bewegung oder an Glasvasen des Art nouveau, letztere Teil einer enzyklopädischen Glaskollektion, die von Daum und Gallé über Loetz und Tiffany bis zu Scarpa in der Nachkriegszeit reicht. Die Porzellanobjekte der Sammlung verbinden die Delikatesse des Mediums der Kulisse entsprechend mit monumentaler Gestaltung, wie der Kalvarienberg von Giovanni Battista Foggini aus der Manufaktur Doccia, Johann Joachim Kändlers Meissener heilige Theresa oder die Eule, die Nicholas Sprimont für die Fertigung in Chelsea entwarf – alle in den 1740er-Jahren geschaffen. Unter der Wucht der Eindrücke möchte man es sich am liebsten auf George Bullocks ägyptomanischem Regency-Hocker bequem machen oder gar auf Giuseppe Maggiolinis Chinoiserie-Sofa in Bootsform. Und würde davon noch nicht einmal durch Kordeln abgehalten, denn dies ist schließlich das Heim eines Sammlerehepaars.
Es geht aber noch weiter, die Marmortreppen hinauf ins zweite Obergeschoss, dessen Ausstellung musealer konzipiert ist, ohne dabei Interdisziplinarität oder gar Qualität einzubüßen. Auch hier mischt sich Kunsthandwerk des 18. und 19. Jahrhunderts mit der Gegenwartskunst. Besonders reich ist der Bestand aus dem 19. Jahrhundert, von Gothic Revival bis zu Arts and Crafts. Der Rundgang findet seinen in doppeltem Sinne atemberaubenden Abschluss schließlich auf dem Söller, der sich hoch über die Altstadt und den Golf von Palermo erhebt.