Mehr als fünf Jahrzehnte prägte Christoph Andreas Frankfurt als Kunsthandelsstandort, setzte sich für die Restitution von jüdischem Besitz und die Provenienzforschung ein. Nun ist der Kunsthändler mit 74 Jahren verstorben
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03.06.2024
1824 gründete Christian Schneider eine Rahmen- und Vergolderwerkstatt, die seit der Übernahme durch Gottfried Andreas, den Urgroßvater von Christoph Andreas, ab 1884 zusätzlich als Kunsthandlung unter dem eingeführten Namen fortgesetzt wurde. Ausstellungen und Kataloge zu französischen und deutschen Impressionisten gehörten zum festen Programm. Es wurden zeitgenössische Künstler vermittelt, die später zu Klassikern wurden. Von Gustave Courbet über die Düsseldorfer Malerschule, den Münchner Leibl-Kreis, Franz von Stuck, Carl Morgenstern, Max Liebermann bis zu Hans Thoma: Die Liste war lang und auch weniger bekannte Künstlerinnen und Künstler gehörten dazu.
Christoph Andreas’ Vater löste die Werkstätten endgültig auf und konzentrierte sich auf den Kunsthandel vom ausgehenden 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert. Doch zunächst musste das im Krieg völlig zerstörte Stammhaus wieder aufgebaut werden. In holzgetäfelten Räumen mit langgestreckter Fensterfront konnte man sich an Gemälden und Zeichnungen von musealer Qualität erfreuen. Die Kunsthandlung J.P. Schneider zählt heute international zu den ersten Adressen insbesondere für die Kunst des 19. Jahrhunderts. Die Expertise von Christoph Andreas, der 1974 als promovierter Kunsthistoriker in das Unternehmen eintrat, spiegelte sich auch in zahllosen Publikationen, die er im hauseigenen Verlag herausgab.
Schon sein Großvater pflegte intensive Kontakte zu jüdischen Kunstsammlern und Kollegen; sein Vater setzte dies fort und unterstützte Überlebende und Nachkommen bei der Bewertung von geraubten Kunstwerken, wenn es in der Nachkriegszeit um Ansprüche zur Wiedergutmachung ging. Provenienzforschung wurde zur Mission von Christoph Andreas, wodurch er in entsprechenden Fachkreisen bekannt wurde. Als Kunsthändler vermied er jedwedes Schaulaufen, etwa die Teilnahme an Kunstmessen. Nicht wenige hätten ihm den roten Teppich ausgerollt. Er aber zog die Rolle eines Hidden Champion im deutschen Kunstmarkt vor.
Fand man Nähe, wurde der empathische Mann mit sublimem Humor hochkommunikativ. Der Austausch oberhalb von Geplätscher war ihm wichtig und in der Spitze des deutschen Kunsthandels kannte und schätzte ihn jeder. Ein sehr viel jüngerer Galerist, mit dem er einst nach einer Ausstellung verabredet war, konnte seine bunte Entourage an Kollegen und Künstlern nebst Anhängen nicht abschütteln. Spontan lud Christoph Andreas die gesamte Truppe zum Essen ein. Nicht zu einer Pizza, sondern zu seinem (besten) Italiener, wo sich, egal wie voll und wie spät, für alle Platz fand. Er war unglaublich großzügig. Als sich der Bundesverband Deutscher Galerien 2012 dem Kunsthandel, also dem secondary market öffnete, gehörte er zu den ersten, die beitraten. Er fragte seinen neuen Verband nicht, was er geschenkt bekäme, sondern, was er geben könnte. Um Rat und Tat musste man ihn nie zweimal bitten.
