Museum Barberini

Treib es zu bunt!

Maurice de Vlaminck war ein Star des Fauvismus, weil er die Farbe entfesselte. Eine Ausstellung in Potsdam erinnert an den in Deutschland wenig bekannten Maler

Von Tim Ackermann
31.10.2024
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 234

Mit strahlendem Blau und leuchtendem Rot bewaffnet, machte sich kurz nach 1900 der Maler Maurice de Vlaminck daran, die französische Kunstwelt zu sprengen. Und noch Jahrzehnte später, als er bereits die entspannte Lebensphase des mittleren Alters auskostete, erinnerte er sich immer noch sehr gern an das jugendliche Lodern seiner Leidenschaft: „Mit meinen Kobalt- und Zinnoberfarben wollte ich die École des Beaux-Arts niederbrennen und meine Gefühle mithilfe meiner Pinsel ausdrücken, ohne mich darum zu kümmern, wie die Malerei vor mir war“, erzählte er 1928 in den Cahiers d’Art. Zwar hat damals, in seinen Anfangsjahren, dann doch nicht die Pariser Feuerwehr ausrücken müssen, um die ehrwürdige Kunstakademie vor der Kraft seiner flammenden Bilder zu beschützen. Dennoch fanden diese Werke ihre Wirkung zum rechten Zeitpunkt – denn im Pariser Herbstsalon des Jahres 1905 hingen fünf von ihnen in jenem Raum, in dem noch andere Jungspunde wie Henri Matisse oder André Derain mit ebenso strahlendem Blau und leuchtendem Rot für Aufsehen sorgten. „Fauves“ nannte ein Kritiker diese Versammlung, also „Wilde“. Und Maurice de Vlaminck war vielleicht wirklich der wildeste unter ihnen.

Zwei seiner fünf Gemälde aus jener kunstgeschichtlich so bedeutenden Herbstsalon-Ausstellung hat das Museum Barberini in Potsdam nun für die große Retrospektive „Maurice de Vlaminck. Rebell der Moderne“ ausleihen können. Das eine mit dem Titel „Dämmerung“ (1904/1905), angereist aus dem Tel Aviv Museum of Art, scheint gar nicht so besonders, wenn man von der absichtlich groben Pinselführung absieht. Doch das zweite, verliehen von einer Privatsammlung, hat es dafür in sich: Mit „Park in Carrières-Saint-Denis“ reagierte Vlaminck 1904 auf Vincent van Goghs berühmtes Werk „Der Innenhof des Hospitals von Arles“ (1889). Im Zentrum seiner Komposition lässt der junge Maler – genauso wie im Vorbild – das Hellblau eines runden Teiches aufschimmern, umgibt ihn jedoch mit konzentrischen Kreisen von leuchtendem Rot und Grün, um mit diesem auffälligen Komplementärkontrast einige angedeutete Blumenbeete zu betonen. Schwarze Baumstämme unterteilen das Bild in vertikale Segmente, die Vlaminck zwar in Gelb- und Blautönen attraktiv gestaltet, doch weder inhaltlich noch perspektivisch scheinen die Einzelteile zueinanderzupassen, alles fliegt vielmehr auseinander. Man versteht hier schon, weshalb Daniel Zamani, der Kurator der Ausstellung, davon spricht, wie Vlaminck einer eigentlich unspektakulären Natur dank seiner malerischen Entscheidungen „eine geradezu explosive Raumwirkung abgewinnen konnte“.

Dabei war ihm nichts in die Wiege gelegt: 1876 als Spross einer Musikerfamilie geboren, heiratet er früh, muss schnell zwei Töchter ernähren und verdient das Geld dafür mit Geigespielen und lukrativ dotierten Radrennen. Erst eine Freundschaft mit André Derain bringt ihn 1900 dazu, den Pinsel in die Hand zu nehmen. Fünf Jahre später – als Konsequenz des legendären Pariser Herbstsalons – kauft ihm der Galerist Ambroise Vollard das Atelier leer. Vlaminck, der nie eine Akademie besucht geschweige denn niedergebrannt hat, ist nun ein erfolgreicher Maler. Seinen Fauvisten-Ruf kultiviert er, indem er seine Kunst mit dem Anarchismus begründet, für den er sich begeistert.

