Auch in New York kann man sich mittlerweile in einem Kunstwerk von Anish Kapoor spiegeln. Mit seinen riesigen Objekten fordert er die Menschen heraus, die davor stehen: Wo ist mein Platz in der Welt?
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11.03.2024
Als seine bekannteste Skulptur zusammengeschweißt wurde, ließ sich wohl nur schwer erahnen, wie viele Menschen dort später mit ihren Handys stehen und sich selbst fotografieren würden. „Cloud Gate“ von Anish Kapoor steht in Chicago. Ein verspiegeltes, großes Ding, das wegen seiner Form auch Bohne genannt wird. Eine ähnliche Skulptur gibt es mittlerweile in New York. Im Stadtteil Tribeca sieht es aus, als wäre sie unter einem Hochhaus eingequetscht.
Bei Instagram finden sich Tausende Bilder von Kapoors Werken. Der Künstler, der in Indien geboren wurde und später nach Großbritannien ging, wird an diesem Dienstag (12.3.) 70 Jahre alt. Eine Karriere als Künstler schien anfangs abwegig. „Wie alle guten, kleinen indischen Jungen war ich ziemlich sicher, dass es das einzige Richtige sei, Ingenieur oder so etwas zu werden“, sagte Kapoor mal in der Dokuserie „Art21“.
Seine frühen Werke sahen übrigens noch ganz anders aus. Es waren Farbpigmente, aufgehäuft zu geometrischen Formen. Zart und reich. Im Laufe der Jahrzehnte experimentierte er mit Tonnen von Wachs und gigantischen Stahlinstallationen. Heute gilt Kapoor, der 1991 den renommierten Turner-Preis für zeitgenössische Kunst gewann, als einer der wichtigsten Bildhauer der Gegenwart.
In der Dokuserie erzählte Kapoor, dass er sich mehr als 30 Jahre mit Psychoanalyse auseinandergesetzt habe. Kapoor wuchs in einer weltoffenen Familie in Indien auf. Seine Mutter, die selbst jüdisch war, schickte ihn und seinen Bruder als Teenager nach Israel.
Die Zeitung „Times“ wollte 2022 wissen, ob das traumatisch gewesen sei. Das wisse er nicht, antwortete Kapoor. Es sei sehr verwirrend gewesen. Er habe sein ganzes Leben damit verbracht, darüber verzweifelt zu sein. Er habe damals einen Zusammenbruch erlebt und Beruhigungsmittel genommen, von denen er lange nicht losgekommen sei.
Was er an der Psychoanalyse liebe, sei die Annahme, dass die innere Welt mindestens genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger sei als „die sogenannte Welt der Realität“. Und die Aufgabe sei dann, damit zu arbeiten. Genau das passiere auch im Studio.
Ins Studio gehe er jeden Tag, er habe eine Routine, trage jeden Tag die gleiche Kleidung, erzählte er mal der BBC, dann arbeite er und hoffe, dass daraus etwas werde. Bei Kapoor ist daraus oft Großes geworden. Als er vor einigen Jahren in Berlin ausstellte, sprach die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ von „Herrscherporträts der Gegenwart“: Kapoors Werke seien vor allem eines: „teuer und monumental“.
Manche Aktionen sorgten für Kontroversen. Zum Beispiel, als er sich die Exklusivrechte an der künstlerischen Nutzung von Vantablack sicherte, einem tiefschwarzen Material. Oder als er in Frankreich seine als „Vagina der Königin“ bekannt gewordene Riesenplastik ausstellte, eine Skulptur aus verrostetem Stahl mit einem riesigen Loch in der Mitte. Manche warfen ihm vor, seine Arbeiten entstellten mit ihrem „sexuellen Charakter“ den Ort Versailles.
Kapoor will nach eigenen Worten, dass Menschen eine Umgebung betreten und staunen. „Das ist, wonach ich suche. Dieser Eindruck von: Wie kann das sein?“ In Portugal stürzte jedenfalls tatsächlich mal ein Museumsbesucher in ein Kunstwerk des britischen Bildhauers, weil er ein ausgehobenes Loch, das mit schwarzer Farbe versehen war, für eine optische Täuschung hielt.
Mit seinen Kunstwerken lässt er Menschen hinterfragen, was Realität eigentlich ist. Auch in seinen Bohnen in Chicago und New York spiegelt sich die Welt verzerrt. Seit der Eröffnung von „Cloud Gate“ seien dort wahrscheinlich 500 Millionen Selfies gemacht worden, sagte Kapoor in der Reportage von „Art21“ und lachte.
Als er das Werk anfangs geschaffen habe, habe er erst gedacht: „Das ist zu populär, zu einfach.“ Aber ihm sei dann aufgefallen, dass damit etwas Interessantes passiere. Wenn man davorstehe, sei das Werk enorm groß. Aber man müsse nur etwas weiter weggehen, und schon sei es das nicht mehr.
Wenn man sich selbst zu einem solchen Objekt in Bezug setze, mache das auch etwas mit dem Geist. „Führt das dann dazu, dass man sich fragt, wie groß man ist, wie klein man ist, wie wichtig man ist oder all die Varianten?“ (Julia Kilian, dpa)