Anlässlich ihres 20-jährigen Jubiläums präsentiert die Helmut-Newton-Stiftung Bilder, die der Fotograf zwischen den 1930er- und Nullerjahren in Berlin aufgenommen hat
Von
06.06.2024
Es ist schon interessant, womit Helmut Newton sein erster Skandal gelang. Zu Beginn der Fünfzigerjahre fotografierte er im wieder erwachenden Berlin drei Models: die Komposition eher bieder, die Mode so lala, ihre Trägerinnen mit festgefrorenem Grinsen. Als Hintergrund wählte der junge Fotograf diverse Wahrzeichen wie das Luftbrückendenkmal in Tempelhof. Mutiger wurde er 1963 mit einer Story über Mata Hari, in der es zwar auch um Kleidung ging. Doch die Geschichte über die doppelbödige Spionin geriet verruchter, die Geschichte spielte rund um die junge Berliner Mauer. Ein wunder Punkt.
Die Presse ereiferte sich, fand die Verbindung von Mode und Politik zutiefst unangemessen. Dabei ging es bei Newton erst später mit der schrägen Kombination von Alltag, Nackt- und Verruchtheit und etwas Nazitum richtig los. Die neue Ausstellung in der Berliner Helmut-Newton-Stiftung erzählt im Turbo, wie sich der Sohn eines Berliner Knopffabrikanten nach kurzer Ausbildung im Fotostudio der legendären Yva und anschließender Flucht vor den Nationalsozialisten Berlin zurückeroberte. Wie er von der konventionellen Modeästhetik zu einer Bildsprache gelangte, die ihn zum berühmtesten Fotografen der Achtzigerjahre machte: Newton ließ die Settings wie zufällige Geschichten aussehen und verlagerte die Aufnahmen auf kippelnde Kähne im Schlachtensee, in den Grunewald oder in Etablissements, die wie die „Pension Florian“ die Berlins Bombardement unbeschadet überstanden hatten.
„Ein ehemaliger Nazi-Puff“, erklärt Matthias Harder als Direktor der Stiftung und öffnet einem die Augen für Newtons Kommentare zur Zeit. Er war eben kein Porträtist der Oberflächen. Die meisten seiner Fotostrecken für die „Vogue“ und andere Magazine stecken voller Subtexte. Ein Kostüm mit militärischen Anklängen, der Bauernzopf einer blonden Frau: Der Fotograf zeigt ganz schön unverblümt, dass er die NS-Gesinnung der Berliner keineswegs für überwunden hält.
„Berlin, Berlin“ zeichnet ein faszinierendes Bild Newtons. In seinen Bildern manifestieren sich scharfe Beobachtungsgabe wie Gegenbilder zum restaurativen Nachkriegsdeutschland. In die „Pension Florian“ pflanzt der Fotograf mit Jenny Capitain nicht bloß ein versehrtes Model mit Stock und Gipsbein, das sich kurz vor der Foto-Session beim Tanzen das Kniegelenk ausgekugelt hatte. Jenny ist überdies klug, erfolgreich und in der Berliner Kunstszene verankert. Auch das ist ein Statement: Newton besetzt das Bordell mit einem Akt, der sich selbstgewiss ausstellt.
Für solche Kontexte sensibilisiert die Schau zum 20-jährigen Jubiläum der Helmut-Newton-Stiftung. Und sie überlässt den Impulsgebern des großen Talents einen Raum, der ebenso groß wie Newtons Schau ist. Im zweiten Saal hängen Motive von Yva, Jewgeni Chaldej, Hein Gorny, Barbara Klemm, Michael Schmidt oder F.C. Gundlach. Sie schauen ähnlich oder auch ganz anders auf die Stadt und komplettieren das Bild einer Metropole, die immer neuen Stoff für ihre Chronisten bereithält.
Helmut-Newton-Stiftung,
Jebenstraße 2, Berlin
Eröffnung 6.6., ab 19 Uhr
bis 16.2.2025