Im Vergleich mit den im Museum Barberini beheimateten Impressionisten um Monet, Renoir und Caillebotte fällt das Besondere dieses Künstlers auf: Er folgt seinen älteren Kollegen und grenzt sich gleichzeitig von ihnen ab. Wenn er ab 1900 die Damen der Pariser Demimonde malt, so tut er das ohne kitschige Verträumtheit, sondern im Bewusstsein der harten Lebensrealität. Und ebenso zeigen die Landschaftsansichten, die er en plein air in den Kleinstädten und Dörfern entlang der Seine festhält, keine Idyllen des bürgerlichen Freizeitvergnügens, wie sie im Impressionismus beliebt waren.

Maurice de Vlaminck,
Maurice de Vlaminck, "Vorstädtische Landschaft", 1905. © Museum of Fine Arts, Boston, Geschenk und Vermächtnis von David und Peggy Rockefeller VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Ein Werk wie „Vorstädtische Landschaft“ (1905) ist eher das malerische Äquivalent einer entfesselten Naturgewalt: Die kurzen, gekrümmten, rosafarbenen Striche, die Vlaminck als Geäst auf die Straßenbäume setzt, wirken so, als hätte sie ein scharfer Windstoß auf die Leinwand gepeitscht. Und mit dem Tohuwabohu der gelben Farbschwünge in der rechten unteren Ecke möchte man vom Sturm zusammengewehtes Laub assoziieren. Durch die schnellen, pastos aufgetragenen Striche und die grellen Farben scheint das Bild vor Energie zu vibrieren. Vlaminck verschafft seinen Gefühlen mit dem Pinsel Luft. Denn ganz allgemein geht es in seinen Bildern nicht mehr darum, den Betrachtenden ein kunstvoll gestaltetes Fenster zu bieten, damit sie sich aus der Realität imaginieren können. Bei Vlaminck gibt sich die Malerei sperrig und konfrontiert ihr Publikum mit ihrer physischen Existenz und ihrer Erzählung von der eigenen Machart. Kein Wunder, dass dieser Künstler gern zum Äußersten greift und gelegentlich die Farbe direkt aus der Tube auf die Leinwand drückt.

Vlamincks leuchtender Fauvismus der Jahre 1904 bis 1908 bildet nun auch zu Recht den Schwerpunkt der 81 Bilder umfassenden Retrospektive in Potsdam. Es ist, man glaubt es kaum, die erste Einzelausstellung des Malers in Deutschland nach seiner letzten in der Galerie von Alfred Flechtheim in Düsseldorf. Jene Schau fand im Jahr 1929 statt. Und wenn man diesen Maler hierzulande lange nicht mehr groß gesehen hat, bedeutet das nicht, dass es nicht geistige Anknüpfungspunkte gäbe, wie Ortrud Westheider betont: „Man kennt vielleicht Maurice de Vlaminck in Deutschland nicht, aber seine Malerei ist einem über den deutschen Brücke-Expressionismus unheimlich vertraut“, erklärt die Direktorin des Barberini.

Obwohl es die formalen Ähnlichkeiten zum zeitgleich existierenden Expressionismus gibt, geht Vlaminck diesen Weg interessanterweise nicht weiter. Ab 1906 malt er Stillleben im Stile Cézannes, experimentiert später auch mit dem Kubismus. In den 1920er- und 1930er-Jahren folgen harmlose Dorfstraßenbilder und ein unrühmliches Faible des Malers für die Kunstauffassung des Nationalsozialismus, während sich das Spätwerk ab 1945 wieder auf van Goghs Weizenfelder bezieht. All das stellt die Ausstellung offen dar und lädt dazu ein, einen vielschichtigen und auch widersprüchlichen Künstler neu zu entdecken. 

Service

AUSSTELLUNG

„Maurice de Vlaminck. Rebell der Moderne“,

Museum Barberini in Potsdam

bis 12. Januar 2025

museum-barberini.de

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