In Reutlingen zwängen wir uns durch die engste Gasse der Welt, begeben uns auf die Spuren Hölderlins und lassen uns von Eiszeitfiguren beeindrucken
ShareMorgens brechen wir auf nach Reutlingen, das Tor zur Schwäbischen Alb. Durch das Tübinger Tor kommen wir zum Marktplatz und umkreisen das Bürgeramt, wo uns hinter einer winzigen gotischen Kapelle, dem verwunschenen Museumsgarten und dem Heimatmuseum das Spendhaus erwartet. In diesem ehemaligen Getreidespeicher von 1518 zeigt das Kunstmuseum Reutlingen Wechselausstellungen aus der eigenen Sammlung. Uns zieht es in die Galerie des obersten Stockwerks, wo wir auf den Spuren von HAP Grieshaber mehr über Holzschnitt, Hochdruck und Druckstöcke lernen.
Auf der Wilhelmstraße, der Haupteinkaufsstraße, passieren wir gotische Schmuckstücke wie die Marienkirche und den Lindenbrunnen und werfen einen Blick auf die letzten Reste der Stadtmauer mit den hineingebauten Häusern in der Jos-Weiß-Straße. Wem hier schon nach Mittagessen ist, dem sei der Mittagstisch des italienischen Weinhandels Il Panino hinter der Markthalle empfohlen. Alle anderen finden putzige bis schicke Cafés in Richtung Bahnhof, allen voran das Traditionshaus Konditorei Sommer auf der Wilhelmstraße.
Auf dem Weg zwängen wir uns durch die Spreuerhofstraße, mit 31 Zentimetern die engste Gasse der Welt, bewundern das Fachwerk des Alten Lyzeums am Weibermarkt, wo heute das Naturkundemuseum untergebracht ist, und werfen einen Blick in den Spitalhof am Marktplatz.
Südlich des Bahnhofs erwarten uns die Wandel-Hallen, wo das Kunstmuseum bis zum 14. April „Konkrete Progressionen“ mit Werken von François Morellet, Vera Molnár, Manfred Mohr und Hartmut Böhm zeigte. Im gleichen Gebäude präsentierte der Kunstverein Reutlingen bis 17. März mit den weltumspannenden Installationen von Reena Kallat und menschenleeren Gemälden von Melanie Siegel die jüngste Kunst unserer Reise, die unseren Blick vom schwäbischen Idyll zu globalen Fragen hebt.
Die Fahrt nach Tübingen bietet unseren Augen eine Pause, bis wir in der Kunsthalle Tübingen den Blick nach innen richten: Bis 3. März ging es hier um „Innenwelten: Sigmund Freud und die Kunst“, die Schau folgt den Spuren der Psychoanalyse in der Kunst der letzten 120 Jahre. Für die am 23. März folgende Ausstellung wurden Kunstschätze vom Barock bis zur Gegenwart aus Niederösterreich zusammengetragen. Beim Verlassen der Kunsthalle fällt unser Blick auf die Fassadenarbeit von Annett Zinsmeister am gegenüberliegenden Hochhaus, ein Teil des Formats „Außer Haus“ der Kunsthalle.
Danach machen wir uns auf in die Innenstadt, bewundern am Hölderlinturm, der auch ein kleines Hölderlin-Museum beherbergt, die Stocherkähne auf dem Neckar und ziehen weiter durch die seit 2019 als Gesamtensemble geschützte Altstadt, bis ganz hinauf zum Schloss Hohentübingen mit dem Museum Alte Kulturen. Die Alb und ihre Karsthöhlen sind seit Jahrtausenden besiedelt, und schon die Urahnen der Schwaben arbeiteten mit lang anhaltender Qualität: Die ältesten Ausstellungsstücke sind die Eiszeitfiguren aus Mammutelfenbein, darunter das 40.000 Jahre alte Vogelherd-Pferdchen.
Deutlich moderner ist die im Restaurant Mauganeschtle neben dem Schloss servierte Kochkunst – wer es rustikal mag, zieht die Burgsteige hinunter zur „Wurstküche“. Dabei kommen wir vorbei an den stattlichen Häusern der Studentenverbindungen, dem Marktplatz mit dem Tübinger Rathaus mit seinen Gerechtigkeitsbildern von 1596 und einer Sgraffito-Malerei von 1876 sowie dem Wilhelmsstift und schleichen durch die enge Gasse Beim Nonnenhaus.