Seit früher Kindheit ist die Kunst ein Leitstern im Leben der Modedesignerin Agnès Troublé. In Paris erzählt sie uns vom Zeichnen und Sammeln, von ihrer Galerie und wichtigen Begegnungen
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23.09.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 229
Sonntagnachmittag, im 13. Arrondissement von Paris. In dem ehemaligen Arbeiterviertel links der Seine ist um die Französische Nationalbibliothek und den Bahnhof Austerlitz innerhalb der letzten dreißig Jahre schrittweise ein neues Viertel entstanden. Hier, am Place Jean-Michel Basquiat, hat die Modeschöpferin Agnès Troublé, genannt agnès b., einen festen Standort für ihre Kunstsammlung gefunden: La Fab. Die Abkürzung steht für Fondation agnès b., könnte aber auch ein Kürzel für »Fabrik« sein. In dem Neubau, der ursprünglich als Supermarkt geplant war, nimmt La Fab. das Erdgeschoss und die erste Etage ein, darüber eine Kinderkrippe, noch weiter oben Appartements. Seit der Eröffnung im Frühjahr 2020 finden hier Ausstellungen mit Werken aus der Sammlung statt. Gerade, wir haben April, sind Fotografien zu sehen, die einen wichtigen Schwerpunkt der Kollektion ausmachen. Das Plakat der Ausstellung mit einem Robert Rauschenberg, der frech die Zunge herausstreckt, gibt den Ton an. Es ist eine lustvolle Geschichte der Fotografie, die sich hier entfaltet: Die chronologische Reihenfolge der Bilder beginnt mit chronofotografischen Platten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und endet mit Farbfotografien aus den 1990er-Jahren. Während wir von Bild zu Bild wandern, wird an dem Flügel auf der Empore Bach gespielt, ab und an ist auch ein abfahrender Zug zu hören, eine ebenso urbane wie entrückte Geräuschkulisse.
Zwei Tage später bin ich im La Fab. mit Agnès Troublé verabredet. Es war nicht einfach, einen gemeinsamen Termin zu finden. Die 1941 geborene Modeschöpferin ist eine viel beschäftigte Frau, das Museum ist nur eine von vielen Unternehmungen für sie. Hauptberuflich ist sie Stylistin an der Spitze ihres eigenen Prêt-à-porter-Modehauses agnès b., das sie seit 1975 mit weltweitem Erfolg führt, darüber hinaus ist sie eine in Frankreich bedeutende Mäzenin für Kunst und Kultur. Sie ist Präsidentin des Verbandes der Freunde der Kunstakademie von Paris, fördert Filme, engagiert sich sozial und für die Umwelt, etwa für die Meeresforschung. Es sei auch noch erwähnt, dass sie Kopf einer Großfamilie mit fünf Kindern und siebzehn Enkelkindern ist.
Nun sitzt sie mir gegenüber und raucht dünne Zigaretten. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet, mit Lederjacke, enger Hose und schwarzen Clogs mit Schnalle und Absatz. Unter dem Hals, mitten auf der Brust, trägt sie eine kleine Brosche in Form eines Skeletts. Dieser vom Rock ’n’ Roll geprägte Stil, den sie seit Jahren pflegt, steht in einem gekonnten Kontrast zu ihrer sonst zarten und grazilen Erscheinung. Mit ihrem leicht gewellten, hellen Haar und ihrem freundlich-neugierigen Blick hat sie tatsächlich etwas von einem agneau, was auf Deutsch „Lamm“ heißt und schon seit Langem ihr Spitzname ist. Sie hat private Fotos mitgebracht, die sie gemeinsam mit dem befreundeten amerikanischen Regisseur und Künstler Harmony Korine zeigen. In der kommenden Ausstellung mit Positionen figurativer Malerei sollen auch Gemälde von ihm gezeigt werden. Die Vorbereitungen dazu machen ihr sichtlich Vergnügen, angeregt erzählt sie von den erfüllenden Stunden, die sie mit der Kuratorin ihrer Sammlung, Élodie Cazes, beim Auswählen der Werke verbringt. Am meisten aber liebt sie das Installieren. „Das ist wie ein visueller Essay“, erklärt sie. „Etwas zu zeigen ist ein großes Privileg, denn es schafft einen Raum für Dialog und Austausch.“
Mit La Fab. ging ein Traum in Erfüllung, der sie seit ihrer Jugend begleitet. Schon als kleines Mädchen wollte sie ein Museum leiten. Vor Kurzem hat sie einen Schulaufsatz wiedergefunden, in dem die damals 13-Jährige selbstbewusst erklärt, sie wolle Kunstgeschichte an der École du Louvre studieren und später eine Galerie eröffnen. Diese Neigung schon in jungen Jahren hat sie unter anderem ihrem Vater zu verdanken, der das Interesse der Tochter für Kunst früh förderte. Die katholisch-bürgerliche Familie lebte in Versailles, wenige Hundert Meter entfernt vom Schlosspark, Agnès ist eines von vier Kindern. Während ihrer Schulzeit erhielt sie mehrmals wöchentlich klassischen Malunterricht an der Kunstakademie Versailles. Ob sie damals Künstlerin werden wollte? Troublé zuckt die Schultern: „Das weiß ich nicht. Ich habe das Zeichnen einfach geliebt.“