Christoph Andreas hat sich mit Verve für ein marktfreundliches Kulturgutschutzgesetz eingesetzt. Er vertrat den BVDG bei Anhörungen und Round Table, die von der Kulturbeauftragten des Bundes einberufen wurde und er gehörte zum illustren Kreis des Aktionsbündnis Kulturgutschutz, das diverse Verbände gegründet hatten. Vor dem Horizont seiner Praxis als leidenschaftlicher Kunsthändler durchdrang er als Laie das Kulturgutschutzgesetz auf eine Weise, die selbst Top-Juristen in Erstaunen versetzte. Denn das Ressentiment, das im Kern dieses Gesetzes gegen den Kunsthandel schwelte – und implizit auch gegen den privaten Kunstsammler – verletzte ihn, und nicht nur ihn, zutiefst. Sein Widerstand dagegen führte zu einer kuriosen Freundschaft mit Harald Falckenberg († 2023). Der Connaisseur der klassischen Kunst und der charismatische, in der Kunstszene omnipräsente Sammler des absolut Zeitgenössischen, befeuerten einander. Und zwar zu einer Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz, die jeder für sich, aber im steten Austausch miteinander, erhoben. Auch wenn beide damit ins Leere liefen: den Versuch haben sie nie bereut.
Christoph Andreas reflektierte die Macht und die Last der deutschen Geschichte. Er führte die Notwendigkeit von Restitutionen nicht nur im Munde, sondern praktizierte sie konsequent – wenn seine unablässigen Recherchen keinen anderen Schluss zuließen.
Ein schönes Beispiel hierfür ist der Jahreszeitenzyklus von Hans Thoma in der ehemaligen Villa Ullmann. Sechs großformatige Bilder konnten im Historischen Museum Frankfurt wieder zusammengeführt und die Erben fair und gerecht entschädigt werden. Ohne Christoph Andreas wäre das nicht möglich gewesen. Sein Katalogbeitrag über die verstreuten Wege der Bilder seit dem „verfolgungsbedingten Entzug“, wie es im Amtsdeutsch heißt, gibt einen Einblick in sein enormes Wissen sowohl über die Zeit und die Verbrechen des Nationalsozialismus als auch über die feinsten Verästelungen der Sammler- und Kunsthandelsgeschichte. Dass die Nachkommen der Familie Ullmann – ein junges Geschwisterpaar aus Australien – zur Ausstellung anreisten und er anhand der Bilder einen Teil ihrer Familiengeschichte rekonstruieren konnte, machte ihn überglücklich.
Dieser und andere Fälle sprachen sich herum und so war er der erste Kunsthändler, der 2018 zur Jahrestagung des Arbeitskreises Provenienzforschung zu einem Vortrag eingeladen wurde. Anhand eines Gemäldes von Wilhelm Trübner wies er die Defizite der Lost Art-Datenbank des Magdeburger Zentrums für Kulturgutverluste nach. Für sein Credo, dass „nicht jeder Verkauf aus jüdischem Privatbesitz oder Kunsthandel ab 1933 automatisch ein verfolgungsbedingter Entzug ist“, hatte er zahllose Beispiele parat – auch aus genannter Datenbank, deren Betreiber er immer wieder über fehlerhafte Sucheinträge informierte. Anfänglich erhielt er keine, dann lapidare Antworten. Als der Behörde dämmerte, dass hier jemand mit profunden Kenntnissen nicht ignoriert werden konnte, entspann sich zumindest ein Dialog auf Augenhöhe.
Die Vollendung seines letzten Projekts wird Christoph Andreas nicht mehr erleben. Die Erben des Auktionshauses Rudolf Bangel überließen der J.P. Schneider Kunsthandlung in den 60er Jahren eintausend annotierte Kataloge. Eine unschätzbare Quelle zur Preisentwicklung sowie zur Sammlungs- und Provenienzgeschichte von NS-Raubkunst und Objekten im kolonialen Kontext. In wenigen Wochen wird das Frankfurter Institut für Stadtgeschichte auf einem Symposium die Forschungsergebnisse und eine Publikation hierzu vorstellen. Die Kataloge selbst werden der Universitätsbibliothek Heidelberg zwecks Digitalisierung für ihre hervorragende Datenbank „German Sales“ zur Verfügung gestellt.
Christoph Andreas starb nach kurzer, schwerer Erkrankung am 28. Mai 2024 im Alter von 74 Jahren.
Birgit Maria Sturm ist Geschäftsführerin des Bundesverbands deutscher Galerien und Kunsthändler.