Die große Fotokunstmesse Paris Photo findet zum 27. Mal statt und kehrt nun nach der Art Basel auch zurück in den Grand Palais
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06.11.2024
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Kunst und Auktionen Nr. 18
Endlich zurück im Grand Palais! Nachdem vor einigen Wochen bereits die Art Basel ihr grandioses Comeback im frisch renovierten Pavillon, 1900 Zentrum der Weltausstellung, feiern konnte, freuen sich nun 232 Aussteller der Paris Photo auf die Rückkehr ins bis zum Rand mit Paris-Feeling gefüllte Grand Palais. 189 Galerien und 43 Verlage aus 32 Ländern, darunter 60 Erstlinge, werden mehr Platz, mehr Sicherheit und bessere Infrastruktur vorfinden.
Auch wenn die Standmieten manchem der 22 deutschen Aussteller den Schweiß auf die Stirn treiben, ist allgemein die Stimmung gut, nachdem gerade die Rencontres d’Arles mit 160.000 Besucherrekord vermeldet haben. Oft Vorzimmer der Messe, spiegelt sich das Festival dieses Jahr nur punktuell in den Soloshows wider. Fraenkel aus San Francisco knüpft mit neuesten Arbeiten von Hiroshi Sugimoto an dessen „Revolution“- Ausstellung im Espace Van Gogh an. Mit Sakiko Namura bringt die Pariser Galerie Echo 112 eine der Teilnehmerinnen aus der Gruppenausstellung „Another language“ aus Arles nach Paris, die mit der von Man Ray eingeführten Solarisation surreale Atmosphären in Hotelzimmern einfängt.
Jim Jarmusch, unvergessen seine ironische Hommage an Paris mit Béatrice Dalle als blinder Taxi-Kundin in einem nächtlich-schrecklich-schönen „Ride“ durch die Hauptstadt, ist als Ehrengast eingeladen. Mit seiner Band SQÜRL hat er die Musik für einen Zusammenschnitt von vier Man-Ray Filmen beigetragen, die als Preview während der Messe gezeigt werden. Offizieller Kinostart von „Retour à la raison“ ist der 13. November. Jarmuschs Auswahl an Messeständen soll dem Publikum den Blick des bereits 71-jährigen Filmemachers aus den USA empfehlen. Ob er auf die Fotos der amerikanisch-ukrainischen Künstlerin Katherine Turczan aufmerksam wird? Einige der anrührenden Aufnahmen ukrainischer Kinder nach dem Sturz der UdSSR aus der Serie „From where they came“ sind bei der Galerie C (Paris und Neuchâtel) im Hauptsektor zu sehen.
Paris Photo will vor allem signalisieren: Paris bleibt Hauptstadt des Lichts. Mit dem deutlichen Zuwachs an mächtigen internationalen Galerien nimmt zeitgenössische Kunst an Gravitationskraft zu – was auf die Spezialität Fotografie ausstrahlt. Um Messebesuchern mehr Orientierung zu bieten, hat die Messe den neuen Sektor „Voices“ eingeführt. Als „Unvollkommene Paradiese“ präsentiert Kuratorin Elena Navarro Fotografien aus Lateinamerika. Darunter mit dem 2002 verstorbenen Manuel Álvarez Bravo eine Position, die wie Henri Cartier-Bresson für Frankreich das kollektive Imaginäre Mexikos geprägt hat. Die Galerie RGR, neu bei der Messe, zeigt ihn in einer Soloshow. In der „4 Wände“ genannten Auswahl von Sonia Voss erinnern die inhäusigen Inszenierungen von Markéta Othová, in der Duo-Show mit Libuše Jarcovjáková bei der neu zur Messe gekommenen Prager Galerie Fotograf Contemporary, an die zuletzt mit vielen Ausstellungen in Paris erfolgreiche Joanna Piotrowska.
Optisch setzt die Messe dieses Jahr auf Schmelz: leicht verschwommene Bilder lassen auf der Website das Grand Palais durch Blumen hindurch schimmern. Mit der Malerin und Technofeministin Christiane Peschek bringt Droste aus Düsseldorf (mit Räumen in Paris und Berlin) im Sektor „Digital“ eine Expertin fürs Unscharfe mit. Sie erkundet nach eigener Aussage „Verflechtungen und Beziehungen zwischen Mensch und Technik in einer durch das Internet geprägten Hyperrealität.“ Unmöglich zu erkennen, ob für ihre Bilder noch eine Fotografin hinter der Kamera stand oder ob es sich um verträumte Halluzinationen von Modellberechnungen global vernetzter Rechner handelt, gemeinhin „artifizielle Intelligenz“ genannt. Was dabei entsteht, lässt jedenfalls den Menschen in keinem guten Licht erscheinen.
Statt auf den Menschen lenkt Daniel Blau in der Hauptsektion „Principal“ den Blick auf die Schönheit der Planeten, wie sie die Voyager-Sonden der NASA übermittelt haben. Ebenfalls dem humanen Sehen-Wollen angeschmiegte Bild- welten, also eher Dokumente der Bilderlust als präzise Abbildungen kosmischer Realität. Lust und Bild verknüpfte meisterhaft Erwin Olaf, der leider am 27. September 2023 mit 64 viel zu jung verstarb. Für seine Serie „Le Dernier Cri“ hat er 2006 Frauen mit Schmuck und Implantaten zu Mars-Attacks-ähnlichen Sonderwesen verzerrt, damit kritisch den Finger auf Luxus- und Körperfetisch gelegt. Die Pariser Galerie Rabouan Mouisson wird einige Bilder der melancholisch selbstironischen Serie „April Fool“ mitbringen, die den Fotografen mit Eselsmütze und weiß geschminktem Gesicht zeigt.
Wer neben den Messen Zeit für mehr hat, sollte nach dem Besuch der beeindruckenden Schau von Apichatpong Weerasethakul im Atelier Brancusi des Centre Pompidou „L’Âge atomique“ im Musée d’art moderne de la ville de Paris nicht auslassen. Die umfangreiche, aber gut zu bewältigende Übersichtsausstellung führt die nukleare Zeitenwende im Prisma von Foto und Kunst vor – von der Entdeckung des Urans bis zum Leben mit der Strahlung, wie sie der in Frankreich angesiedelte deutsche Fotograf Jürgen Nefzger unvergleichlich lakonisch in seiner Serie „Fluffy Clouds“ eingefangen hat. Der Kalauer sei erlaubt: Die Ausstellung ist eine Bombe.