Wie alles bei den Vereinten Nationen, muss auch die Auswahl der Kunstwerke am Hauptsitz in New York diplomatisch, mit Mehrheitsabstimmungen und einem strengen Protokoll folgend ablaufen. „Jedes Mal, wenn ein Mitgliedsland ein neues Kunstwerk anbietet, muss eine Kommission darüber entscheiden – denn es gibt hier auch einfach keinen Platz mehr“, sagt Silmara Roman. Die Brasilianerin führt seit rund zwei Jahren Besucherinnen und Besucher durch den Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York – seit Kurzem auch bei neu ins Programm aufgenommenen Touren, die sich auf die rund 300 Stücke umfassende Kunstsammlung der UN konzentrieren.
Unter anderem aus Deutschland und verschiedenen Teilen der USA stammen die etwa ein Dutzend Gäste an einem Donnerstag, als Roman sie zunächst zu dem wohl bekanntesten Kunstwerk der Sammlung führt: „Non-Violence“, eine Bronze-Skulptur in Form einer Pistole mit Knoten im Lauf, die der schwedische Künstler Carl Fredrik Reuterswärd nach dem Mord an dem mit ihm befreundeten Beatles-Sänger John Lennon 1980 anfertigte. 1988 erwarb das Mitgliedsland Luxemburg die Skulptur und schenkte sie den UN. Heute steht sie vor einem der Eingänge zur Vollversammlung und täglich fotografieren sich unzählige Menschen davor.
Der 1951 fertiggestellte Gebäudekomplex im Osten Manhattans direkt am East River, der den Vereinten Nationen als Hauptsitz dient, besteht aus dem Generalversammlungsgebäude, dem Sekretariatshochhaus und einer 1961 dazugekommen Bibliothek, drumherum sind Parkanlagen. Entworfen wurde die Anlage von rund einem Dutzend Architekten gemeinsam, unter der Leitung von Le Corbusier und Oscar Niemeyer. Der Komplex ist aus Sicherheitsgründen abgeriegelt und bewacht, hinein kommt praktisch nur, wer hier arbeitet, oder sich als Besucher vorab für eine Tour angemeldet hat.
Die UN-Kunstsammlung sei nach Eröffnung der Anlage in den 50er Jahren begründet worden, sagt Tourführerin Roman. Der Schwede Dag Hammarskjöld, ab 1953 zweiter Generalsekretär der Vereinten Nationen, habe die Mitgliedsländer um Kunst gebeten – idealerweise um Werke, die mit den Idealen, Werten und Zielen der UN zu tun haben – um die Inneneinrichtung der Gebäude schöner machen zu können. Mitgliedsländer, aber auch Stiftungen und Einzelpersonen zeigen sich seitdem immer wieder spendabel. Inzwischen sind wertvolle Werke von berühmten Künstlern wie Henry Moore, Barbara Hepworth, Marc Chagall oder Fernand Léger in den Räumen der Anlage zu sehen.
Hammarskjöld starb 1961 bei einem Flugzeugabsturz im Kongo, dessen Umstände bis heute untersucht werden. An ihn erinnert heute – neben zahlreichen Porträts in den Reihen der anderen Generalsekretäre der UN-Geschichte – unter anderem ein kleiner, von Schweden gespendeter Meditationsraum, der versteckt in einer Ecke neben dem Vollversammlungssaal liegt. Das Holz für die Bänke darin stammt aus der schwedischen Provinz Jönköping, wo Hammarskjöld geboren wurde.
Die Tour zieht weiter durch den Sicherheitsrat, wo Norwegen die Inneneinrichtung inklusive eines Wandbildes von Künstler Per Krohg sowie Vorhänge und Tapeten aus Seide gespendet hat, in die Vollversammlung. Dort wacht ein von einem anonymen Spender stammendes Wandbild des französischen Künstlers Fernand Léger mit dem Titel „Bugs Bunny“ über die sich hier regelmäßig versammelnden Staats- und Regierungschefs der Welt.
128 der 193 UN-Mitgliedsländer hätten bereits ein Kunstwerk gespendet, heißt es von der zuständigen Kommission. Manche Länder sogar mehrere, darunter Deutschland, das es gleich viermal als Spender in den offiziellen Katalog geschafft hat: 1975 wurde die Bronze-Skulptur „Der Aufsteigende“ von Künstler Fritz Cremer geschenkt, im selben Jahr auch die Skulptur „Der Flötenspieler“ von Benno Elkan. 1978 richtete die damalige Bundesrepublik Deutschland einen Ruheraum neben dem Sicherheitsrat ein und 2002 spendierte das wiedervereinigte Deutschland ein Stück Berliner Mauer, das nun im Garten der Anlage steht.
Längst nicht alle Kunst aber schafft es an die Wände oder auf die Sockel. Rund 60 Werke würden derzeit im Keller gelagert, heißt es von der zuständigen Kommission – weil sie beschädigt seien, ihre Darstellung oder ihr Stil „nicht angemessen“ sei, oder weil sich kein Spender zur Abholung finde.
Auch eines der berühmtesten Werke wurde vor wenigen Jahren kurzzeitig abgehängt, kehrte dann aber doch wieder an seinen jahrzehntelangen Stammplatz vor dem Eingang des Sicherheitsrates zurück: ein riesiger Wandteppich nach dem Vorbild des Werkes „Guernica“ von Pablo Picasso. Der frühere US-Vizepräsident Nelson Rockefeller hatte den Wandteppich den UN ausgeliehen, sein Sohn wollte dann das Werk auf einmal zurückhaben. Nach großem Aufschrei gab er es dann aber – frisch restauriert – doch wieder zurück. Das Originalwerk, auf dem der Wandteppich basiert, gilt als eines der berühmtesten Mahnmale gegen den Krieg und hängt heute in Madrid. (Christina Horsten, dpa)