Ihre Bilder von Interieurs sind Portraits der Menschen, die sie bewohnen. In ihrem neuen Buch „Tante Simone“ erzählt die französische Fotografin Dominique Nabokov von der Frau, die sie erzogen hat und von dem Haus, in dem sie aufgewachsen ist. Eine Begegnung
ShareGanz Paris ist übersät mit kleinen Baustellen, die noch vor den Olympischen Spielen fertiggestellt werden sollen. Hier wird eine Straße einspurig gemacht, dort soll eine Grünfläche entstehen. In der Rue Oberkampf ist die Umwandlung frisch abgeschlossen. Die leicht ansteigende Straße zwischen Bastille und République ist zur Fußgängerzone geworden, nur noch eine Buslinie und der Lieferverkehr, der die vielen Lebensmittelläden mit Waren versorgt, dürfen hier durchfahren. Dominique Nabokov ist schon von weitem zu erkennen. Die zierliche Dame wartet in der Sonne vor ihrem Hauseingang. Um sechs Uhr morgens ist ihr Flug aus New York gelandet. Ob wir uns wirklich heute treffen können? Aber ja doch! Ihr Leben lang pendelt Dominique Nabokov schon zwischen den beiden Metropolen, in beiden Städten ist sie zuhause.
Seit der Veröffentlichung des letzten Bandes ihrer „Living Rooms“-Trilogie „Berlin“ und der neuen Auflage der Bände „New York“, „Paris“ und „Berlin“ im spanischen Verlag Apartamento im Jahr 2021 wird die fotografische Arbeit von Dominique Nabokov von einer jungen Generation wiederentdeckt. Angefangen hatte es mit der „Living Rooms“-Reihe Mitte der Neunzigerjahre, als Auftrag des Magazins New Yorker, Wohnzimmer von Schriftstellern und Schriftstellerinnen zu fotografieren. Aus dem Auftrag wurde eine Serie, die Dominique Nabokov über viele Jahre weiterentwickelt hat. So ist ein breites Portfolio entstanden mit Bildern der Wohnzimmer von Julian Schnabel, Nan Goldin, Allen Ginsberg, Louise Bourgeois, Yves Saint Laurent, Ingrid Craven, Andrée Putman und vielen mehr. Das Reizvolle der Aufnahmen besteht zwar auch darin, dass sie die privaten Räume bekannter Persönlichkeiten abbilden, aber vor allem, dass Dominique Nabokov die Aufnahmen mit einer Polaroid Kamera gemacht hat. Dadurch haben die Bilder eine ganz andere Optik, als man es von Interieur-Aufnahmen kennt. Sie sind weich, eher atmosphärisch als scharf. Sie vermitteln ein Gefühl für die Räumlichkeit, ohne den typischen Hochglanz-Distanz-Effekt. Dies gilt auch für ihren späteren „Berlin“-Band. Da die Polaroid-Filme zu der Zeit nicht mehr produziert wurden, fotografierte Dominique Nabokov diesmal in Schwarz-Weiß, was ebenfalls untypisch für das Genre ist.
Wir sitzen nun in Dominique Nabokovs eigenem Pariser Wohnzimmer. Die Fotografin blättert in ihrem neu erschienenen Bildband „Tante Simone“. Als im Jahr 1999 nach dem Tod ihrer Tante das Haus in Compiègne geräumt werden musste, fotografierte sie mit einer Kleinbildkamera die Räumlichkeiten vor und während der Auflösung. Dabei schuf sie nicht nur ein Portrait eines geliebten Familienmitglieds, sondern setzte dem Haus ihrer Kindheit ein Denkmal. Ab dem Alter von fünf Jahren bis zum Abitur lebte Dominique Nabokov bei ihrer Tante, die Lehrerin war, und dessen Mann, der ein Bekleidungsgeschäft für Herren betrieb. Compiègne, das rund 80 Kilometer nordöstlich von Paris liegt, ist berühmt für seine Geschichte. Jeanne d’Arc wurde hier vor ihrer Auslieferung an die Engländer gefangen genommen, Napoleon III. residierte oft und gerne während des Herbstes in der klassizistischen Schlossanlage und lud zu Jagd-Festlichkeiten in den naheliegenden Wald ein. Auch in den Nachkriegszeiten war in der Stadt noch etwas von dem Glanz des 19. Jahrhundert zu spüren, die sogenannte haute Bourgeoisie um den Baron Rothschild war hier zuhause und traf sich zur Jagd oder zum Pferderennen.
Von dieser französischen Lebensart erzählen uns auch die Aufnahmen von Dominique Nabokov. Tapeten in Cremefarben, Lampenschirme mit Fransen aus Samt, Betten mit eingebauten Nachttischen, getrocknete Blumen, Familienfotos in Silberrahmen und ein rosa Schwamm am Rande einer blauen Badewanne – Details wie diese nehmen uns mit auf eine Zeitreise. Noch ist es nicht lange her, weniger als dreißig Jahre trennen uns von den Tagen, an denen das Haus noch belebt war, und doch ist es eine vollkommen andere Zeit, von der uns diese Einrichtung erzählt. Dominique Nabokov gelingt es hier auf eine bescheidene Art und Weise, etwas sehr persönliches in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
Tante Simone, Dominique Nabokov, erschienen bei Apartamento, 39 Euro, mit einem Vorwort von Gini Alhadeff.